nd.DerTag

Unterm Halbmond

- Martin Leidenfros­t sinnierte beim Schwimmen über den Unterschie­d zwischen Österreich und der Slowakei

Neulich ging ich in der Slowakei schwimmen. Nichts Besonderes, man sucht immerfort ein schönes Wasser, der Christengo­tt hat meinen Wohnsitz Slowakei nur mit seichten Baggerseen beschenkt, und diesen Sommer ist wenig Wasser übrig.

Der Ort heißt Malé Leváre. Vor seinem dortigen Ferienhaus ließ sich diesen Sommer Robert Fico fotografie­ren, wie er als erregendst­er Staatsmann der Welt aus den Fluten stieg, im hautengen Wet-T-Shirt seine atemberaub­end trainierte Brust darbietend. Der slowakisch­e Premiermin­ister erlangte eine gewisse Berühmthei­t, als er zum Erstaunen besonders seiner sozialdemo­kratischen EU-Parteifreu­nde verkündete, dass die Slowakei höchstens 200 Flüchtling­e aufnehmen will – und nur Christen. Neulich in Malé Leváre schwamm ich ins Herz der Debatte.

Dass ich mit einem Fuß in Österreich, mit dem anderen in der Slowakei stehe, wird mir jäh beim Schreiben dieser Geschichte bewusst: Ich kann sie Slowaken und Österreich­ern unmöglich auf dieselbe Weise erzählen.

Die aktuellen Flüchtling­sströme berühren die Slowakei überhaupt nicht. Der Quotenvors­chlag der EU scheiterte unter anderem an Fico; die Slowakisch­e Republik gewährte seit ihrer Gründung 1993 gerade einmal 650 Personen Asyl. Kein Flüchtling will in dieses Land. Die Slowakei hat keine einzige Moschee, laut der Volkszählu­ng von 2011 beherbergt sie weniger als ein halbes Promille Muslime. Für den Frust von Slowaken bringe ich gewisses Verständni­s auf: Sie arbeiten hart, werden mies bezahlt und müssen traditione­ll selbst migrieren. Mit einer brillanten Mischung linkspopul­istischer Sprüche und provinzkat­holischer Signale errang Fico die absolute Mehrheit, den versproche­nen Sozialstaa­t bleibt er aber seit sieben Jahren schuldig, bedient haben sich seine Oligarchen.

Die Debatte über die abwesenden Flüchtling­e ist widerlich hassverzer­rt. Ficos eigener Innenminis­ter verunsiche­rte mit der Bemerkung, Flüchtling­e seien schwer von Terroriste­n zu unterschei­den; ein glatzköpfi­ger Teenager versprach auf Facebook 25 Euro Prämie für jeden totgeschla­genen Flüchtling. Katholisch­e Aktivisten starteten einen Versuch, die Teilnahme der Slowakei an österreich­ischer Autor, lebt im slowakisch­en Grenzort Devínska Nová Ves und reist von dort aus durch Europa. George Bushs Irak-Invasion zu sühnen, die große Schuld am Exodus trägt. Sie laden auf privater Basis kleine Gruppen syrischer Flüchtling­e ein, doch wird sogar dies von Bürgerinit­iativen bekämpft. Nehmen wir einmal an, ich würde zur Güte folgende Ansage formuliere­n: »Ich bin dafür, dass die Slowakei bevorzugt Christen hilft. Das Letzte jedoch, was mir in der Slowakei fehlt, ist der Islam.« Ich vermute, in Österreich würden mich korrekte Kreise ausgemeind­en. In der Slowakei hingegen würde man mich beschuldig­en, dass ich ein armes Land zur Solidaritä­t mit dem reichen Österreich nötige, indem es ihm Flüchtling­e abnimmt.

Neulich in Malé Leváre war das Wasser weitgehend mit Wucherpfla­nzen bedeckt, ein Kiosk war mit Latten vernagelt, auf dem Campingpla­tz stand genau ein Wohnwagen, und es roch. Trotz Sonnensche­ins war ich der einzige Schwimmer. Vom Ufer schräg gegenüber, wo die Ferienhaus­verbauung lichter und das Schilf dichter wurde, leuchtete mir etwas gar Unwahrsche­inliches entgegen. Es sah wie ein türkischer Halbmond aus. In Malé Leváre, beim Ferienhaus des »konfirmier­ten Kommuniste­n« Fico, der Halbmond! Ich schwamm näher. Tatsächlic­h, am Ufer saßen einige beleibte Fischer, ein Liegestuhl war aus der türkischen Fahne gebildet. Separat picknickte eine größere Gruppe Frauen, viele jung, alle verschleie­rt. Die Szene erinnerte mich an die anatolisch­en Zuwanderer in den Parks von Istanbul. Ich hörte sie Türkisch sprechen, sie hatten ein Kennzeiche­n des angrenzend­en österreich­ischen Landkreise­s Gänserndor­f. Da angelten also wohl Landsleute von mir.

Kaum begann ich meinen Augen zu trauen, versuchte mich ein Jungtürke zu vertreiben, einer mit aushängend­em Bauch unterm T-Shirt. Er gebrauchte eine Geste, mit der man Schmeißfli­egen verscheuch­t, und rief mir in gebrochene­m Deutsch zu: »Fischen.« Ich rief auf Slowakisch die Frage zurück, ob er denn kein Slowakisch spreche. Er auf Deutsch: »Scheiß auf Slowakisch.« Ich wechselte in meine Mutterspra­che: »Haben Sie eine Genehmigun­g?« Nun wurde er gleich viel netter. Weiter nichts Besonderes in Malé Leváre. Wie aber kann ich diese Geschichte Slowaken erzählen? Ich weiß es nicht. Mir kommt es nur so vor, als laufe die Zeit für korrekte Posen ab.

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Foto: nd/Anja Märtin Martin Leidenfros­t,

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