2015 gab es bereits 683 rechtsextreme Vorfälle
Registerstellen in Bezirken verzeichneten Anstieg von Diskriminierungen / Senatorin Kolat besuchte Initiativen
Ressentiments unter den Berlinern zeigen sich in der gestiegenen Zahl von Pöbeleien, Beleidigungen und Beschimpfungen. Mehr Gewaltvorfälle als 2014 sind bislang aber noch nicht zu verzeichnen.
Der Hass auf Flüchtlinge und Migranten schlägt sich in Berlin immer häufiger in Beleidigungen und Pöbeleien nieder. »Mit Stand 23. August haben wir 683 rechtsextreme und diskriminierende Vorfälle verzeichnet«, sagt Andreas Ziehl vom Pankower Register. Für einen Besuch der Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) an diesem Donnerstag haben die elf Registerstellen in den Bezirken (nur Steglitz-Zehlendorf hat keine Dokumentationsstelle) die neuen Zahlen zusammengetragen. Bei rund 340 Vorfällen lag das Motiv Rassismus vor, was einen Anstieg im Vergleich zum Vorjahr bedeutet.
Die sogenannten Registerstellen sind so etwas wie »Frühwarnsysteme« für die demokratische Stadtgesellschaft in Berlin. Steigen in einem Kiez Propagandadelikte und rechte Übergriffe, bekommen es die Anlaufstellen zuerst mit. Wie 2012 in Buch oder vor kurzem in Weißensee können dann kurzfristig Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Viel Arbeit und Energie der Register-Mitarbeiter fließt in Pankow derzeit aber auch in die Koordinierung und Unterstützung der rund 300 ehrenamtlichen Flüchtlingsunterstützer im Bezirk.
Obwohl es in der Stadt in diesem Jahr bereits 117 rassistisch motivierte Veranstaltungen in der Stadt zu verzeichnen gab, schlägt sich die rechte Hetze bislang glücklicherweise noch nicht in mehr gewalttätigen Übergriffen nieder. Insgesamt 91 Angriffe hat die Opferberatungsstelle »Reach Out« bisher 2015 registriert. Im Vorjahr waren es insgesamt 179 Attacken mit einem rechtsextremen, rassistischen, antisemitischen oder homophoben Hintergrund. »Wir stellen fest, es gibt keine höheren Angriffszahlen«, sagt Helga Seyb von »Reach Out«. Schwerpunkte der Attacken sind die Bezirke Mitte und Pankow, die Übergriffe hängen nicht mit der Anwesenheit von Asylunterkünften zusammen.
Insgesamt 40 Initiativen wie »Reach Out« oder die Registerstellen unterstützt der Senat in seinem Landesprogramm gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Die dafür verantwortliche Senatorin Dilek Kolat (SPD) kündigte bei einer Busrundfahrt mit Journalisten am Donnerstag an, die finanzielle Unterstützung für die Projekte in Zukunft auszuweiten. Vorbehaltlich der Zustimmung des Abgeordnetenhauses in den Haushaltsverhandlungen sollen die Mittel für das Landesprogramm von bisher 2,5 Millionen Euro pro Jahr im kommenden Jahr um 200 000 Euro aufgestockt werden und im Jahr 2017 noch mal um 300 000 Euro. »Die Bekämpfung des Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus ist eine ständige Aufgabe«, sagt Kolat. Neben dem Opferschutz ist es das Ziel der noch unter Rot-Rot ausgearbeiteten Landeskonzeption, die Zivilgesellschaft zu stärken und präventive Maßnahmen zu ergreifen.
Das Projekt »ElternStärken« in Hohenschönhausen etwa, das bei der Rundfahrt ebenfalls angesteuert wird, hat sich zur Aufgabe gesetzt, Eltern zu helfen, deren Kinder in die rechte Szene abgerutscht sind. »Eine intakte Beziehung zu den Eltern ist entscheidend dafür, dass Kinder und Jugendliche herauskommen«, sagt Projektleiterin Eva Prausner. Wegen solcher Projekte und der aktiven Zivilgesellschaft ist die Neonazi-Szene in Berlin im Vergleich zu anderen Bundesländern schwach. Das Problem ist jedoch: »Der gewaltbereite Kern der rechtsextremistischen Szene erweitert sich durch Rassisten, die auch zur Tat bereit sind«, sagt Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin (MBR).
Mehr Geld im Kampf gegen Rechts wären angesichts der Gefahr wichtig. Nur: »Mit dem Doppelhaushalt wurde lediglich Vorsorge für steigende Kosten bei den Projekten getroffen, aber nirgendwo sind Mittel für zusätzliche Maßnahmen zu finden«, kritisiert der Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Abgeordnetenhaus, Udo Wolf. Für eine politische Offensive gegen Rechtsextremismus und Rassismus, die der Senat zusammen mit den Initiativen entwickeln müsste, fehlt nach Kenntnis der LINKEN nach wie vor jeder Plan.