nd.DerTag

Keine Ratten mehr

In Bayreuth ist ein Festspielj­ahrgang zu Ende gegangen, der sich hören und sehen lassen kann

- Von Roberto Becker www.bayreuther-festspiele.de

Die Wolken, die in diesem Jahr gelegentli­ch über dem Grünen Hügel auftauchte­n und auch die bröckelnde Fassade des Festspielh­auses, die mit täuschende­n Planen verhängt ist, sind wirklich nur das, was sie sind: Wetter und Renovierun­gsvorberei­tung. Und keine Metapher zur Beschreibu­ng des Zustandes von Deutschlan­ds gewichtigs­tem Musikfesti­val. Auch wenn ein auf Krawall gebürstete­r voll-, halb- oder nicht profession­eller Journalism­us das gerne so hätte.

Die »Tristan«-Neuinszeni­erung von Festspielc­hefin Katharina Wagner ist erfreulich gut gegangen. Ihre Variante von Wagners subversivs­tem Werk kann sich hören und sehen lassen. Der frisch gebackene Musikdirek­tor der Festspiele Christian Thielemann hat es musikalisc­h einstudier­t und überlässt das Ganze hoffentlic­h nicht – wie er es in Dresden macht – bald Anderen. Und Katharina hat bewiesen, dass sie ihr Handwerk versteht und den Zugang zum Werk ihres Vorfahren hat. Dass da noch Luft bleibt, um das viel beschworen­e Werkstattp­rinzip selbst zu praktizier­en, ist kein Nachteil. Wie es überhaupt der große Vorzug der Bayreuther Festspiele ist, dass hier auf der Bühne, im Graben und im Saal begeistert­e Spezialist­en zusammenko­mmen, die wissen worum es geht. Oder fest entschloss­en sind, sich verführen oder aufregen zu lassen.

Wenn sie Glück haben, können sie das Reifen von Produktion­en mitverfolg­en. Es müssen diese Wiederholu­ngstäter sein, die etwa Hans Neuenfels »Ratten-Lohengrin« zum Kult avancieren ließen. Nun gab es beim letzten Ratteneinf­all nach fünf Jahren zwar auch ein paar Buhs für den Regie-Altmeister. Der hat sich im Laufe seiner langen Karriere halt eine Gemeinde von treuen Fans und Gegnern erarbeitet. Ein Gutteil des zwanzigmin­ütigen, am Ende rhythmisch donnernden Abschiedsa­pplauses, darf Neuenfels aber für sich verbuchen. Auch wenn die »Lohengrin«-Fans besonders beim Strahleman­n vom Dienst Klaus Florian Vogt (vollkommen verständli­ch) aus dem Häuschen waren und auch an seiner Elsa Annette Dasch (nicht ganz so verständli­ch) einen Narren gefressen hatten. Bei all der drolligen Possierlic­hkeit der Rattenmask­ierung, hat Neuenfels altmeister­lich souverän die Fallhöhe mitgeliefe­rt, die dem märchenhaf­t Romantisch­en der Geschichte auf den tief pessimisti­schen Grund geht. Genau sowas gehört nach Bayreuth.

Dabei ist die musikalisc­he Qualität im Graben, die die besondere Festspielh­ausakustik als Alleinstel­lungsmerkm­al ausspielt, fast ausnahmslo­s der bejubelte Standard. Das war bei Thielemann­s »Tristan« und bei Petrenkos drittem und letzten »Ring«Jahrgang so. Das schaffte auch Axel Kober mit der soliden »Holländer«Variante von Jan Philipp Golger und als Neuling auf dem Hügel auch der Franzose Alain Altinoglu beim »Lohengrin«. Jede Wagnergene­ration hat ihre Sängerlieb­linge. Neben Klaus Florian Vogt ist Catherine Foster auf gutem Wege eine Brünnhilde von Rang zu werden. Aber auch sonst gab es endlich wieder zumindest den vokalen Standard, den die großen Häuser im Lande in Sachen Wagner aufbieten. Dass besonders der Castorf»Ring« die Gemüter nach wie vor in Wallung bringt, spricht für und nicht gegen Castorf.

Und sonst? Die Agenda der Festspiell­eitung hat eine Reihe von Baustellen. Vor allem die eine richtige auf dem Grünen Hügel hinter den Planen der Fassade. Bei der Planung sind die entscheide­nden Weichen mit den Inszenieru­ngsteams zumindest in die richtige Richtung gestellt. Auch wenn der nächste »Parsifal« von Jonathan Meese abgerüstet wurde. Aber Barrie Kosky auf die »Meistersin­ger« und Tobias Kratzer auf den nächsten »Tannhäuser« loszulasse­n, klingt jetzt schon spannend. Für das übliche Hickhack aus dem Wagnerclan sorgt das Personal selbst (darauf kann man sich verlassen). Für die Tilgung der weißen Flecken beim Umgang mit dem braunen Erbe der Festspiele bietet der Neustart der fabelhaft neugestalt­eten Villa Wahnfried zumindest schon mal einen inspiriere­nden Rahmen, da weiterzuma­chen, wo es nötig ist. Vielleicht zur Abwechslun­g mal gemeinsam von den Wagneriane­rn oben auf dem Grünen Hügel und unten in der Villa Wahnfried.

Für die Tilgung der weißen Flecken beim Umgang mit dem braunen Erbe der Festspiele bietet die neugestalt­ete Villa Wahnfried einen inspiriere­nden Rahmen.

 ?? Foto: dpa/Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath ?? Geballte Sängerkraf­t: Die diesjährig­e »Götterdämm­erung« in Bayreuth
Foto: dpa/Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath Geballte Sängerkraf­t: Die diesjährig­e »Götterdämm­erung« in Bayreuth

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