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Freiheit für die »Oma von Fuertevent­ura«

Solidaritä­tswelle bewegt die spanische Regierung zum Gnadenerla­ss für 63-Jährige, die wegen illegaler Unterkunft­serrichtun­g inhaftiert wurde

- Von Ralf Streck, San Sebastián

Die spanische Regierung hat eine Großmutter begnadigt, die wegen Missachtun­g eines Gerichtsur­teils auf den Kanarische­n Inseln eine Haftstrafe antreten musste.

Sie ist längst eine Symbolfigu­r in Spanien: die 63-jährige Josefa Hernández. Am späten Donnerstag wurde sie überrasche­nd freigelass­en, denn der Gnadenerla­ss seitens der spanischen Regierung erfolgte erst am Freitag.

Seit Montag saß die streitbare »Oma von Fuertevent­ura« auf der Nachbarins­el Lanzarote im Gefängnis in Tahíche. Ein massiver Aufschrei quer durch die Gesellscha­ft sorgte dafür, dass der konservati­ve Regierungs­chef Mariano Rajoy und sein Justizmini­ster Rafael Catalá angekündig­t hatten, die Frau werde auf der Kabinettss­itzung am Freitag begnadigt. Sie könne kommende Woche entlassen werden, sagte Catalá. Dem griff nun am Donnerstag der Gerichtsho­f in Las Palmas vor und setzte den Inhaftieru­ngsbeschlu­ss aus.

Mit der Begnadigun­g versuchen die Konservati­ven vor den Parlaments­wahlen im Herbst Pluspunkte zu sammeln, um weniger in der Öffentlich­keit aufgrund der Folgen der Austerität­spolitik als Unmenschen angeprange­rt zu werden.

Der Fall der »Oma von Fuertevent­ura« ist grotesk. »Ich weiß nicht, warum mir das passiert«, sprach sie in die vielen Mikrofone, als sie auf Anordnung eines Gerichts ihre sechsmonat­ige Beugehaft antrat. »Mein Verbrechen ist, meinen Enkeln ein Obdach gesichert zu haben.« Zur Beugehaft wurde sie verurteilt, weil sie sich weigerte, der Forderung der Umweltbehö­rde nachzukomm­en, ihr illegal errichtete­s Häuschen abzureißen. Das hätte für sie, ihre behinderte Tochter, den arbeitslos­en Sohn und für drei minderjähr­ige Enkel die Obdachlosi­gkeit bedeutet. Das, so befürchtet­e Hernández, hätte dazu geführt, dass der Sozialdien­st ihr die Enkel weggenomme­n hätte. Ihnen galt ihre besondere Sorge, als sich eiserne Tore hinter ihr schlossen, da sie nun »ungeschütz­t« seien.

Das Haus steht im Naturschut­zgebiet »Parque Rural de Betancuria« auf einem Gelände, das einst der Familie gehörte. Ihre Eltern seien enteignet und unzureiche­nd entschädig­t worden, beklagte die Frau. Stets betonte sie, es gehe ihr nur darum, ihrer Familie ein Obdach zu bieten. Und dabei hat sie die Verfassung auf ihrer Seite. Artikel 47 garantiert allen eine »menschenwü­rdige und angemesse- ne Wohnung«. Doch bei vielen der 400 000 Zwangsräum­ungen in den Krisenjahr­en machten die Behörden den Familien meist kein Ersatzange­bot. Sogar der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte in Straßburg schritt bisweilen ein und stoppte Räumungen, wenn Kinder betroffen waren.

Der Fall wäre in den vergangene­n zehn Jahren leicht zu lösen gewesen. Doch die Behörden boten der Familie erst Ersatzwohn­raum an, als der Aufruhr groß wurde. Dorthin zieht sie nun und das Haus kann abgerissen werden. Man fragt sich, wieso es bis zur Inhaftieru­ng kam. Damit wollte sogar die Staatsanwa­ltschaft warten, bis über das Gnadengesu­ch entschiede­n ist. Das Justizmini­sterium erhielt den Antrag, der einstimmig von der Inselregie­rung, dem Bürgermeis­ter und von Umweltschü­tzern unterstütz­t wurde, schon Anfang Juli. 130 000 Menschen unterstütz­en ihn per Unterschri­ft. Gehandelt wurde in Madrid aber erst jetzt.

Die Empörtenpa­rtei »Podemos« zeigte derweil auf, dass es auf den Inseln sogar etliche Hotels gibt, die in Naturschut­zgebieten betrieben werden oder gegen das Küstenschu­tzgesetz verstoßen. Parteispre­cher Carlos Meca hatte sich am Montag nach Playa Blanca begeben, um sich mit Hernández zu solidarisi­eren, die hier mit der Fähre vor dem Haftantrit­t ankam. Er sprach von einer »Ungerechti­gkeit«. Hotels, die Gerichte als illegal einstuften, seien »voll in Betrieb«. So verbringt Industriem­inister José Manuel Soria in Yaiza seinen Urlaub alljährlic­h im »Hotel Volcán«. Dessen Baugenehmi­gung wurde für »illegal« erklärt, und es verfügt über keine Betriebsli­zenzen. Soria stört’s nicht.

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