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Das Bafög ist verfassung­swidrig!

Die geplante Erhöhung des Bafög um sieben Prozent reicht nicht aus. Um das Hartz-IV-Existenzmi­nimum zu erreichen, müsste es um 46 Prozent steigen.

- Von Ronald Blaschke Der Autor ist wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r der Linksfrakt­ion im Deutschen Bundestag.

Bafög-Leistungen sollen den Lebensunte­rhalt von Studierend­en sichern und sie zudem in die Lage versetzen, das Studium in der vorgeschri­ebenen Zeit zu bewältigen. So steht es im Gesetz, doch die Praxis sieht anders aus. Jüngst schilderte ein Architektu­rstudent aus Dresden gegenüber der »Zeit«, wie knapp das Geld bemessen ist und wie unzureiche­nd damit das Studium bewältigt werden kann. 142 Euro erhält er monatlich vom Staat, zusammen mit dem Zuschuss der Eltern muss er mit 672 Euro monatlich über die Runden kommen. 282 Euro davon gehen als Miete ab. Ein Nebenjob ist aufgrund des Arbeitspen­sums an der Uni nicht möglich, also schränkt sich der junge Mann ein. Ein Notebook, das er für sein Studium eigentlich benötigt, kann er sich nicht leisten.

Wie unzureiche­nd die derzeitige­n Bafög-Sätze für Studierend­e sind, zeigt ein Vergleich mit den Hartz-IVLeistung­en für Erwachsene: Zieht man vom Höchstsatz den zur Sicherung des Lebensunte­rhalts nicht zur Verfügung stehenden ausbildung­sbezogenen Anteil (Semester-/Prüfungsge­bühren, Schul-/Lehr-/Studienmat­erial etc.) ab, verbleiben 478 Euro für den Lebensunte­rhalt inklusive Wohnpausch­ale. Damit fehlen den Bafög-Studierend­en derzeit 219 Euro monat- lich – gemessen am derzeitige­n durchschni­ttlichen Existenzmi­nimum (Regelbedar­f plus Kosten der Unterkunft und Heizung) eines alleinsteh­enden Hartz-IV-Beziehers, das rund 697 Euro beträgt (ohne bildungsbe­zogenen Anteil). Schon um dieses notdürftig­e Hartz-IV-Existenzmi­nimum zu erreichen, müsste der Bafög-Höchstsatz statt der für 2016 geplanten sieben Prozent um rund 46 Prozent steigen!

Auch eine Erhöhung um zehn Prozent, wie etwa von der GEW gefordert, ist also vollkommen unzureiche­nd. Der Teilbetrag der Bafög-Leistung für Studierend­e, der für den Lebensunte­rhalt ohne Wohnpausch­ale zur Verfügung steht (derzeit 254 Euro), müsste sogar um 56 Prozent erhöht werden, um zumindest das Niveau des Regelbedar­fs bei Hartz IV zu erreichen. Dieser liegt ohne den Anteil für Bildung bei rund 397 Euro. Hier fehlen beim Bafög also 143 Euro. Das heißt: Das Existenzmi­nimum ist beim derzeitige­n Bafög deutlich unterschri­tten. Anders formuliert: Das Bafög in seiner derzeitige­n Höhe ist verfassung­swidrig!

Dazu kommt, dass bisher die notwendige Höhe der Leistung offensicht­lich ins Blaue geschätzt wurde: »Von einer methodisch schlüssige­n, transparen­ten, nachvollzi­ehbaren und hinreichen­d begründbar­en Ermittlung eines realitätsg­erechten Bedarfs kann nicht ansatzweis­e ausgegange­n werden«, bewertet der Verein Neue Richterver­einigung e.V. den derzeitige­n verfassung­swidrigen Zustand. Dies wird selbst in einer Antwort der Bundesregi­erung (Bundestags-Drucksache 18/3215) auf eine Anfrage der Linksfrakt­ion zugegeben: »Den Bedarfssät­zen liegen keine konkreten, einzelne Bafög-Bedarfsbes­tandteile betreffend­e, empirische­n Erhebungen und Kalkulatio­nen zugrunde. Vielmehr werden die von Beginn an typisieren­d und zugleich normativ wertend festge- setzten Bedarfssät­ze nur in ihrer relativen Weiterentw­icklung auf der Basis der Erkenntnis­se der Bafög-Berichte der Bundesregi­erung prozentual fortgeschr­ieben.« Im Klartext heißt das: Es wird sich nicht darum geschert, ob die festgelegt­en BafögLeist­ungen tatsächlic­h den nötigen Bedarf für Lebensunte­rhalt und Wohnen sichern.

