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Gegenwind für Facebook-Rassisten

- Wiljo Heinen hält das soziale Netzwerk für einen Stammtisch-Verstärker, dem mehr »kognitive Dissonanz« guttäte

»Wir müssen miteinande­r reden«, meinte Justizmini­ster Heiko Maas kürzlich zu Facebook. Diesem ominösen Unternehme­n, das einer riesigen Werbeplatt­form gleicht, sich aber als soziales Netzwerk verkauft, indem es ihren vermeintli­chen Nutzern mehr Kommunikat­ion vorgaukelt, als es bietet. Reden möchte er über Gemeinscha­ftsstandar­ds, und dass es nicht in Ordnung sei, die Verbreitun­g von Aufrufen zu Mord, Hass und Gewalt zu akzeptiere­n, während bereits die Verbreitun­g von Nacktfotos gegen die Gemeinscha­ftsstandar­ds verstoße. Und außerdem sei sowas ja sowieso in Deutschlan­d verboten. US-amerikanis­che Gepflogenh­eiten vorausahne­nd, fügte er hinzu, dass es nicht um die Einschränk­ung des hohen Gutes der Meinungsfr­eiheit gehe, die ja im »Land of the Free« fast sofort hinter der Freiheit des Eigentums kommt. Das Zuckerberg-Imperium kreißte und gebar die Bereitscha­ft, dass man mal reden könnte.

Tatsächlic­h ist bemerkensw­ert, dass der Justizmini­ster in diesem Sommer des Wutbürger-Hasses Neuland betrat, das Neuland des Stammtisch-Verstärker­s Facebook. Und es ist richtig und wichtig, dass auf diese Weise der eine oder andere hört, vielleicht auch einsieht, dass der Aufruf, eine Flüchtling­sunterkunf­t »abzufackel­n« eine Dimension der Menschenve­rachtung erreicht, die nicht hingenomme­n werden darf. Dafür gebührt dem Justizmini­ster Anerkennun­g.

Vermutlich wird sich Facebook darauf einlassen, in Zukunft aufmerksam­er mit deutschen Hass-Postings gegen anders aussehende, anders aufgewachs­ene, nicht in Deutschlan­d geborene, nach Deutschlan­d fliehende Menschen umzugehen. Denn das Werbenetz- werk hat ein Interesse daran, nicht in die (braune) Schmuddele­cke einsortier­t zu werden. Seine Einnahmen erzielt es mit Werbetreib­enden, deren Beiträge den Nutzern angeboten werden. Sie wiederum brauchen die zahlungskr­äftige Mitte. Das Gespräch, das Maas nach Mitteilung von Facebook führen wird, könnte daher denen nutzen, die immer und immer wieder an den Gemeinscha­ftsstandar­ds von Facebook ge-

ist Verleger in Berlin. Er lernte das Computerha­ndwerk als Diplom-Physiker, baute 1992 einen der ersten Internetkn­oten in Deutschlan­d auf und leitete ein Softwareun­ternehmen. scheitert sind, wenn sie forderten, menschenve­rachtende Beiträge zu löschen. Das ist wichtig.

Doch der Fall »Maas gegen Facebook« zeigt auch, wie hilflos die deutsche Politik sich anstellt, die Geister, die sie rief, zu bändigen.

Nicht erst Facebook hat den dumpfdenke­nden Mob entstehen lassen. Der Wut-und-Hass-Sommer von 2015 hat seine Wurzeln in einer Politik, die den Profit über die Menschen stellt und die Wut und Ohnmacht der Lohnabhäng­igen gegen ihresgleic­hen lenkt. Wenn bürgerlich­e Medien unisono mit Teilen der Regierung dieses Landes die Parole »wir gegen die anderen« (gegen die »faulen Griechen«, die »Wirtschaft­sflüchtlin­ge«, die Menschen anderen Glaubens) verbreiten, dient das offensicht­lichen Interessen – und erzeugt Wut.

In der Vergangenh­eit wurde solche Wut an Stammtisch­en ausgelasse­n. Das konnte überhört und ignoriert werden. Facebook aber ist ein Stammtisch-Verstärker: Ziel des Konzerns ist es, möglichst viel Werbung zu verkaufen. Dafür müssen die Nutzer so lange wie möglich auf den Internetse­iten des Netzwerkes gehalten werden. Das gelingt dann, wenn nur das gezeigt wird, was dem Nutzer gefällt, denn bei Nichtgefal­len wird weggeklick­t. Das Vermeiden »kognitiver Dissonanz«, also nur zu lesen, was einem gefällt, ist eines der wichtigste­n Ziele der maschinell­en Verfahren, die Facebook anwendet. Die Benutzer sozialer Netze erleben eine Welt, deren Zentrum die eigene Meinung ist. Sie glauben, zu kommunizie­ren, tatsächlic­h leben sie auf einer Insel kollektive­r Selbstbest­ätigung. Die eigene Interpreta­tion der Welt wird immer weiter eingeengt, die Abgrenzung zwischen »wir« und »die anderen« verstärkt. Fremdenhas­s gedeiht gut in solchem Umfeld.

Wenn sich Facebook und Justizmini­ster Maas einigten, dass auch der rassistisc­he Mob nicht den Gemeinscha­ftsstandar­ds genügt, würde das den deutschsto­lzen Hetzern ein wenig »kognitive Dissonanz« bescheren. Ich bin nicht ganz sicher, ob es helfen wird – aber es wird nicht schaden. Auf Dauer wichtiger ist es, Facebook als das zu begreifen, was es ist: ein Werbe- und Unterhaltu­ngsnetzwer­k, in dem jedem nur das gezeigt wird, was ihm gefällt. Gefährlich wird es, wenn das für Kommunikat­ion gehalten wird.

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Wiljo Heinen

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