LAGeSo: Täglich kommen 500 Neuankömmlinge
Ärzte warnen vor »humanitärer Katastrophe« / Senat sucht händeringend nach neuen Unterkünften
Behördenleitung des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) räumt Mängel auf dem Gelände der Erstanlaufstelle ein. 1000 Menschen zeigten bei Demonstration Solidarität mit Geflüchteten.
Die CDU ist nicht anwesend. Alle anderen Mitglieder des Ausschusses für Integration der Bezirksverordneten- versammlung Mitte sind zu einem Rundgang zu den für die Flüchtlingsunterbringung relevanten Orten in Moabit gekommen. Unter anderem besichtigten sie Donnerstagabend das Gelände des LAGeSo und sprachen mit dem Behördenchef Franz Allert über die Lage. Das Gelände sei nicht für derartige Menschenmengen ausgelegt, erklärte Allert. Aus seiner Sicht wäre es die beste Lösung, die Erstaufnahmestelle in ein dafür ausgelegtes Gebäude auszulagern. Das würde drei bis fünf Wochen dauern, sagte Allert. Bislang werden auf dem Gelände sowohl Erstaufnahmen durchgeführt als auch Menschen bedient, die bereits Leistungen vom Land Berlin beziehen. »Das Problem ist, dass viele nicht mitbekommen, wenn ihre Nummern aufgerufen werden. Die stehen dann am nächsten Morgen wieder hier«, sagte Allert. Bislang werden Informationen per Megafon in mehreren Sprachen ausgerufen. Jeden Morgen werden an die Wartenden neue Nummern verteilt. Als Lösung schlug Allert eine elektronische Anzeigetafel vor, die bereits bestellt sei, aber nicht so ohne weiteres geliefert werden könne. »Um hier eine Beschleunigung zu erreichen, bräuchte die Behörde die aktive Unterstützung des Senats, etwa um Beschaffungsverfahren verkürzen zu können«, forderten die Ausschussmitglieder.
Ein weiteres Problem sieht Allert nach wie vor in der Unterbringung der Menschen. »Die Obdachlosenzahl wird weiter steigen«, sagte er. Die Stadt Berlin prüft derweil, ob sich das ehemalige Flughafengebäude Tempelhof als Flüchtlingsunterkunft eignet. Medienberichten zufolge könnten in dem Gebäude bis zu 4000 Menschen untergebracht werden. Sozial- senator Mario Czaja (CDU) wollte dies bislang nicht bestätigen. Auch in Spandau hat der Senat möglicherweise ein Objekt mit einer Kapazität von bis zu 1000 Betten gefunden. Nach Angaben des »Tagesspiegel«, soll demnächst eine ehemalige britische Kaserne in Wilhelmstadt als Flüchtlingsunterkunft genutzt werden.
Eine Ärztin der ehrenamtlichen Helfer warnte vor den derzeitigen hygienischen Zuständen: »Das ist eine tickende Zeitbombe«, sagte die Kinder- und Jugendärztin Renate Schüssler. »Wir wissen nicht, welche Krankheiten in dem Pool der Menschen sind. Das kann sich ganz schnell zu einer humanitären Katastrophe entwickeln.« Sie bemängelte vor allem die fehlenden Möglichkeiten zur Diagnose von beispielsweise Typhus oder Hepatitis. Auch gebe es keine Möglichkeit zur Impfung oder Ausgabe spezieller Medikamente.
Der BVV-Ausschussvorsitzende Tilo Siewer (Grüne) sagte: »Bei aller Wertschätzung des zivilgesellschaftlichen Engagements der Bürgerinnen und Bürger kann dies kein Ersatz für eine handlungsfähige Verwaltung sein. Die Verwaltung kann und muss den extrem gewachsenen Herausforderungen gerecht werden!«
Das LAGeSo hatte vor einigen Tagen die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel unterbunden, nachdem Helfer im Internet zu Spenden aufgerufen hatten. »Hier arbeiten nur approbierte Ärzte, und wir arbeiten unter den klinischsten Bedingungen, die uns die Situation erlaubt. Aber wir gehen auf dem Zahnfleisch«, sagte Schüssler. Durch Zufall hätten die Mediziner vor einigen Tagen erfahren, dass sie auf dem Gelände nicht mehr erwünscht seien. »Wir wissen nicht, wie es am Montag weitergehen wird und ob wir noch gebraucht werden«, sagte die Ärztin.
Dazu sagte der LAGeSo-Chef, dass am Wochenende ein »Medi-Point« auf dem Gelände eingerichtet werde. Das Zelt solle als vorläufige Koordinationszentrale dienen. Ansprechpartner sind die Ärzte auf dem Gelände. Für eine richtige Erstversorgungs- und Diagnosestelle würde dieses Zelt aber noch nicht reichen. Noch immer kommen täglich bis zu 500 Neuankömmlinge in die Erstaufnahmestelle in Moabit. Im vergangenen Monat waren es rund 4000, in diesem Monat bereits 5000.
Am Abend zogen unterdessen bis zu 1000 Menschen in einer Kundgebung vom S-Bahnhof Wedding, vorbei am LAGeSo bis zum U-Bahnhof Turmstraße in Moabit. Gegen 21 Uhr bekundeten die Demonstranten den immer noch wartenden Flüchtlingen ihre Solidarität. In mehreren Sprachen wurden sie per Lautsprecherwagen Willkommen geheißen und Anwohner, sowie Teilnehmer der Demonstration aufgefordert, die Asylsuchenden zu unterstützen. Die Polizei war mit 150 Kräften im Einsatz.