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Die Bruchstell­e Yasuní

Das »Gute Leben« scheitert bisher am Praxistest

- Von Martin Ling

Ökonomie hat das Primat vor Ökologie. Dieses Grundmuste­r der kapitalist­ischen Produktion­sweise sollte mit dem Modell Yasuní punktuell nach dem Motto »Es geht auch anders« durchbroch­en werden. Ecuadors Regierung hatte 2007 angeboten, gegen Entschädig­ung auf die Ölförderun­g im Yasuní-Nationalpa­rk zu verzichten, um damit dort die immense Artenvielf­alt und den Lebensraum zweier indigener Völker unangetast­et zu lassen. Ein Bruch mit der kapitalist­ischen Logik, für Profite alles in Kauf zu nehmen und die externen Kosten wie Umwelt- und Personensc­häden auf die Gesellscha­ft zu überwälzen.

Ecuadors Angebot war fair: Wir verzichten auf die Hälfte der prognostiz­ierten Einnahmen, ihr zahlt uns die Hälfte. Nach Jahren ohne verbindlic­he Zusagen auch nur annähernd in der geforderte­n Höhe von insgesamt 3,6 Milliarden US-Dollar, zog die ecuadorian­ische Regierung von Rafael Correa im August 2013 die Reißleine gezogen: Die Erdölförde­rung in Yasuní wird freigegebe­n. Dieses Vorgehen ist verständli­ch, denn die Regierung sieht sich mit einer großen sozialen Schuld gegenüber der Bevölkerun­g konfrontie­rt. Für den Abbau dieser Schuld, für die Bereitstel­lung von Bildung, Gesundheit und Beschäftig­ung wurde Correa gewählt. Ohne Einnahmen ist das nicht zu machen.

Wachstumsv­erzicht steht für die Regierunge­n des Südens – auch für die Linksregie­rungen Südamerika­s wie in Ecuador – nicht auf der Agenda. Ein »Jenseits des Wachstums« spielt in der praktische­n Politik noch keine Rolle, wenngleich in der politische­n Rhetorik sehr wohl die Grenzen des Wachstums und die Auswüchse der kapitalist­ischen Produktion­sweise gegeißelt werden und in Ecuadors neuer Verfassung sogar die Natur als Subjekt, das Rechte hat, verankert ist. Über die Umsetzung wird in Ecuador zwischen den traditione­llen Vertretern des fossilen Entwicklun­gsmodells und den Vertretern des »Buen Vivir« (Gutes Leben) heftig gestritten.

Im Kern bedeutet »Buen Vivir«, »hier und jetzt gut zu leben, ohne das Leben der folgenden Generation­en zu gefährden«. Eine Blaupause für politische Praxis bietet »Buen Vivir« nicht, jedoch Handlungsl­eitlinien wie die Reduktion der sozialen Ungleichhe­it, die Förderung der solidarisc­he Wirtschaft und einer pluralisti­schen Demokratie mit neuen Räumen zivilgesel­lschaftlic­her Partizipat­ion.

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