Andocken ans Anagramm
Scrabble: Kontrabassistin Ulla Trappe glänzt privat als Wortschatzgräberin
Scrabbeln hat eine gewisse Nähe zum Lösen von Kreuzworträtseln. Sie dagegen sind ein musischer Mensch, als Mitglied der Augsburger Philharmoniker. Was reizt Sie bloß an diesem Spiel?
Die Wortmasse zu beherrschen. Die Einzelbuchstaben, die man am Anfang einer Partie zieht, sind ja erst nur ein Chaos, und du denkst, oh Gott, was ist denn da drin? Aber das ist eben die Herausforderung, nämlich daraus etwas Sinnvolles zu machen. Und nicht selten kriegst du am Ende etwas total Geniales zustande, und das fasziniert mich immer wieder.
Wahrscheinlich brauchen Sie einen riesigen Wortschatz.
Klar, das ist der Schlüssel. Ich trainiere mit einem speziellen Computerprogramm, das heißt »Zyzzyva« und fragt gezielt Wörter ab. Es schlüsselt auch Anagramme auf. Mithin Wörter, die aus einem bereits vorhandenen Begriff neu gebildet werden können. Zum Beispiel stecken im Adjektiv »astrein« die Substantive »Inserat« und »Retsina«, der mit Harz versetzte griechische Tafelwein.
Und das hilft auch direkt im Spiel?
Die Anagramme funktionieren wie Mutterschiffe. Da können andere Wörter angedockt werden.
Dürfen Sie in offiziellen Spielen auch ins Englische ausweichen?
Uns ist erlaubt, was im aktuellen Rechtschreibduden steht. Und dort nehmen die Anglizismen zu, das ist allgemein bekannt. Außerdem darf ich mich des Schweizer oder österreichischen Dialekts bedienen, sofern das betreffende Wort eben vom Duden abgesegnet wird.
Behalten Sie mit Ihrem beeindruckenden Wortschatz auch außerhalb des Turniersaals immer das letzte Wort?
Nein, nein. Davon verwende ich fast nichts im Alltag. Okay, manchmal gibt es natürlich Ausnahmen. Während einer Wanderung habe ich mal eine Waldschnepfe gehört, und früher hätte ich die Laute des Vogels nicht definieren können. Heute aber weiß ich, dass die Waldschnepfe »quorrt«. Ansonsten muss ich gestehen, dass ich im direkten Dialog eher sprachfaul bin (lacht).
Das erinnert etwas an den Neuseeländer Nigel Richards, der im englischen Sprachraum dreimal die WM gewonnen hat, in Interviews aber immer nur mit zwei, drei Wörtern antwortet. Jetzt ist er obendrein der Champ der frankophonen Scrabbler geworden, spricht aber überhaupt kein Französisch.
Scrabble muss mit der gesprochenen Sprache nicht notwendig zu tun ha- ben. Bei Nigel Richards ist das eine reine Lernsache, der hat ein fotografisches Gedächtnis. Er kann die Wörter, die für ihn schlicht im Spiel gültige Buchstabenkombinationen sind, mit denen er aber kaum konkrete Bedeutungen verknüpft, später einfach immer wieder abrufen.
Wie ein Freak, der Fahrpläne auswendig lernt?
Ja, oder Telefonnummern. Wenn jemand im Turnier ein Wort legt, das komisch aussieht, muss der Betreffende auch nicht wissen, was das konkret heißt. Es reicht, dass dieses Wort in den Duden aufgenommen worden ist.
Da könnten ich ja auch mal etwas ganz Absurdes raushauen und behaupten, das Wort gibt es!
Im Turnier haben Ihre Gegner die Möglichkeit, das anzuzweifeln. Dann wird das monierte Wort am PC überprüft.
Kommt das oft vor?
Pro Partie mindestens ein oder zwei Mal. Wobei das nicht einmal ein Trick gewesen sein muss: Meist glaubt man, das Wort tatsächlich schon gehört zu haben – und testet dann einfach, ob die anderen das durchgehen lassen.
Ein bisschen Fantasiewörterbluff?
Verboten ist das nicht, allerdings bei deutschen Turnieren verpönt. Anders übrigens im englischen Sprachraum. Wer dort auf taktische Bluffs verzichtet, ist selber schuld.
Dreimal haben Sie schon die deutsche Meisterschaft gewonnen. Wie oft üben Sie?
Steht ein Turnier auf dem Terminkalender täglich eine halbe Stunde.
Bildungsexperten und Kulturkritiker beklagen unisono, dass der Wortschatz der Jugendlichen zunehmend verkümmert. Weil die Kinder nur noch per Smartphone kommunizieren und Kurznachrichten über WhatsApp versenden. Könnte da mit Scrabble gegengesteuert werden?
Genau mit diesem erklärten Ziel haben wir den Verband Scrabble Deutschland e.V. gegründet. Unsere Idee ist es, Schülerturniere zu veranstalten, um die Mädchen und Jungen wieder oder besser an die deutsche Sprache heranzuführen. Leider ist das bisher am Problem der Finanzierung gescheitert, weil sich öffentliche oder private Geldgeber äußerst zugeknöpft zeigen. Das finde ich sehr schade.