Tradition statt Frauenfußball
Folge 72 der nd-Serie »Ostkurve«: Warum die meisten großen Ostklubs nur die Männer spielen lassen
Zum Start der Bundesligasaison sind auch wieder Turbine Potsdam und der USV Jena dabei – neben Bayern München oder dem VfL Wolfsburg. Namen der großen Ostklubs findet man im Frauenfußball kaum.
Was im deutschen Männerfußball seit 2002 üblich ist, gab es in der FrauenBundesliga nun auch zum dritten Mal in Folge: das Eröffnungsspiel des Meisters. Am Freitagabend traf der FC Bayern München zum Saisonstart auf Turbine Potsdam (nach Redaktionsschluss). Ein Spitzenspiel – und eine Partie, die symbolisch für die Struktur im deutschen Frauenfußball steht. Denn um die Meisterschaft spielen in der Bundesliga, grob gesagt, zwei Arten von Vereinen: Auf der einen Seite finanzstarke Klubs wie der FC Bayern München oder der Konzernklub VfL Wolfsburg, die mit viel Geld auch die Männer-Bundesliga dominieren – auf der anderen Seite reine Frauenfußballvereine wie Potsdam oder der 1. FFC Frankfurt.
Die Namen vieler Traditionsklubs aber fehlen im Frauenbereich – besonders im Osten. Neben Turbine gibt es noch den FF USV Jena, wo ebenfalls nur Frauen spielen. Zu einem einjährigen Gastspiel im Oberhaus schaffte es nur der 1. FC Lokomotive Leipzig in der Saison 2011/12. Allerdings hat Lok die Frauensektion mittlerweile ausgegliedert. Unter dem wesentlich unbekannteren Namen FFV Leipzig spielt diese nun in der 2. Bundesliga.
Ansonsten findet sich kaum eine Spur von den zahlreichen bekannten Klubs, die einst in der DDR-Oberliga spielten und heute in der 2. und 3. Liga mitmischen: 1. FC Union Berlin, Dynamo Dresden, F.C. Hansa Rostock und so weiter. Über deren derzeitige Situation wird viel geredet und geschrieben. Einerseits freuen sich die Fans darüber, dass acht Ostvereine in der 3. Liga spielen und es insgesamt 56 Ostderbys in dieser Saison gibt. Andererseits deutet eine so große Zahl in dieser Spielklasse auch darauf hin, dass sie es aufgrund nicht ausreichender finanzieller Möglichkeiten trotz eines fußballbegeisterten Umfeldes nicht schaffen, mit den Traditionsvereinen aus den alten Bundesländern mitzuhalten.
Wäre es da nicht einfacher, den Frauenfußball zu stärken? Dort fließt sehr viel weniger Geld als bei den Männern, insofern müssten die Vereine auch sehr viel weniger investieren. Und es wäre deutlich einfacher, ihre Frauenteams nach oben zu führen. Doch sie präferieren offenbar eine andere Politik. Von den zehn Ostklubs, deren Männermannschaften derzeit in der 2. oder 3. Liga spielen, haben nur fünf überhaupt ein Frauenteam: Der 1. FC Union Berlin, der Hallesche FC und Erzgebirge Aue kicken derzeit in der drittklassigen Regionalliga, der Chemnitzer FC in der Landesliga und Energie Cottbus sogar nur in der Kreisliga. Bei RasenBallsport Leipzig, dem 1. FC Magdeburg, Hansa Rostock, Dynamo Dresden und Rot-Weiß Erfurt spielen gar keine Frauen. Wobei der noch recht junge Klub aus der Messestadt immerhin schon in den Mädchenbereich bis zur B-Jugend eingestiegen ist. Es zeichnet sich ab, dass auch in Leipzig irgendwann ein Frauenteam existieren wird.
