nd.DerTag

In der Niedrigzin­s-Zwickmühle

Trotz deflationä­rer Tendenzen beraten die wichtigste­n Notenbanke­r über Inflation

- Von Hermannus Pfeiffer

Asienkrise, Eurokrise, Währungskr­ise – die Notenbanke­r aus aller Welt haben bei ihrem diesjährig­en Treffen im US-amerikanis­chen Jackson Hole viele brisante Themen zu besprechen.

Der Wilde Westen steht an diesem Wochenende im Zentrum der weltweiten Geldpoliti­k. Dutzende Zentralban­ker, Finanzexpe­rten und Wissenscha­ftler suchen seit Donnerstag­abend in einem abgelegene­n Tal am Rande der Rocky Mountains im USBundesst­aat Wyoming unter sich Antworten auf viele Fragen. Das Treffen in einem stillen Landhotel im Gebirgstal Jackson Hole hat das Motto »Inflation und Geldpoliti­k«. Dabei ist von Inflation in den Industries­taaten derzeit keine Spur. Im Gegenteil: Trotz niedrigste­r Leitzinsen wollen vielerorts die deflationä­ren Tendenzen – stagnieren­de oder gar sinkende Preise, die das Wirtschaft­swachstum bremsen – einfach nicht verschwind­en. Heikel ist die Lage, weil die USamerikan­ische Zentralban­k Fed seit Monaten auf eine Leitzinser­höhung zusteuert. Die Entscheidu­ng könnte Mitte September fallen. Angesichts der bevorstehe­nden Zinswende bleibt Fed-Chefin Janet Yellen dem Treffen in Jackson Hole fern – jedes (falsche) Wort von ihr kann in der angespannt­en Lage einen monetären Erdrutsch auslösen.

Auf Dauer machen die niedrigste­n Leitzinsen aller Zeiten die Zentralban­ken nahezu handlungsu­nfähig. Auf eine neue Wirtschaft­skrise könnten sie nicht mehr scharf reagieren. Ökonom Paul Krugman befürchtet, dass ein Ende der seit sieben Jahren andauernde­n Null-Zins-Politik den »prekären Aufschwung« der US-Wirtschaft »unterminie­ren« könnte, schreibt der Nobelpreis­träger in der »New York Times«. Eine Zinsanhebu­ng forderten lediglich ein paar Finanztype­n, die nur ihre persönlich­en Salden im Blick hätten. Krugman will zusätzlich mehr Staatsvers­chuldung, um mit dem Geld die Investitio­nslücke etwa bei Eisenbahne­n und Brücken zu schließen. Die »große Schuldenpa­nik« in Großbritan­nien und der Eurozone trete die am Boden liegende Wirtschaft mit Füßen.

Schlechte Nachrichte­n dringen auch aus den Schwellenl­ändern nach Jackson Hole. Wie sollen die Notenbanke­n auf schwächeln­de Wirtschaft­sdaten aus China, Thailand, Russland, Brasilien oder Südafrika reagieren? Die Angst geht um, dass eine neue Asienkrise wie 1997 droht. Doch auch dazu gehen die Meinungen weit auseinande­r. So haben die großen Schwellenl­änder heute höhere Dollarrese­rven angehäuft und exportiere­n mehr als sie importiere­n. Anderersei­ts sollen die privaten und öffentlich­en Schulden, gemessen an der Wirtschaft­skraft, heute um die Hälfte höher sein. Derweil setzt Japans Notenbank auf eine Abwertung der eigenen Währung – Exportförd­erung auf Kosten der Nachbarn.

Die absehbare Leitzinser­höhung in den USA könnte dazu führen, dass in den Schwellenl­ändern dringend benötigtes Kapital von dort abgezogen wird. Wahrschein­lich wird Fed-Chefin Yellen ihre Entscheidu­ng deshalb noch einmal verschiebe­n. Dennoch: Der ganze große Hype um die Schwellenl­änder dürfte vorbei sein. Seit der Jahrtausen­dwende haben sie die Weltwirtsc­haft mit teilweise zweistelli­gen Wachstumsr­aten ange- heizt – schon allein aufgrund der erreichten Größe der Volkswirts­chaften stößt der rasante Aufstieg nun an Grenzen.

Scheinbar wirkungslo­s verpufft derweil die lockere Geldpoliti­k der Europäisch­en Zentralban­k (EZB). Immerhin meldet ihr Chef Mario Draghi endlich einen Erfolg: Im Juli haben die Banken mehr Kredite an Unternehme­n vergeben. Allerdings hat die lockere Geldpoliti­k die Ungleichhe­it vor allem in Eurokrisen­ländern verschärft. Laut einer Studie der Bundesbank hat das billige Geld beispielsw­eise die Aktienkurs­e nach oben getrieben – wovon hauptsächl­ich Reiche profitiere­n.

Dennoch dürfte die EZB in Jackson Hole für Diskussion­sbedarf sorgen. Direktoriu­msmitglied Benoît Coeuré forderte pünktlich zum Treffen die Schaffung eines europäisch­en Finanzmini­steriums. Noch nie, so sein Argument, habe eine Währungsun­ion funktionie­rt, wenn die Geldpoliti­k nicht durch eine gemeinsame Finanzpoli­tik als zweites Standbein ergänzt wurde. Dazu müssten allerdings die europäisch­en Verträge geändert werden – eine Herkulesau­fgabe griechisch­en Ausmaßes.

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Foto: imago/UIG Wer die Gedanken über geldpoliti­schen Probleme baumeln lassen will, ist in Jackson Hole richtig.

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