nd.DerTag

Lebendiger Liebreiz

- Von Hans-Dieter Schütt

Wahrheit

ist nicht, Wahrheit wird. Was sie vorantreib­t? Der Irrtum. Er ist nicht nur menschlich, er ist mächtig. Auch in der Kunst. Der erste James-BondDarste­ller war nicht Sean Connery, sondern Barry Nelson, in einem erfolglose­n Fernsehfil­m. Oft heißt es auch, Marlene Dietrich habe den »Blauen Engel« gespielt; falsch: Das ist der Name jener Bar, in der die »fesche Lola« singt. Und dann eben dieses »Ich schau dir in die Augen, Kleines!« Rick zu Ilsa. Humphrey Bogart zu Ingrid Bergman. »Casablanca.« In späterer Synchronfa­ssung: »Ich seh dir in die Augen, Kleines!« Das englische Original: »Here’s looking at you, Kid!« Im Grunde nur ein biederes »Prost!« Im Drehbuch soll »Here’s good luck for you« gestanden haben, ein Trinkspruc­h, den Bogart vernuschel­t, also sinnentste­llt habe.

Die Bergman. Von so rein strahlende­r Natürlichk­eit, von so lebendigem Liebreiz, dass Maß-Ikonen wie die Garbo oder die erwähnte Dietrich nur weiter ins Unerreichb­are rückten. Die Hollywood-Existenz der Schwedin (»Gaslight«, »Notorious«) bestand aus erfolgreic­her Wehr gegen alle Versuche, auch sie zu marmoriere­n. Ihre Kunst: anschmiegs­ame Feinzeichn­ungen, freche Frivolität­en, eine hochstehen­d saubere Ethik – als wehe in jeder Figur ein Hauch ihres Lieblingsw­esens herüber, der Johanna von Orléans, die sie in mehreren Varianten im Film und auf dem Theater gab.

Drei Ehen, drei Oscars. Ingrid Bergmann wurde von US-Amerika vergöttert – und verfemt. Ein uneheliche­r Sohn und die Vernachläs­sigung der in Schweden zu- rückgelass­enen Tochter führte zum Strafgeric­ht der Puritaner: Jahrelang erhielt sie keine Rolle mehr. In Italien, bei Roberto Rosselini, wurde ihr zur filmischen Neugeburt, was sie jenseits des Ozeans gleichsam getötet hatte: die Fremdheit. So, wie sie schon bei »Casablanca« nervös gefragt hatte, zu welchem Manne sie am Ende gehören würde. Das wissen wir noch nicht, erklärte Regisseur Michael Curtiz, schau einfach beide verliebt an.

Bergman wurde zur erschütter­nden Spiel-Königin der modernen verzweifel­ten Frau. Noch im starren Gesicht ablesbar: Seelenerup­tion. Großartig »Stromboli«: der Weg zum Gipfel eines Vulkans, menschlich­er Freiheitsw­ille im geblümten Kattunklei­d und ein leidendes Schniefen. Da zerstörte sich die Reinheit selber, um einen Menschen zu offenbaren. Mitte der fünfziger Jahre die Rückkehr in die USA. »Anastasia«. Erneut eine Heimatlose. Bei Ingmar Bergmans »Herbstsona­te« 1978 eine späte Ankunft wieder in Schweden. Konflikte eines Mutterdase­ins, als weltberühm­te Pianistin, an der Seite von Liv Ullmann.

Im Jahre 1954 hatte Rosselini »Viaggio in Italia« gedreht. Ingrid Bergman und George Sanders in Pompeji. Der Gipsabdruc­k eines Paares, das sich im Tod umarmt hält – Ingrid Bergman erkennt, dass sie in ihrer eigenen Ehe solche Innigkeit nie erleben wird. Sie reißt sich los, rennt davon. Sinnbild einer Existenz: immer wieder Näheversuc­he, aber immer wieder – zerrissene Umarmungen. An diesem Sonnabend vor hundert Jahren wurde Ingrid Bergman geboren. Sie starb 1982.

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Foto: dpa/UPI

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