»Das war versuchter Mord«
Anschlag auf Flüchtlingsheim in Niedersachsen / Auch in Aue brannte es in einer Asylbewerberunterkunft
Die jüngsten Angriffe auf Asylbewerber haben eine neue Dimension erreicht: Unbekannte verübten am Freitag bei Hameln einen Brandanschlag auf ein bewohntes Flüchtlingsheim.
Die Serie von Anschlägen auf Flüchtlingswohnheime und gewalttätigen Angriffen auf Ausländer reißt nicht ab. Im niedersächsischen Salzhemmendorf schleuderten Unbekannte in der Nacht zum Freitag einen Brandsatz durch ein geschlossenes Fenster im Erdgeschoss einer früheren Schule, in der zurzeit Flüchtlinge untergebracht sind. In Aue im Erzgebirge brannte es ebenfalls in einer Asylbewerberunterkunft. In weiteren Städten wurden Asylbewerber einzeln auf der Straße angegriffen.
Mitten in der Nacht, kurz nach zwei Uhr, war bei der Feuerwehr des Kreises Hameln-Pyrmont in Niedersachsen ein Notruf eingegangen, wenige Minuten später waren die ersten Löschfahrzeuge vor Ort: Aus dem ehemaligen Schulgebäude in der Salzhemmendorfer Hauptstraße drang dicker Qualm. Mit schwerem Atemschutz retten die Feuerwehrleute etwa 40 Menschen aus dem Gebäude. Unter ihnen ist auch eine 34-jährige Frau aus Simbabwe mit ihren vier, zehn und elf Jahre alten Kindern. Die Familie lebt in der Erdgeschosswohnung, zur Zeit des Anschlags befand sie sich jedoch in einem Nebenraum und blieb unverletzt. Eines der Kinder hatte sonst in dem vom Feuer zerstörten Raum geschlafen.
Die Polizei vermutet einen ausländerfeindlichen Anschlag und setzte eine 30-köpfige Ermittlungsgruppe ein. Sie geht von einer Einzeltat aus, auf die sie »nicht vorbereitet« gewesen sei. Es habe in dem Ort keinerlei Proteste gegen das Flüchtlingsheim gegeben, es gebe auch keine rechte Szene, heißt es.
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), der das attackierte Gebäude am Vormittag besuchte, spricht danach von »versuchtem Mord« und den »schwerwiegendsten Vorgängen, die wir in Niedersachsen in den letzten Monaten und Jahren erlebt haben«. Nur knapp seien viele Menschen dem Tod und Verletzungen entgangen. Die Täter hätten bewusst in Kauf genommen, dass Kinder, Frauen und Männer verbrennen könnten. Die Staatsanwaltschaft Hannover stuft den Fall hingegen zunächst als schwere Brandstiftung ein. »Aber das ist keine abschließende rechtliche Bewertung«, schränkte Behördensprecherin Kathrin Söfker ein.
Auch SPD, Grüne und Kirchenvertreter aus der Region äußerten sich bestürzt über den Anschlag. »Es ist furchtbar, wenn Menschen, die vor Krieg und kriegerischen Auseinandersetzungen geflohen sind, auch bei uns um ihr Leben bangen müssen«, sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Jürgen Trittin. Der Hamelner Landrat Tjark Bartels (SPD) rief für den späten Nachmittag zu einer Kundgebung in Salzhemmendorf auf. Bereits am Mittag versammelten sich Menschen vor dem abgesperrten Haus und brachten den Flüchtlingen Kuchen und einen Tretroller für die Kinder.
Die Gewerkschaft der Polizei in Niedersachsen fordert die umgehende Einrichtung einer landesweiten Koordinierungsstelle und die Wiedereinrichtung einer Landeszentrale für politische Bildung. Es sei
Andere Salzhemmendorfer bringen den Flüchtlingen Kuchen und einen Tretroller für die Kinder.
»unerlässlich, die politische Aufklärung der Bevölkerung voranzutreiben, um Straftaten wie in Salzhemmendorf keinen Nährboden zu bieten«, sagt GdP-Landesvorsitzender Dietmar Schilff.
Gleichzeitig brannte in einer Asylbewerberunterkunft im erzgebirgischen Aue ein Teil des Dachstuhls. Niemand wurde verletzt, doch die Unterkunft im Stadtteil Alberoda musste evakuiert werden. Helfer brachten die Flüchtlinge in andere Teile des Gebäudes. Die Löscharbeiten dauerten mehr als eine Stunde. Einer der Räume ist bis auf weiteres nicht mehr zu betreten. Die Polizei geht auch hier von Brandstiftung aus. Ein Tatverdächtiger wurde bereits ermittelt, berichtet die »Freie Presse« in ihrer online-Ausgabe. Es ist der vierte Brand innerhalb von vier Tagen auf dem Gelände. Erst in der Nacht gegen drei Uhr hatten Unbekannte dort Mülltonnen angezündet.
Im brandenburgischen Schwedt wurde ein Somalier mit einem Stein beworfen und verletzt. Auch in Lübeck (Schleswig-Holstein) wurde ein Asylbewerber aus Syrien tätlich angegriffen, zudem die Glasscheibe eines Wohncontainers für ein neues Flüchtlingsheim eingeworfen. Die festgenommenen Tatverdächtigen gehören zur rechten Szene und sind der Polizei bekannt. Offenbar vertuscht werden sollte ein Angriff auf ein Flüchtlingsheim im sächsischen Plauen. Daran waren in der Nacht zum 25. August angeblich zwischen 20 und 50 Rechtsextremisten beteiligt.