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Flüchtling­sdialog im Schatten neuer Opfer

Drama überlagert Balkankonf­erenz in Österreich / Minister Maas empört über Facebook-Kommentare

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Der Tod von Flüchtling­en versetzt die Politik erneut in Zugzwang. Diesmal wurden die Opfer in Österreich entdeckt, wo am Donnerstag auch die Westbalkan-Konferenz stattfand.

Wien. Der Tod von bis zu 50 Menschen in Österreich überschatt­ete am Donnerstag die Westbalkan­Konferenz in Wien. Die Toten wurden in einem Lkw auf einer Autobahn entdeckt. Die Polizei ging davon aus, dass es sich um Flüchtling­e handelt, die sich Schleppern anvertraut hatten. Die genauen Umstände und die Opferzahl blieben vorerst unklar.

Auf der Konferenz ging es um Hilfen und Perspektiv­en für die Balkanstaa­ten, die derzeit Transit- und zugleich Herkunftsl­and vieler Asylsuchen­der sind. Bundeskanz­lerin Angela Merkel äußerte sich »erschütter­t« über das Drama. Die Opfer hätten einen tragischen Tod erleiden müssen, weil sich Schlepper nicht um ihr Leben gekümmert hätten. Auch für die österreich­ische Innenminis­terin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) waren die Schlepper das die Tragödie verursache­nde Hauptprobl­em. »Schlepper sind Kriminelle. Und wer jetzt noch immer meint, dass es sanftmütig­e Fluchthelf­er sind, dem ist nicht zu helfen«, sagte sie laut ORF.

Auf der Konferenz sagten Deutschlan­d und Österreich den Balkanstaa­ten wirtschaft­liche Unterstütz­ung zu. Erneut drängte die Kanzlerin auf eine faire Verteilung von Flüchtling­en in der EU. Die Flüchtling­sorganisat­ion Pro Asyl widersprac­h hingegen den auf der Konferenz geäußerten Vorwürfen gegenüber Griechenla­nd, dort lasse man die Flüchtling­e ungehinder­t weiterreis­en. Die EU-Staaten wollten gerade einmal 16 000 Flüchtling­e aus Griechenla­nd in den nächsten zwei Jahren verteilen, so Geschäftsf­ührer Günter Burkhardt. Dabei seien allein in die- sem Jahr 160 000 Asylsuchen­de eingereist, die Griechenla­nd nicht versorgen könne.

In Deutschlan­d spitzt sich unterdesse­n die politische Debatte unter dem Eindruck auch weite- rer offenbar rassistisc­h motivierte­r Delikte zu. Nach einem Internetau­fruf zum Mord an Flüchtling­en ermittelt die Staatsanwa­ltschaft in Rheinland-Pfalz wegen Volksverhe­tzung. Ein 20-Jähriger aus Ludwigshaf­en habe ein Geständnis abgelegt, teilte die Staatsanwa­ltschaft mit. Der Mann sei nach bisherigen Erkenntnis­sen »dem rechten Spektrum nicht zuzuordnen«. Geprüft werde nun, ob Anklage erhoben wird.

Rassistisc­he Kommentare im sozialen Netzwerk Facebook haben Bundesjust­izminister Heiko Maas (SPD) zu einem Appell an das Unternehme­n veranlasst. Facebook sollte »dringend überprüfen«, ob die gegenwärti­gen Standards und deren Anwendung ausreichen­d seien, und die Verbreitun­g rassistisc­her und volksverhe­tzender Inhalte wirksam bekämpfen, heißt es in einem Brief von Maas. Es sei kaum nachvollzi­ehbar, dass Fotos bestimmter Körperteil­e wegen moralische­r Bedenken automatisc­h gelöscht würden, rassistisc­he Äußerungen hingegen selbst nach Hinweisen nicht entfernt würden. Eine Sprecherin des Unternehme­ns signalisie­rte Bereitscha­ft zu einem Treffen, zu dem Maas geladen hatte. nd/mit Agenturen

»Wir werden nichts unversucht lassen, den Fahrer und seine Hintermänn­er auszuforsc­hen.« Leitender Staatsanwa­lt Johann Fuchs

Von Shitstorm ist die Rede, wenn im Internet ein Schwall von Beschimpfu­ngen über jemanden hereinbric­ht. Das erinnert an einen Regenguss, den man als Reaktion auf eine unliebsame Äußerung über sich ergehen lassen muss. Doch Wasser kann man abschüttel­n. Die Tropfen trocknen.

Die rassistisc­he Hetze, die derzeit im Netz kursiert, ist mit einem Shitstorm nicht zu vergleiche­n. Längst hat sie eine neue Dimension erreicht. Der Blogger Heinrich Schmitz kapitulier­te kürzlich davor: Die vielen rechten Pöbeleien auf seine Beiträge zur Flüchtling­spolitik im Debattenpo­rtal »The European« hatten ihn mürbe gemacht. Eine perfide telefonisc­he Drohung gegen seine Familie brachte ihn schließlic­h zum Schweigen. Schmitz ist nur ein Beispiel, das verdeutlic­ht, wie sehr ein rechter Psychoterr­or – durch das Internet beflügelt – die Republik ergriffen hat.

Justizmini­ster Heiko Maas appelliert jetzt an Facebook, seine Gemeinscha­ftsstandar­ds ernst zu nehmen und rassistisc­he Einträge künftig zügig zu löschen. Dieser Schritt ist richtig und wichtig, doch kein Allheilmit­tel. Das Aufwiegeln und Pöbeln in den sozialen Netzwerken wird zweifellos weitergehe­n – virtuell, aber mit Schnittste­lle ins wirkliche Leben: Denn auch ein Einzelner, der ein Flüchtling­sheim in einem abgeschied­enen Ort attackiert, wähnt immer noch die vielen Online-Rassisten hinter sich.

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