Pastinaken gegen Menschenfeindlichkeit
Mit politischer Bildungsarbeit bekämpft eine kleine Gruppe Engagierter in München Rechtsextremismus
Angesichts der rassistischen Stimmung in Deutschland braucht es mehr denn je Menschen, die versuchen gegenzusteuern. Die Stadt München unterstützt sie.
»Pastinaken raus« hieß 2013 eine Ausstellung in München, die sich dem Thema Rechtsextremismus und Rassismus annahm. Pastinaken rein heißt es jetzt im Jahr 2015. Gemeint ist damit eine Gruppe junger engagierter Menschen, die sich um politische Bildung für Schüler und Jugendliche kümmert und Veranstaltungen zu Flucht, Migration und rechtem Gedankengut anbietet. Die Gruppe von rund 20 Mitgliedern ist aus Betreuern der 2013er Ausstellung hervorgegangen und die arbeiten meist ehrenamtlich. Für die Organisation der Einsätze, für die Aus- und Weiterbildung und für Materialien, Räume und dergleichen mehr werden die »Pastinaken« jetzt von der Stadt München mit einem jährlichen Zuschuss von 34 000 Euro unterstützt. Als ein »wichtiges Zeichen« bewertete die SPD-Stadträtin Bettina Messinger diese Finanzhilfe. »In Zeiten, in denen einerseits die Zahl der Flüchtlinge stetig und auf der anderen Seite Bewegungen wie Pegida Ressentiments schüren, ist diese Arbeit unverzichtbar«, so die Stadträtin.
München, Hansastraße 31. Vor dem »Farbenladen«, einer Galerie, die zum »Feierwerk-Gelände« gehört, ist gerade eine Gruppe Jugendlicher damit beschäftigt, auf ein weißes Laken Graffiti aufzusprühen. »Hey cool«, sagt einer der Schüler und drückt auf die Farbspraydose. Dann geht es wieder zurück in das Gebäude, im »Farbenladen« wird das jetzt bunt bemalte Laken an einer Wand aufgehängt. »Schön«, sagt Bernhard Ulrich, »dann sind wir jetzt am Ende unseres Workshops angelangt«. Es ist kurz nach 13 Uhr und die Schüler der Berufsvorbereitungsklasse der Berufsschule für Gartenbau, Floristik und Vermessungstechnik machen sich wieder auf den Weg.
Hinter sich haben sie den Besuch der Ausstellung »Der zweite Blick«, die sich dem Thema Jugendkulturen und Diskriminierung widmet. Es geht um Musikrichtungen wie Hip Hop oder Ska, um Skatebording, Gothik, Punk oder Ultras, um Sportarten, Mode, Kunst, um Symbole und Zeichen. Und wie dies all nicht frei von Vorurteilen und Diskriminierungen ist, bestimmte Menschengruppen benachteiligt, die ausgegrenzt oder angegriffen werden. Am Vormittag sind in der Ausstellung Schulklassen unterwegs, nachmittags ab 15 Uhr ist sie für die Öffentlichkeit zugänglich.
Und Bernhard Ulrich ist heute für den Graffiti-Workshop zuständig. Der 32-Jährige arbeitet als Sozialpädagoge an einem Jugendtreff in der Blumenau, hier ist er am Vormittag als »Pastinake« tätig. Die Gruppe hat für diese Ausstellung das pädagogische Konzept entworfen, führen die Bildungsarbeit mit den Schulklassen durch und betreuen die Ausstellung im offenen Betrieb. »Wegen des Geldes mache ich das nicht«, sagt Ulrich, sondern weil er politische Bildung wichtig findet. Vor allem politische Bildung, die keine Zeigefingerpädagogik ist.