Am deutlichsten zeigt sich die Diskrepanz zwischen dem Männer- und dem Frauenbereich in Cottbus. Ein Gesamteat von sieben Millionen Euro steht Energie in dieser Spielzeit zur Verfügung. Die Hälfte davon fließt in die 1. Männermannschaft, die sich nach drei Siegen und zwei Niederlagen im Tabellenmittelfeld der 3. Liga befindet. Die Cottbuser Frauen, die ohne jegliche finanzielle Unterstützung auskommen müssen und denen nur die Materialkosten erstattet wer- den, schlossen die vergangene Saison in der Kreisliga Niederlausitz als Vierte ab und kickten dort gegen Vereine wie die SG Burg/Vetschau und den SV Drachhausen. Mangelt es bei den Cottbuserinnen an Unterstützung vom Verein? »Nein«, sagt Frauentrainer Renato Neumann und verweist auf andere Probleme: »In Brandenburg fehlen einfach die Spielerinnen. Nicht nur uns, sondern auch vielen anderen Klubs. Deshalb können wir nur in der Kreisliga auf Kleinfeld antreten.«
Dabei gab es in Cottbus schon bessere Zeiten. Bis 2013 spielten die Frauen in der zwei Klassen höheren Brandenburgliga. Dort trafen sie zum Beispiel auf die dritte Mannschaft von Turbine Potsdam. Dreimal wurden sie Landesmeister, zweimal Landespokalsieger. Doch in der Brandenburgliga spielt man auf Großfeld – für Energie derzeit unmöglich. Im aktuellen Kader befinden sich nur 15 Spielerinnen. »Erst ab 20 Spielerinnen macht es Sinn, eine Mannschaft für das Großfeld zu melden«, sagt Renato Neumann, dem somit nichts anderes übrig bleibt, als auf die Erfolge der Jugendteams zu verweisen: »Unsere B-Jugend-Mädchen wurden Landesmeister. Und bei denen spielt auch eine polnische Nationalspielerin.« Gleichwohl soll es auch für die Frauen in Zukunft wieder weiter nach oben gehen. Energie versucht, an Schulen, Hochschulen und Universitäten junge Fußballerinnen zu finden. Auch wenn der Coach realistisch einschätzt: »Für die Bundesliga wird es sicher niemals reichen.«
Immerhin: Cottbus hat eine Frauenabteilung. Im Gegensatz zum 1. FC Magdeburg, dessen Männermannschaft gerade die 3. Liga aufmischt. Nach dem 2:0-Sieg gegen den Chemnitzer FC stehen die Magdeburger punktgleich mit Spitzenreiter Dynamo Dresden auf Platz zwei. Eine echte Überraschung – schließlich beläuft sich der Etat für die Mannschaft nur auf etwa 2,4 Millionen Euro. Langfristig will sich der FCM nach Aussage von Schatzmeister Mario Kallnik »im Profifußball etablieren«. Dass der Verein kein Frauenteam führt, stört ihn dagegen überhaupt nicht: »Es besteht zurzeit einfach kein Bedarf. Wenn sich ein paar Mädels finden würden, die Fußball spielen wollen, dann könnten wir auch sofort ein Frauenteam einrichten. Aber es hat sich bislang niemand gemeldet.«
Auch die Magdeburger setzen auf Tradition statt auf Veränderung und wollen sich weiterhin auf den Männerfußball konzentrieren. Kallnik empfindet die 3. Liga aufgrund der zahlreichen Derbys als »sehr reizvoll«. Überhaupt sei es keine Schwäche der Ostvereine, dass sie mit den westdeutschen Traditionsklubs nicht mithalten können. Denn: »Nach der politischen Wende und den großen Umbrüchen brauchten die Vereine Zeit. Nun wirtschaften sie solide und haben schöne Stadien.« Vielmehr müsse man vor den Leistungen von Erzgebirge Aue und Energie Cottbus »den Hut ziehen«. Aue spielte zehn Jahre in der 2. Bundesliga, Cottbus sogar sechs Jahre erstklassig.
Und der FC Erzgebirge beweist, dass es möglich ist, neben einer erfolgreichen Männermannschaft auch ein gute weibliche zu führen. Aues Frauen spielen momentan in der Regionalliga und schlossen die vergangene Saison als Siebte ab. Wobei der Erfolg der Mannschaft auch damit zusammenhängt, dass neben dem Männer- auch der Frauenfußball im Erzgebirge Tradition hat. Bereits 1975 gründete Rotation Schlema eine Frauenabteilung und wurde in der DDR zweimal Meister und dreimal Pokalsieger. 1990 trat das Team dem Klub aus Aue bei und spielte 1991/92 eine Saison in der 1. Bundesliga.
Nach Meinung des ehemaligen Abteilungsleiters Dietmar Männel, der immer noch ehrenamtlich im Verein aktiv ist, soll bald auch wieder die Rückkehr in die 2. Liga angestrebt werden. Aber: »Da sind wir abhängig von den Männern. Wenn die Herren in der zweiten Liga spielen würden, würde sich unser Gesamtetat verdoppeln – zwölf statt sechs Millionen. Davon könnten auch die Frauen profitieren.« Eine Erklärung dafür, warum nur so wenige Traditionsklubs aus dem Osten eine Frauenabteilung haben, hat er aber auch nicht.
Und so liegt es auch in dieser Saison wieder an Turbine Potsdam und dem FF USV Jena, die neuen Bundesländer im Oberhaus zu vertreten.