Fantasie und Fleisch
Zum Tod des Schauspielers und Regisseurs Peter Kern
Die Politikerrede und der Talkshow-Auftritt: zeitbedingte Muster des Meinens und Denkens, Belege eines zutiefst abgelenkten und ermüdeten Bewusstseins. Die Äußerungen zu Schicksalsfragen der Menschheit werden einerseits dringender, umfassender, gleichzeitig merkt man selbst den (sünden)gewissenhaftesten der Prominenzstimmen an, dass sie aus lauter abgedienten Konzepten und Überzeugungen abgeleitet und montiert sind. Von daher speist sich eine Sehnsucht nach dem seltsamen Menschen, der in ein Zentrum tritt und doch ver-rückt wirkt. Es wächst Sehnsucht nach dem Störrischen, Deplatzierten, nach dem Überempfindlichen, der noch im gleißenden Licht der Isolierte bleibt, weil er auf wundersame Weise Kontur zeigt. Der mit dem blendenden Licht spielt, um seinem Leiden Adel zu geben. Adel freilich, dessen Gala-Robe – die Entblößung ist. Peter Kern war so einer.
Der Schauspieler bewegte sich durch die Filme von Fassbinder und Syberberg, Dietl und Geißendörfer, durch die Aufführungen von Zadek und Schlingensief wie ein geradezu beseeltes Verlust-Glühen. Tiefste Verzweiflung, präsentiert aber mit der fülligen Heiterkeit einer Krisenschwelgerei, die so sehr amüsierte, wie sie berührte. Wo er mitwirkte, entstanden bisweilen Tagebücher, deren Veröffentlichung zu Rauswürfen führten: ungenierte Abrechnungen mit den Produktionsapparaten, gezielte Indiskretion. In Talkrunden dann: der weiße Seidenschal als Flagge eines aus den Rudern laufenden Dandys, der schwer an sich trug und doch federleicht seinen sarkastischen Geist in die Runde warf. Jenen Wiener Geist, der im Mut die Gemütlichkeit nicht aufgibt, in der Ketzerei nicht den Kirchendienst, im Lebenslied nicht den Todesgruß. Wiener Schmäh eben.
Er war eitel. Er drang auf Selbstfeier. Er rumorte mit aller Perfektion eines porzellanfeindlichen Ungeschicks. Wenn der 1949 in Wien Geborene seinen Leib offenbarte, schien da immer auch tiefe Traurigkeit am Werk zu sein: die Klugheit, der Witz, die intelligente Unverfrorenheit als verzweifelte Zuflucht dessen, der im Leben nicht das Fleisch fand, das er für sich ersehnte. Sein Vater war ein Wiener Kommunist, die Mutter Hausfrau – dem Sohn schärfte sich früh der Blick für die Not, mit der eigenen Pathologie leben zu müssen. Das Banale als das Unaufräumbare; der Kitsch als schöner Scheinweg aus der Irrationalität der Existenz.
Kern wurde der heftige Außenseiter, der mit Energie und Eifer widerspenstige, verstoßene, höchstens an den Rändern triumphierende Spielund Dokfilme drehte (»Die Insel der blutigen Plantage«, »Haider lebt – 1. April 2021«, »Donauleichen«). Kunst, sehr blutsudelfröhlich, mit sexistischem Augenzwinkern, rohe Unverblümtheit, plebejische Schmutzgier. Einmal schrieb er, er wolle das Paradies sehen. Er wusste, es ist nur von der Hölle aus zu erkennen. So fand er seinen Ort, um auf sehr eigene, prunkende Weise nicht heimisch zu werden. Nun ist Peter Kern mit 66 Jahren in Wien gestorben.