Himalaya in Westfalen
Helge Schneider wird am Sonntag 60 – Nachdenken über Adorno, Hitler und Potsdams Landtag
Der Unterschied zwischen Theodor W. Adorno und Helge Schneider: Adorno war zu talentlos, um sich eine »Singende Herrentorte« nennen zu können.
Katzeklo, Fitze-Fatze – anderes sagt Adorno auch nicht, wenn er feststellt: »Die gesellschaftliche Totalität führt kein Eigenleben oberhalb des von ihr Zusammengefassten, aus dem sie selbst besteht.« Nur konnte der Philosoph nicht so gut Klavier, Saxophon, Akkordeon, Vibraphon, Gitarre, Hawaiigitarre, Blockflöte, Schlagzeug, HammondOrgel, Cello und Trompete (mit einer Tafel Schokolade im Mund) spielen wie Helge Schneider. Adorno war also zu talentlos, um sich eine »Singende Herrentorte« nennen zu dürfen.
Schneider weiß, dass er den Zeigefinger hebt, und alle lachen. Der Clown kann also nichts mehr tun, ohne dass gelacht wird – das ist Schicksal. Und: Er muss nichts mehr tun, damit gelacht wird – das ist Meisterschaft. Der Mann aus Mülheim an der Ruhr bestand einst eine Sonderbegabtenprüfung am Duisburger Konservatorium. Gefordert war eine Eigenkomposition, doch er spielte eines der populärsten Jazz-Stücke überhaupt: Dave Brubecks »Take Five«. Auf die Frage, ob die Anforderungen hoch waren am Konservatorium, antwortete er: »Für mich nicht. Aber die Anforderungen sind immer hoch, wenn einer weniger talentiert ist.«
Gilt fürs ganze Leben, das selten gute Pointen hat. Weswegen Schneider nie auf Pointenjagd geht. Philosoph eben. Sehr weise: Er war Bauzeichner, Straßenfeger, Fließbändler, Orgelverkäufer, Landschaftsgärtner (auf dem Mittelstreifen der A 14 Bäume pflanzen? Horror!), alles nur Stunden, Wochen, höchstens Monate. Ein Süchtiger nach Neuanfängen – der auf diese Weise beizeiten herausfand, was man nicht braucht fürs Leben. Er zum Beispiel brauchte stets wenig, aber viel Musik (beim ersten Auftritt in München kam ein einziges Pärchen, er zog achtzig Minuten Soloprogramm durch, später schrieb er unter Pseudonym lobende Zeitungskritiken über sich).
Er ist der Harald Schmidt derer, die Olli Dittrichs »Ditsche« für den Sloterdijk des wohlverdient kampfmüden Proletariats halten. Er ist geschmacklos. Geschmacklosigkeit ist die letzte Form von Charakter, wenn man sich entschlossen hat, ein Deutscher im Entertainment zu sein, ohne sich dafür schämen zu wollen. Manchmal sieht er ein wenig aus wie Reinhold Messner, eine gewisse Wahlverwandtschaft ist nicht zu leugnen, bei- de suchten einst zu gleicher Zeit das Abenteuer an wahrhaft unwirtlichen Erdstellen, Messner am Himalaya, Schneider als Tournee-Komiker in der westfälischen Provinz. Mit dröhnender Lautstärke, perfekt gespieltem Dilettantismus und maulfaulem Stumpfsinn (all diesen Tarnkappen seiner perfekten Musikalität!) hat er sich zum Gipfelpunkt komischer Wirkung gearbeitet: umjubelt zu werden, ohne auch nur eine Gesichtsfalte zu bewegen. Die totale Erstarrung als Hochform der Verausgabung – woran politische Systeme zerbrechen, das erhob Schneider zur Kunst. Am Klavier: niveaustolzes Virtuosentum in Paarung mit der flapsigen Nonchalance des jazzigen Spaßmachers.
Er hat keinen Stil, er hat sich. Er weiß vor keinem Auftritt, was geschehen wird. Er reist selten und fliegt nie. Er will sich kein Tempo zumuten, das nicht zu seinem Leben passt. Aber dies Tempo schuf Musik, Filme, Bücher (»Das scharlachrote Kampfhuhn«, »Eiersalat – eine Frau geht seinen Weg«, »Aprikose, Banane, Erdbeer – Kommissar Schneider und die Satanskralle von Singapur«, »Apokalüze. Nau!!!!«) – in einer Qualität, die ihm übrigens auch verbietet, Werbeverträge abzuschließen. Und als er in einem Film von Dani Levy den Hitler spielte, gab er irgendwann keine Autogramme mehr. »Ich wusste nicht, wollen die eine Unterschrift von mir oder von Hitler?« Schneider spielte Hitler als Beleg einer deutschen Leistung: dass wir nicht locker lassen im Unbehagen bei diesem Thema, aber dass wir im Leiden an dieser Unbehaglichkeit doch auch locker sein können. Das weiterhin Sperrige bei der Annäherung an die historische Figur liegt darin, dass die Eindeutigkeit des Urteils, Hitler sei ein Feind des Menschengeschlechts, nichts von der anderen Wahrheit nimmt: Er war ein Mensch. Eine unbequeme Wahrheit, wenn sie uns auf den Leib rückt. Zum Beispiel erregten vor geraumer Zeit die Porträts des Malers Lutz Friedel »Ich! Meine Selbstporträts zwischen 1635 und 2003« im neuen Landtag von Potsdam großen Anstoß, weil sich Friedel nicht nur mit Gesichtern übermalte (Liebermann, Baudelaire, Don Quichote), sondern auch mit Visagen. Goebbels, Hess und eben – Hitler. Und das ausgestellt in einem Landtag? Aber dies übersahen die Kritiker in ihrem groben Urteilsraster: Das Porträt zeigte nicht Hitler, sondern Friedel – übermalt als Helge Schneider in der Rolle Hitlers. Ein Unterschied. Mehrfache Brechungen von Bild und Abbild, Vor-Bild und Such-Bild: Wir sind, was wir sind, aber tief in uns lauert ein bösester Möglichkeitssinn, und vielleicht liegt ein Großteil Lebenswert in der Kraft, ihn nie aus dem Käfig zu lassen.
In Levys Film schafft es Helge Schneider fast, den Diktator sich im spießig Familiären vertrotteln zu lassen. Es gab Pro und Kontra. Um über Hitler gemeinsam zu lachen, wird es für Deutsche immer zu früh sein. Um es dennoch zu schaffen, ist es zu spät: Denn man kam leider nicht rechtzeitig auf die geniale Idee, ihn als Dämon zu erfinden – des Deutschen Fantasie reichte nur, um ihn blöde, bitterste Wirklichkeit werden zu lassen. Das haben wir nun davon – das Lachen über diesen Grauenskerl möchte immer lauter werden, just weil sich in unserem Inneren nach wie vor etwas dagegen wehrt.
Wenn dieser Clown Schneider nach einem Satz lächelt, lächelt er wohl darüber, wie der Zuhörende jetzt sichtbar in die Unsicherheit rauscht. Weil der nicht weiß: Ist alles ernst gemeint oder nicht? Helge Schneider, der am Sonntag sechzig wird, ist ganz kühn unverfügbar. Das kann verdammt schiefgehen – vielleicht aber beginnt dann erst des Komödianten Größe: Er buhlt nicht darum, verstanden zu werden, er bleibt ganz bei sich, er gibt Heimatgefühl – indem er die Leute ins Leere laufen lässt, aus dem sie kommen.