Wie in einem Entwicklungsland
Die Bundesregierung reagiert in der Asylpolitik seit Monaten überaus lethargisch. Wie ein träger Computer, dessen Festplatte bis zum letzten Byte belegt ist. Selten hat man den Eindruck, dass die Kanzlerin Angela Merkel geradezu überfordert ist. Ausschließlich der öffentliche Druck hat sie dazu genötigt, nach den Ausschreitungen ins sächsische Heidenau zu fahren, um sich vor Ort von den Rassisten abzugrenzen. Sie sagte, was von ihr verlangt wurde, appellierte daran, dass jeder, der nach Deutschland komme, das Recht auf eine faire Behandlung habe. Es war eine blutleere Ansprache.
Werden diese Worte etwas ändern? Wird Merkel die Asylpolitik jetzt zur Chefsache erklären, wie es Optimisten im Anschluss geäußert haben? Wird sie womöglich den Notstand ausrufen, damit die Flüchtlinge schnell und unbürokratisch Hilfe bekommen? Wohl kaum. Dabei fordert einer aktuellen Umfrage zufolge jeder dritte Bundesbürger, dass für Asylbewerber mehr getan werden müsse.
Mittlerweile gibt es viele Menschen, die nicht mehr zusehen wollen, wie heillos überfordert die Behörden auf die Neuankömmlinge reagieren. Längst sind sie es, die jene oft geforderte »Willkommenskultur« vorleben. Sie vermitteln Flüchtlingen private Wohnräume, versorgen sie mit Möbeln und Kinderspielzeug. Mitunter ist ihr Engagement so weitreichend, dass sie vor überfüllten Aufnahmelagern die Grundversor- gung mit Lebensmitteln und Wasser übernehmen, wie bis vor wenigen Tagen in Berlin-Moabit. Ein Catering gab dort täglich rund 1200 Essen aus, finanziert durch private Spenden. Ein solches Engagement ist bislang beispiellos.
Als Bundespräsident Joachim Gauck diese Woche in Berlin ein Flüchtlingsheim besuchte, ging er übrigens nicht nach Moabit, sondern sprach in einer Einrichtung in Wilmersdorf über ein helles und dunkles Deutschland. So sehr er die freiwilligen Helfer auch lobte und die rassistischen Hetzer verurteilte, sein Auftritt wirkte angesichts der Szenen, die sich rund um die zentrale Aufnahmeeinrichtung in Moabit abspielten, deplatziert. Wie ein Wegschauen – als wollte er nicht wahrhaben, dass dort Zustände wie in einem Entwicklungsland herrschen.
Die Wirtschaft reagiert auf die Neuankömmlinge dagegen ganz anders als die hohen Repräsentanten der Republik. Viele Unternehmer zeigen sich aufgeschlossen gegenüber Asylbewerbern. Längst gibt es Firmen, die Flüchtlinge ohne Vorbehalte einstellen würden, vor allem natürlich in Branchen, die händeringend Arbeitskräfte suchen. So beabsichtigt die Deutsche Bahn, zwei spezielle Ausbildungsprojekte für junge Flüchtlinge einzurichten. Selbst die Bundesagentur für Arbeit appelliert an die Unternehmen, bei der Neubesetzung von Stellen auch an die Flüchtlinge zu denken, die durchaus Potenziale aus ihren Heimatländern mitbrächten. Denn es ist damit zu rechnen, dass insbesondere die Flüchtlinge aus Kriegsgebieten lange in Deutschland bleiben werden. Für einen Neuanfang müssen sie eine Chance bekommen – auch auf dem Arbeitsmarkt.
Noch vor nicht allzu langer Zeit schienen solche Vorschläge undenkbar. Da verfolgte die Bundesregierung eine überaus restriktive Asylpolitik, die Flüchtlingen den Zutritt zum Arbeitsmarkt schlicht verwehrte. Sie sollten keinesfalls Anreize zum Bleiben erhalten. Ihre Bewegungsfreiheit war mit der Residenzpflicht stark eingeschränkt, und vielerorts bekamen sie Gutscheine statt Bargeld. Somit saßen sie teilweise jahrelang vor ihren Containern und waren zur Untätigkeit verdammt.
Wenn man die Asylpolitik in der Vergangenheit betrachtet, dann verwundert Merkels zögerliche Haltung nicht mehr. Sie scheut sich vor einer Kehrtwende – nicht zuletzt aufgrund der Spannungen in der eigenen Partei: Zwar strebt die CDU an, sich zu modernisieren, um auch für weltoffene Großstädter attraktiv zu werden, die als offen für eine Integration von Flüchtlingen gelten. Doch gibt es auch noch immer die Konservativen am rechten Rand. Jene Pegida-Versteher will die Kanzlerin nicht ohne Weiteres aufgeben.