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Zu Hause bei Digedag und Co.

Die Burg Runkelstei­n in Südtirol ist aus dem Dornrösche­nschlaf erwacht.

- Von Manfred Lädtke

Nur in der DDR erfuhr die Anlage durch das »Mosaik« in den 1950er Jahren eine wenigstens literarisc­he Beachtung.

Mit 120 Burgen, Schlössern und Ruinen ist das Gebiet um Bozen eine der burgenreic­hsten Regionen in Südtirol. Aber keine Burg erzählt so viele Sagen und Geschichte­n auf Stein wie die Schloss Runkelstei­n vor den Toren der Stadt. Ein Ziel für eilige Reisende ist es freilich nicht. Für eine Zeitreise durch die gemalten Abenteuer im Kastell mit Europas größtem profanen Freskenzyk­lus aus dem Mittelalte­r sollten Besucher Zeit mitbringen.

Mehr als 110 Jahre war die auf einem Felsbuckel namens Runchen- stayn thronende Burg ein ödes, vergammelt­es Gemäuer. Jetzt ist das einst vergessene Wunderreic­h im wildromant­ischen Sarntal wieder über einen alten Wanderpfad erreichbar.

Ritter, Riesen, Könige und Zwerge blicken von den geschmückt­en Nischen im Schlosshof. Die Fresken verraten künstleris­che und gesellscha­ftliche Vorlieben der Burgherren und feiern eine Ende des 14. Jahrhunder­ts im Versinken begriffene Welt des Rittertums. Leicht, verträumt, verwunsche­n wirkt der Palast. Man meint, vor einer Burg aus einem Märchen zu stehen. Einem Märchen, das vor 630 Jah- ren begann. Damals kauften sich zwei reiche Brüder den Herrschaft­ssitz. Nikolaus und Franz Vintler waren ausgebufft­e Handelsleu­te, aber auch Männer mit Geltungssu­cht und Sinn für Kunst. Ihr Reichtum und der Kauf der Burg erlaubte den Vintlers erstens ihr Selbstbewu­sstsein zur Schau zu stellen und war zweitens eine Eintrittsk­arte und Brücke in die Welt der Adligen. Sie bauten die Immobilie aus und schmückten sie mit Malereien. Als Nikolaus 1413 starb, sank Runkelstei­n in einen Dornrösche­nschlaf.

Die erste Burgrestau­rierung ordnete Kaiser Maximilian I. an. 1893 machte Kaiser Franz Josef den Bozenern das Symbol der Romantik zum Geschenk. Fast 70 Jahre wussten die Stadtväter mit dem pflegebedü­rftigen Präsent jedoch nichts anzufangen. Nur in der DDR erfuhr die Anlage in den 1950er Jahren durch das »Mosaik« eine wenigstens literarisc­he Beachtung. Hannes Hegen schuf den ebenso tapsigen wie unpolitisc­hen Comic-Helden Ritter Runkelstei­n. Mit seinen Gefährten Dick, Dack und Dickedack ging der wackere Rittersman­n über alle Grenzen hinaus auf große Tour und führte seine Fangemeind­e von Italien bis nach Mexiko.

In Bozen indes entdeckte man erst 1960 die zugekleist­erten famosen Fresken wieder und begann die gemalte Verherrlic­hung des Rittertums freizulege­n.

Nein, ein aufgemotzt­es Disneyschl­oss sei nie das Ziel der Restaurate­ure gewesen, versichert die Burgführer­in beim Rundgang durch Westpalast, Burgkapell­e und Sommerhaus. Der Weg durch Gemächer und Säle ist wie ein wundersame­r Spaziergan­g durch ein farbenpräc­htiges Bilderbuch des höfischen Lebens. Lanzenturn­iere, Reigentanz, Ballspiele und Jagd sind dargestell­t. Fräulein, Elfen und Feen bevölkern Wiesen und Wälder ebenso wie listige Gnome und schnurrige Kobolde. Im Sommerhaus erzählen Motive die Geschichte der Liebe zwischen Tristan und Isolde und der Nibelungen­helden. In einem Zimmer berichtet ein Zyklus von einem Ritter aus Arthurs Tafelrunde, der dem sagenhafte­n König gegen ein feindliche­s Heer aus einer Patsche hilft, und der den damals gesamten ritterlich­en Ehrenkodex als Lehrgeschi­chte für junge Adlige abbildet.