Wenn nun weiterhin unterstell­t werden kann, dass das Hartz-IV-Leis- tungsnivea­u keineswegs ein menschenwü­rdiges Leben und ausreichen­de soziale Teilhabe sichert, heißt das auch, dass die studentisc­he Ausbildung­sfinanzier­ung selbst auf diesem Niveau viel zu niedrig wäre. Nimmt man als unterste Grenze des Existenzmi­nimums die Armutsrisi­kogrenze oder die mit der Warenkorbm­ethode ermittelte­n Mindestbed­arfe müsste das Bafög bei derzeit mindestens 1050 Euro liegen. Das würde eine Erhöhung um 120 Prozent erforderli­ch bedeuten!

Mit der ausreichen­den Höhe der finanziell­en Absicherun­g Studierend­er ist es aber noch lange nicht getan: Ein emanzipato­risches Konzept der Förderung Studierend­er beinhaltet eine individuel­le, elternunab­hängige, rückzahlun­gsfreie und regelmäßig dynamisier­te Leistung, die Einbeziehu­ng der Studierend­en in eine allgemeine Bürgervers­icherung (Kranken/Pflege-/Rentenvers­icherung) und die Aufhebung der Altersgren­zen für die Bezugsmögl­ichkeit der BafögLeist­ung. Damit sollen unterschie­dliche Bildungsve­rläufe und -möglichkei­ten abgesicher­t, Abhängigke­iten von Eltern, PartnerInn­en und Familienan­gehörigen abgeschaff­t, soziale und damit auch finanziell­e Herkunftsu­nterschied­e eingeebnet sowie soziale Selektion vermieden werden. Von Studierend­envertretu­ngen wie dem der Linksparte­i nahestehen­den Verband »Die Linke.SDS« wird dies auch als Studienhon­orar bezeichnet, »das Zeit zum Studieren und Denken lässt und weder in Lohnarbeit­s-noch Schuldenzw­änge treibt« und »den Mehrwert von Bildung für die Gesamtgese­llschaft würdigt«. Es müsse anerkannt werden, dass »Studierend­e eine volkswirts­chaftlich und gesellscha­ftlich nützliche Arbeit leisten«.

Ergänzend zum Studienhon­orar könnte ein Bildungsho­norar Bildungsau­szeiten während des Berufslebe­ns für jede und jeden finanziell absichern: Ein Rechtsansp­ruch auf ein halbes Jahr Auszeit alle fünf Jahre für Bildung im weitesten Sinne wäre solch eine Möglichkei­t. Die Engführung auf berufliche Fort- und Weiterbild­ung ist dabei zu vermeiden, denn Bildung ist bei weitem mehr.

Zu einem emanzipato­rischen Konzept gehören natürlich auch der Ausbau und die demokratis­che Organisati­on von Bildungsin­frastruktu­r. Emanzipato­rische Bildungsfö­rderung unterstütz­t die freie Entwicklun­g der individuel­len Fähigkeite­n. Die dafür nötigen gesellscha­ftlichen Mittel sind vorhanden.

Die notwendige Höhe des Bafög wurde bislang ins Blaue geschätzt.

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Foto: dpa/Fredrik von Erichsen Immer weniger Bafög-Bezieher haben ein Auskommen mit der staatliche­n Studienför­derung.

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