... bis zur Straße des Friedens
El Salvador: Trekkingtour durch einstige Kampfzonen des Bürgerkrieges.
Unser alter Toyota-Jeep stoppt schnaufend und klappernd vor dem kleinen Revolutionsmuseum von Perquin. Benjamin Rivera und Santos Amaya, die Wanderführer, wollen uns einstimmen auf die Tour durch die schicksalhafte Ecke des kleinsten mittelamerikanischen Landes im Grenzgebiet zu Honduras. Wo sich einst Gewerkschafter, Intellektuelle, Kommunisten, ja sogar die Bauern gegen das totalitäre Regime der Militärjunta unter Präsident Duarte erhoben und wohin sich auch heute nur selten ausländische Touristen verirren.
Unscheinbar wirkt das bescheidene Museum, seine Artefakte jedoch sind umso bewegender. Teile abgeschossener Kampfjets, erbeutete Maschinengewehre, mobile Sendeanlagen des Untergrundkanals »Radio Venceremos«, durchlöcherte Stahlhelme, vergilbte Fotos von gefallenen Kameraden. Der Bürgerkrieg von 1980 bis 1991 kostete 70 000 Menschen das Leben. In diesem Museum bekommt man ein Gefühl für die Einheimischen und ihren Freiheitskampf – für ihr Land, ihre Vergangenheit und Gegenwart.
Vom mit Bombentrichtern übersäten Hausberg, dem Cerro de Perquin, auf 1321 Metern hat man einen grandiosen Blick auf die sanfte Berglandschaft des salvadorianisch-honduranischen Grenzgebietes. Aufgelockerte Pinienwälder säumen den Trampelpfad, den wir laufen. Die Umgebung ändert sich fortwährend. In den kleinbäuerlichen Kaffeeplantagen ernten junge Frauen singend die roten Beeren. Dann prägen ausgedehnte goldgelbe Gesteinsformationen das Bild, in denen hier und da grade mal eine Agave Halt findet. Mal durchwandern wir fruchtbare, von kalten Gebirgsbächen gespeiste Täler, wo üppige Bananenstauden gedeihen. Sattgrüne Wiesen mit gelber Blütenpracht überwuchern ganze Hanglagen, wo Kolibris und Bienen reichlich Nektar finden. Doch die Stars der Lüfte sind die bunten Tukane mit ihren überdimensionalen Schnäbeln.
Wie friedlich sich doch die Natur im Vergleich zu den Hinterlassenschaften des Bürgerkriegs präsentiert, der in dieser Gegend am blutigsten ausgetragen wurde. Die Provinz Morazán galt als die Hochburg der Guerilleros. Hier waren die Freiheitskämpfer zu Hause, verfügten über gute Netzwerke. Höhlen und dichtes Unterholz boten ihnen Schutz.
Zuweilen braucht man auch heute noch Macheten, um sich einen Weg durch mannshohes Gestrüpp zu schlagen. Aber insgesamt sind die Anforderungen an Wanderer auf den Spuren des Bürgerkrieges doch eher moderat. Mittlerweile macht uns aber die steigende Temperatur zu schaffen. Wir haben talwärts einige Hundert Meter Höhe verloren und die Sonne steht im Zenit.
Umso willkommener ist die Mittagspause in einer kleinen Ansiedlung, wo es nicht viel mehr als ein paar
Denkmal für die Ermordeten in El Mozote
windschiefe Holzschuppen, eine Kirche und wenige gemauerte Häuser gibt. Wir kehren ein in die Hütte unseres Guides Santos. Seine Frau und seine Schwägerin sind schon emsig am offenen Lehmofen beim Zubereiten von Pupusas, dem Nationalgericht: Maisfladen mit Bohnenpaste und fetter Schweineschwarte gefüllt. Nun gut, nicht jedermanns Sache, macht aber satt. Etliche Kinder springen umher, Katzen auch. Wir sind angekommen im salvadorianischen Alltag.
Am Nachmittag scheint die prärie-artige Landschaft eher einem Western entsprungen zu sein. Ein weites, leicht hügliges Land. Wir spazieren über Stock und Stein, passieren abermals kleine Rinnsale und müssen immer wieder auch durch massive Steinformationen, die vor Urzeiten aus gewaltigen Magmakammern emporgestiegen sind. Es ist eine sehr entspannte Wanderung, bis Benjamin plötzlich wie angewurzelt stehen bleibt und auf ein Plateau deutet. Dort tollen zwei Ozelotjunge ausgelassen umher, deren Mutter er- trägt die spielerischen Angriffe mit Engelsgeduld, dabei nie den Überblick verlierend. »Sie hat uns längst entdeckt«, flüstert Benjamin. »Doch sie scheint wohl zu wissen, dass von uns keine Gefahr ausgeht.«
Wir befinden uns im Sapo River Naturschutzgebiet, wo Ozelots zu Hause sind. Doch sie sind hier selten geworden. Rund 90 Prozent des Primärwaldes von El Salvador wurden bereits abgeholzt. Nur im Norden des Landes an der Grenze zu Honduras finden sich überhaupt noch größere zusammenhängende Waldgebiete.
