Unterm Halbmond
Neulich ging ich in der Slowakei schwimmen. Nichts Besonderes, man sucht immerfort ein schönes Wasser, der Christengott hat meinen Wohnsitz Slowakei nur mit seichten Baggerseen beschenkt, und diesen Sommer ist wenig Wasser übrig.
Der Ort heißt Malé Leváre. Vor seinem dortigen Ferienhaus ließ sich diesen Sommer Robert Fico fotografieren, wie er als erregendster Staatsmann der Welt aus den Fluten stieg, im hautengen Wet-T-Shirt seine atemberaubend trainierte Brust darbietend. Der slowakische Premierminister erlangte eine gewisse Berühmtheit, als er zum Erstaunen besonders seiner sozialdemokratischen EU-Parteifreunde verkündete, dass die Slowakei höchstens 200 Flüchtlinge aufnehmen will – und nur Christen. Neulich in Malé Leváre schwamm ich ins Herz der Debatte.
Dass ich mit einem Fuß in Österreich, mit dem anderen in der Slowakei stehe, wird mir jäh beim Schreiben dieser Geschichte bewusst: Ich kann sie Slowaken und Österreichern unmöglich auf dieselbe Weise erzählen.
Die aktuellen Flüchtlingsströme berühren die Slowakei überhaupt nicht. Der Quotenvorschlag der EU scheiterte unter anderem an Fico; die Slowakische Republik gewährte seit ihrer Gründung 1993 gerade einmal 650 Personen Asyl. Kein Flüchtling will in dieses Land. Die Slowakei hat keine einzige Moschee, laut der Volkszählung von 2011 beherbergt sie weniger als ein halbes Promille Muslime. Für den Frust von Slowaken bringe ich gewisses Verständnis auf: Sie arbeiten hart, werden mies bezahlt und müssen traditionell selbst migrieren. Mit einer brillanten Mischung linkspopulistischer Sprüche und provinzkatholischer Signale errang Fico die absolute Mehrheit, den versprochenen Sozialstaat bleibt er aber seit sieben Jahren schuldig, bedient haben sich seine Oligarchen.
Die Debatte über die abwesenden Flüchtlinge ist widerlich hassverzerrt. Ficos eigener Innenminister verunsicherte mit der Bemerkung, Flüchtlinge seien schwer von Terroristen zu unterscheiden; ein glatzköpfiger Teenager versprach auf Facebook 25 Euro Prämie für jeden totgeschlagenen Flüchtling. Katholische Aktivisten starteten einen Versuch, die Teilnahme der Slowakei an österreichischer Autor, lebt im slowakischen Grenzort Devínska Nová Ves und reist von dort aus durch Europa. George Bushs Irak-Invasion zu sühnen, die große Schuld am Exodus trägt. Sie laden auf privater Basis kleine Gruppen syrischer Flüchtlinge ein, doch wird sogar dies von Bürgerinitiativen bekämpft. Nehmen wir einmal an, ich würde zur Güte folgende Ansage formulieren: »Ich bin dafür, dass die Slowakei bevorzugt Christen hilft. Das Letzte jedoch, was mir in der Slowakei fehlt, ist der Islam.« Ich vermute, in Österreich würden mich korrekte Kreise ausgemeinden. In der Slowakei hingegen würde man mich beschuldigen, dass ich ein armes Land zur Solidarität mit dem reichen Österreich nötige, indem es ihm Flüchtlinge abnimmt.
Neulich in Malé Leváre war das Wasser weitgehend mit Wucherpflanzen bedeckt, ein Kiosk war mit Latten vernagelt, auf dem Campingplatz stand genau ein Wohnwagen, und es roch. Trotz Sonnenscheins war ich der einzige Schwimmer. Vom Ufer schräg gegenüber, wo die Ferienhausverbauung lichter und das Schilf dichter wurde, leuchtete mir etwas gar Unwahrscheinliches entgegen. Es sah wie ein türkischer Halbmond aus. In Malé Leváre, beim Ferienhaus des »konfirmierten Kommunisten« Fico, der Halbmond! Ich schwamm näher. Tatsächlich, am Ufer saßen einige beleibte Fischer, ein Liegestuhl war aus der türkischen Fahne gebildet. Separat picknickte eine größere Gruppe Frauen, viele jung, alle verschleiert. Die Szene erinnerte mich an die anatolischen Zuwanderer in den Parks von Istanbul. Ich hörte sie Türkisch sprechen, sie hatten ein Kennzeichen des angrenzenden österreichischen Landkreises Gänserndorf. Da angelten also wohl Landsleute von mir.
Kaum begann ich meinen Augen zu trauen, versuchte mich ein Jungtürke zu vertreiben, einer mit aushängendem Bauch unterm T-Shirt. Er gebrauchte eine Geste, mit der man Schmeißfliegen verscheucht, und rief mir in gebrochenem Deutsch zu: »Fischen.« Ich rief auf Slowakisch die Frage zurück, ob er denn kein Slowakisch spreche. Er auf Deutsch: »Scheiß auf Slowakisch.« Ich wechselte in meine Muttersprache: »Haben Sie eine Genehmigung?« Nun wurde er gleich viel netter. Weiter nichts Besonderes in Malé Leváre. Wie aber kann ich diese Geschichte Slowaken erzählen? Ich weiß es nicht. Mir kommt es nur so vor, als laufe die Zeit für korrekte Posen ab.