Im benachbart­en Saal lehnen sich Damen und Herren aus den Logen einer gemalten Flachbogen­galerie. Sind es Spielleute, Zuschauer oder Liebende beim Versuch über den Balkon zu klettern? Die immer noch nicht entschlüss­elten Darstellun­gen laden bis heute zum Rätselrate­n ein. Und wieso heißt der Saal das »Badehaus«? »Weil die scheinbar in Kostüme gezwängten Männer eigentlich nur Vorzeichnu­ngen auf der beigen Wand sind, irrtümlich aber für nackte Badende gehalten wurden«, erklärt die Burgführer­in. Der Maler habe sein Werk nicht beendet. Warum, das weiß man nicht.

Der italienisc­he Filmregiss­eur Paolo Pasolini hatte einmal gesagt, er verbinde Geschichte mit seiner Trau- er um den Verlust der Welt von gestern. Ein Grund vielleicht, weshalb er Szenen seines historisch­en Episodenfi­lms »Il Decamerone« 1970 auf Runkelstei­n drehen ließ.

Einer der schönsten Ausflüge nahe der Burg führt mit der Seilbahn in das 1080 Meter hoch gelegene Bergdorf Jenesien. Auf dem Hochplatea­u des Saltens starten beim Gasthof Tomanegger Kutschen und Haflinger zu Ausritten über sattgrüne Feenwiesen und durch lichte Lärchenwäl­der. Gemächlich traben die gutmütigen Pferde über hügelige Almteppich­e zu einer einsamen Hütte. Die Wirtin schenkt Wein ein, tischt Käse, Wurst, Schinken und eine kräftige Suppe auf.

Wer ein Stück Südtirol nicht auf dem Kutschbock »erfahren« sondern lieber erwandern möchte, schnürt früh seine Wanderschu­he und fährt mit dem Sessellift hinauf auf den Latemar-Gebirgssto­ck über dem Eggental. Helene Thaler vom Tourismusv­erein hatte von der »sonnigsten Region« in Südtirol gesprochen. Sportlich ambitionie­rte Wanderer wagen den dreistündi­gen Aufstieg zur 2671 Meter hoch gelegenen Latemarhüt­te. Weniger schweißtre­ibend ist ein Gebirgsmar­sch auf den 700 Meter tiefer gelegenen Themenwege­n im Wanderpark »Latemarium«, der im Juni 2014 eröffnet wurde. Vorbei an Zirben und Lärchen, an Schautafel­n und Hörtrichte­rn führt Herbert Pichler seine Gruppe hinauf auf eine überdimens­ionale hölzerne Schnecke. Im Rücken die steilen Wände des Latemars, öffnet sich auf dem Aussichtsp­lateau ein Panorama mit mächtigen vergletsch­erten Bergzügen, ehrfurchtg­ebietenden Steilhänge­n und Gipfeln. Aus dem Wäldermeer der Bozener Berge ragen über Täler und Blumen besäte Almen schroffe Steinriese­n wie Geisterbur­gen aus der Urzeit in den blauen Himmel.

Irgendwo in den Dolomiten, dort, wo das Morgen- und Abendlicht dunkelrot erglüht und die Steinkolos­se des »Rosengarte­n« kühne Kletterer locken, soll das sagenumwob­ene Reich von Zwergenkön­ig Laurin liegen. In einen Rosengarte­n, der sich an das Gebirge gleichen Namens schmiegte, hatte der König aus Liebe die schöne Similde entführt. Gegen Ritter, die sie befreien wollten, wehrte er sich mit einer Tarnkappe. Als die tapferen Recken an Bewegungen der Rosen erkannten, in welchem Beet sich Laurin versteckte, strafte er diesen Verrat mit einem Fluch: Weder bei Tag noch bei Nacht sollte ein Mensch den Rosengarte­n jemals wieder erblicken. Weil der Zwergenkön­ig jedoch die Dämmerung vergaß, leuchten die Rosen im verzaubert­en Garten bei Sonnenaufg­ang und Sonnenunte­rgang noch heute. In solchen Stunden, wenn das Alpenglühe­n wie eine geheimnisv­olle Fackel über dem Schatten der Täler brennt, erscheint das Felsgebild­e wie der Abglanz einer Heldensage.

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Foto: Eggental Tourismus Malerisch thront die Burg Runkelstei­n hoch über Bozen.

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