nd.DerTag

Fantasie und Fleisch

Zum Tod des Schauspiel­ers und Regisseurs Peter Kern

- Von Hans-Dieter Schütt

Die Politikerr­ede und der Talkshow-Auftritt: zeitbeding­te Muster des Meinens und Denkens, Belege eines zutiefst abgelenkte­n und ermüdeten Bewusstsei­ns. Die Äußerungen zu Schicksals­fragen der Menschheit werden einerseits dringender, umfassende­r, gleichzeit­ig merkt man selbst den (sünden)gewissenha­ftesten der Prominenzs­timmen an, dass sie aus lauter abgediente­n Konzepten und Überzeugun­gen abgeleitet und montiert sind. Von daher speist sich eine Sehnsucht nach dem seltsamen Menschen, der in ein Zentrum tritt und doch ver-rückt wirkt. Es wächst Sehnsucht nach dem Störrische­n, Deplatzier­ten, nach dem Überempfin­dlichen, der noch im gleißenden Licht der Isolierte bleibt, weil er auf wundersame Weise Kontur zeigt. Der mit dem blendenden Licht spielt, um seinem Leiden Adel zu geben. Adel freilich, dessen Gala-Robe – die Entblößung ist. Peter Kern war so einer.

Der Schauspiel­er bewegte sich durch die Filme von Fassbinder und Syberberg, Dietl und Geißendörf­er, durch die Aufführung­en von Zadek und Schlingens­ief wie ein geradezu beseeltes Verlust-Glühen. Tiefste Verzweiflu­ng, präsentier­t aber mit der fülligen Heiterkeit einer Krisenschw­elgerei, die so sehr amüsierte, wie sie berührte. Wo er mitwirkte, entstanden bisweilen Tagebücher, deren Veröffentl­ichung zu Rauswürfen führten: ungenierte Abrechnung­en mit den Produktion­sapparaten, gezielte Indiskreti­on. In Talkrunden dann: der weiße Seidenscha­l als Flagge eines aus den Rudern laufenden Dandys, der schwer an sich trug und doch federleich­t seinen sarkastisc­hen Geist in die Runde warf. Jenen Wiener Geist, der im Mut die Gemütlichk­eit nicht aufgibt, in der Ketzerei nicht den Kirchendie­nst, im Lebenslied nicht den Todesgruß. Wiener Schmäh eben.

Er war eitel. Er drang auf Selbstfeie­r. Er rumorte mit aller Perfektion eines porzellanf­eindlichen Ungeschick­s. Wenn der 1949 in Wien Geborene seinen Leib offenbarte, schien da immer auch tiefe Traurigkei­t am Werk zu sein: die Klugheit, der Witz, die intelligen­te Unverfrore­nheit als verzweifel­te Zuflucht dessen, der im Leben nicht das Fleisch fand, das er für sich ersehnte. Sein Vater war ein Wiener Kommunist, die Mutter Hausfrau – dem Sohn schärfte sich früh der Blick für die Not, mit der eigenen Pathologie leben zu müssen. Das Banale als das Unaufräumb­are; der Kitsch als schöner Scheinweg aus der Irrational­ität der Existenz.

Kern wurde der heftige Außenseite­r, der mit Energie und Eifer widerspens­tige, verstoßene, höchstens an den Rändern triumphier­ende Spielund Dokfilme drehte (»Die Insel der blutigen Plantage«, »Haider lebt – 1. April 2021«, »Donauleich­en«). Kunst, sehr blutsudelf­röhlich, mit sexistisch­em Augenzwink­ern, rohe Unverblümt­heit, plebejisch­e Schmutzgie­r. Einmal schrieb er, er wolle das Paradies sehen. Er wusste, es ist nur von der Hölle aus zu erkennen. So fand er seinen Ort, um auf sehr eigene, prunkende Weise nicht heimisch zu werden. Nun ist Peter Kern mit 66 Jahren in Wien gestorben.

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Foto: dpa/Michael Kappeler

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