Als es bereits stockfinster ist, erreichen wir endlich den Skorpion Fluss. Mit einem Mal wird es richtig spannend und irgendwie auch unheimlich. Denn auf der anderen Seite warten bereits zwei Kommandeure des einstigen Guerillabataillons auf uns: Jose Serafin Gómez Luna und Jorge Antonio Portillo. Bei dem Gedanken, was die beiden Männer wohl in elf Jahren Bürgerkrieg erlebt und auch getan haben, möchten wir am liebsten gar nicht mehr durch den Fluss waten. Doch auf der anderen Seite steht auch unsere Lodge. Und diesseits des Flusses? Skorpione? Nachtaktive Pumas?
Die Begrüßung ist überraschend angenehm. Fast schüchtern schütteln uns die beiden älteren Herren die Hand. Klein sind sie. Viel kleiner als erwartet. Eine Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung stellt sich nun ein. Mit den gefüllten Pupusas kommt die Unterhaltung lang- sam in Schwung. Im zarten Alter von sieben Jahren sei Serafin zu den Rebellen gekommen. Wie genau, will er nicht verraten. Bestimmte Fragen, zum Beispiel nach Kindersoldaten in Reihen der Rebellen, werden höflich, aber konsequent ausweichend beantwortet. Doch insgesamt sind die beiden sehr auskunftsbereit und erfreut über das Interesse an ihrem Leben. Sehen sie dies doch auch als Wertschätzung ihres damaligen Befreiungskampfes. Anerkennung, die ihnen im Land oft verwehrt wird.
Bis tief in die Nacht lauschen wir ihren Anekdoten. Die beiden sind hervorragende Geschichtenerzähler. Dabei haben sie nie eine Schule von innen gesehen. Und sie sind noch bessere Guides, wie wir am nächsten Tag feststellen. Sie führen uns durch ihr Revier, zur Cueva del Murciélago zum Beispiel, der Höhle der Fledermäuse, von wo aus der legendäre Rebellensender »Radio Venceremos« in den Äther funkte. Zeigen uns die Überreste ihrer Kommandozentrale im benachbarten Dorf La Guacamaya und bringen uns zu den kleinen Wasserfällen El Caracol und El Perol. Nach wochenlangen Aufenthalten im Busch seien dies die schönsten Duschen der Welt für die Untergrundkämpfer gewesen, erzählen sie. Doch sicherlich auch die gefährlichsten. An solchen Plätzen mussten sie immer mit Scharfschützen der Armee rechnen.
Nach einem schweißtreibenden Anstieg auf 1379 Meter bietet sich uns wieder ein fantastischer Panorama- blick. Vom Pericon Hill aus erblicken wir Richtung Südwest das tiefe Blau des Pazifiks. Von hier aus versuchten die Rebellen, Truppenbewegungen der Todesschwadronen auszumachen. Genau wie am Bailadero del Diablo, dem Tanzplatz des Teufels, wo sie einst ein Sonderkommando in die Irre führen konnten.
In dem Dörfchen El Mozote ist ihnen dies nicht geglückt. Am 10. Dezember 1981 kamen 5000 Soldaten des berüchtigten Atlacatl Battalions über die Ruta de la Muerte, die Straße des Todes, in das Dorf. Verhöre, Folterungen und Massenvergewaltigungen begannen. Am Tag darauf ermordeten die in den USA gedrillten Soldaten 900 wehrlose Männer, Frauen und Kinder. Das Massaker von El Mozote sollte als das größte Kriegsverbrechen in die Geschichte Mittelamerikas eingehen.
Ergriffen stehen wir vor dem einfachen Denkmal mit der Skulptur einer Familie und einer langen Wand, die die Namen aller Ermordeten trägt. Erst im Jeep auf der Überlandstraße mit ihren tollen Ausblicken hellt sich unsere Stimmung langsam wieder auf. Jahrhundertelang war dies die alte Handelsroute der Ureinwohner auf dem Weg nach Honduras. Noch lange bevor die ersten Europäer amerikanischen Boden betraten und oder die Junta aus ihr die Straße des Todes machte. Heute heißt die Straße des Todes Ruta de Paz, die Straße des Friedens. Das macht Hoffnung.
Vom Pericon Hill aus erblicken wir das tiefe Blau des Pazifiks. Von hier aus beobachteten die Rebellen die Todesschwadronen.