Das findet auch Renate Grasse von der Arbeitsgemeinschaft Friedenspädagogik, ein privater kleiner Verein, der sich seit 1974 um »konstruktive Konfliktbewältigung« und um politische Bildung kümmert. Sie sagt: »Politische Bildung kommt an, wenn die Auseinandersetzung auf Augenhöhe stattfindet.« Auseinandersetzung statt Vortrag ist hier das Motto. Es gehe darum, so die Pädagogin, auf die Reaktionen der Schüler zu den Symbolen und Bedeutun-
Renate Grasse, Arbeitsgemeinschaft Friedenspädagogik
gen der Jugendkulturen einzugehen: »Hier greifen die Pastinaken ein.« Der Verein ist der organisatorische Träger der Gruppe. »Das sind total engagierte Leute«, so Grasse, »die wollten nach der Ausstellung ›Pastinaken raus‹ zusammenbleiben und weiter Bildung gegen rechts machen«. Der städtische Zuschuss erlaubt jetzt die Einrichtung einer Halbtagsstelle, dabei geht es um die Organisation von Vorträgen, die Koordination der Anfragen von Schu- len, um die Sicherung des Bildungsmaterials oder die Nutzung von Räumen. Einmal im Monat treffen sich die Pastinaken zu einem festen Besprechungstermin, zwischendurch bereiten Arbeitsgruppen die nächsten Workshops für Jugendliche vor
Dass die Bildung gegen Rechts ein sehr wichtiges Thema ist, zeigt auch die Studie der Universität Leipzig zur Fremdenfeindlichkeit in Bayern. »Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken« oder: »Ohne Judenvernichtung würde man Hitler heute als großen Staatsmann ansehen« sind typische Aussagen aus dieser Studie. Mit ihnen überprüfen die Leipziger Forscher in ihrer »Mitte«-Studie seit 2002 alle zwei Jahre, wie verbreitet rechtsextreme Einstellungen in Deutschland sind. Die Teilnehmer sollen angeben, ob sie die Aussagen ablehnen, ihnen teilweise zustimmen, oder sie bejahen.
Für Bayern sind die Ergebnisse besorgniserregend: Jeder Dritte (33,1 Prozent) teilt ausländerfeindliche Einstellungen und jeder Achte (12,6 Prozent) stimmt antisemitischen Aussagen zu. Damit sind ausländerfeindliche und antisemitische Einstellungen in Bayern so weit verbreitet wie in fast keinem anderen Bundesland. In den westlichen Bundesländern liegt die Zustimmung zu den ausländerfeindlichen Aussagen im Durchschnitt bei 20 Prozent. Nur in Sachsen-Anhalt ist sie mit 42,2 Prozent noch höher als in Bayern.
Zurück in der Hansastraße 31. Eine der Ausstellungswände ist vollgepackt mit Dingen, die symbolisch für eine Jugendkultur stehen können. Da ist das Che-Guevara-Poster ebenso vertreten wie ein schwarzes Korsett für den Gothic-Kult stehen könnte. Oder die Deutschlandfahne und ein Fußballschal für die Ultras der Fußballszene. Aber es geht ja auch um das Hinsehen, um den »Zweiten Blick«. Sozialpädagoge Ulrich erklärt das pädagogische Verfahren. Das ist das Foto: Ein Mann mit einem Che-Guevara-Zeichen auf dem T-Shirt. Und einem Palästinenserschal um den Hals. Der Typ hinter ihm aber hat H20 auf dem Shirt stehen. Was statt als chemische Formel für Wasser auch als »Hitler 2.0« gelesen werden kann. Und der Mensch rechts neben dem Che-Guevara-Zeichen-Träger hat Thors Hammer um den Hals, ist exakt rechtsgescheitelt und trägt ein braunes Hemd. So ist auf den zweiten Blick aus den zunächst linksverorteten Zeichen deren Einbettung in die rechtsradikale Szene erkennbar. »Die Schüler sehen auch Sachen, die wir nicht sehen«, berichtet Ulrich über seine Erfahrung mit der Ausstellung. Wichtig sei, dass sich die Teilnehmer angesprochen fühlten.
Die Zweite-Blick-Ausstellung wurde mit Beginn der Sommerferien beendet, doch auf die Pastinaken warten schon neue Projekte. Unter anderem geht es um die Politische Bildung von Altenpflegern im München-Stift. Hintergrund ist die »interkulturelle Öffnung« der Altenheime, also dass auch immer mehr zugewanderte Menschen aus anderen Kulturkreisen dort ihren Lebensabend verbringen.
»Politische Bildung kommt an, wenn die Auseinandersetzung auf Augenhöhe stattfindet.«