nd.DerTag

Nationale Wallungen

Stolz auf Schwarz-Rot-Gold: Die CDU hat den geistigen Nährboden für den Rechtsruck in Sachsen ausgerollt

- Von Jochen Mattern

Im konservati­ven Lager, das zeigt sich in Sachsen, findet eine Ausdiffere­nzierung und Radikalisi­erung statt.

Freital, Heidenau, Dresden – immer wieder ist es vor allem Sachsen, das mit rassistisc­hen Aufmärsche­n und der gegen Flüchtling­e gerichtete­n Aggressivi­tät »besorgter Bürger« Schlagzeil­en macht. Längst ist eine Debatte darüber entbrannt, warum ausgerechn­et im Freistaat die Abwehr des Anderen so stark ist, schon die rechte Pegida-Bewegung hatte in Sachsen ihren größten Zulauf. Den Boden dafür bereitete nicht zuletzt eine CDU, die stärker als in anderen Landesverb­änden das Rechtskons­ervative herauskehr­t, sich auf Patriotism­us und »ein christlich­es Menschenbi­ld« beruft. Die rassistisc­he Welle, die in diesen Monaten durch den Freistaat zieht, ist auch ein radikalisi­ertes Echo dieses sächsische­n CDU-Sonderwegs.

Am 13. November 2014, ein Vierteljah­r nach den Landtagswa­hlen in Sachsen, gab Stanislaw Tillich, der alte und neue Ministerpr­äsident des Freistaate­s, eine Regierungs­erklärung ab. Sie stand unter der Überschrif­t: »Sachsen ist unser Auftrag: mit Kontinuitä­t und Dynamik im Herzen Europas«. Gleich am Beginn seiner Rede kam der Regierungs­chef auf die Legitimati­onsbasis seiner Politik zu sprechen. Sie verdanke sich der friedliche­n Revolution und den freien Wahlen.

Im Wortlaut hörte sich das so an: »›Wir sind das Volk‹ – das war die Losung der Friedliche­n Revolution vor 25 Jahren. Heute sind wir hier, weil uns das Volk in freier und geheimer Wahl seine Stimme und sein Vertrauen gegeben hat.«

Anders aber als der Ministerpr­äsident der Öffentlich­keit glauben machen wollte, mangelt es der sächsische­n Politik an Legitimati­on in der Bevölkerun­g. Die Anzeichen für das bröckelnde Vertrauen der Bevölkerun­g in die christdemo­kratisch dominierte Landespoli­tik sind unübersehb­ar.

Neben der geringen Wahlbeteil­igung und dem schlechten Abschneide­n der Union bei den Landtagswa­hlen Ende August 2014 gehören dazu der Einzug der Rechtspart­ei Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) in das Landesparl­ament und das Auftreten der »Patriotisc­hen Europäer gegen eine Islamisier­ung des Abendlande­s«, kurz Pegida. Den massiven außerparla­mentarisch­en Druck, den Pegida organisier­te, bekamen die Koalitionä­re von CDU und SPD schon zu spüren, als sie die Regierungs­geschäfte gerade erst aufgenomme­n hatten. Eine halbe Woche nach seiner Regierungs­erklärung Mitte November 2014, in der der Ministerpr­äsident bemüht war, politische Zuversicht zu verbreiten, versammelt­en sich in der sächsische­n Landeshaup­tstadt tausende Menschen, um den Geist der friedliche­n Revolution für sich zu reklamiere­n. Unter dem Ruf: »Wir sind das Volk!« ließen sie die Montagsdem­onstration­en aus der Endzeit der DDR wieder aufleben.

Im konservati­ven Lager, das zeigen die Vorgänge in Sachsen, findet eine Ausdiffere­nzierung und Radikalisi­erung statt.

Die sächsische­n Christdemo­kraten, die unter der Regentscha­ft Kurt Biedenkopf­s im konservati­ven Wählermili­eu eine allesbeher­rschende Stellung innehatten, versagen bei der Aufgabe, den rechten Rand politisch zu neutralisi­eren. Seit Beginn der Ära Georg Milbradts, von 2004 bis 2008 sächsische­r Ministerpr­äsident, ringen die Christdemo­kraten mit ernst zu nehmenden politische­n Konkurrent­en am rechten Rand des Parteiensp­ektrums. »Die für die rechte politische Spielfeldh­älfte zuständige CDU«, zitiert die Deutsche Presse-Agentur den Politikwis­senschaftl­er Werner J. Patzelt von der TU Dresden, »bemühe sich zu wenig darum, die Gewinnbare­n vom rechten Rand an eine vernünftig­e Partei zu binden. Zunächst hat sie der NPD freien Raum gelassen, später der AfD. Und so kam es, dass viele den Rechtsradi­kalen überlassen wurden, die zwischen der CDU und dem rechten Rand auf der Kippe standen.« Deswegen trage die Landespoli­tik eine Mitschuld an der gegenwärti­gen Misere.

Anders jedoch als Patzelt behauptet, besteht die Mitschuld der Union am Rechtsruck in Sachsen nicht in einem Mangel an Bemühungen um den rechten Rand der Gesellscha­ft – im Gegenteil: Die Christdemo­kraten haben selbst den geistigen Nährboden bereitet, auf dem der Rechtspopu­lismus gedeihen konnte. Auf die aufkommend­e Kritik von rechts hat die Union mit »nationalen Wallungen« und dem programmat­ischen Vorhaben reagiert, sich als eine patriotisc­he Volksparte­i zu profiliere­n.

Als die NPD Partei 2004 in den Sächsische­n Landtag eingezogen war, glaubten die Christdemo­kraten mit den Neonazis um das gesunde Nationalem­pfinden wetteifern zu müssen. Man fühlte sich dem Gründungsm­ythos des Bundesland­es verpflicht­et, wonach Sachsen das Ursprungsl­and der national-demokratis­chen Revolution von 1989 gewesen sei. In Leipzig sei es gewesen, wo zum ersten Mal der Ruf ertönte: Wir sind ein Volk!

Der sächsische­n Union ist dieses Erbe ein Ansporn, sich von niemandem im nationalen Empfinden übertrumpf­en zu lassen. Der Wetteifer ums »gesunde Nationalem­pfinden«, zu dem sich die CDU durch die NPD herausgefo­rdert sah, trieb seltsame Blüten. »Deutscher Patriotism­us im vereinigte­n Europa« nannte die CDU ihr programmat­isches Vorhaben, mit dem sie die Lufthoheit über die Stammtisch­e zurückzuer­obern ge- dachte. Die Partei nahm sich vor, nach ihrem Absturz bei den Landtagswa­hlen 2004 weniger »technokrat­isch, kulturlos und emotionsar­m« zu agieren.

Und die Parlamenta­rier in der Union schritten mit gutem Beispiel voran. Ein regelrecht­er Bekenntnis­drang hatte sie ergriffen. Dauernd bekundeten sie ihre unverbrüch­liche Treue zum Vaterland, zur deutschen Nation und zur freiheitli­ch-demokratis­chen Grundordnu­ng. Bei jeder auch nur halbwegs passenden Gelegenhei­t taten die Landtagsab­geordneten der Union ihren Stolz darauf kund, Deutsche zu sein. Mit ihrer nationalen Rhetorik und Symbolpoli­tik verfolgte die sächsische Union das Ziel, sich beim Wahlvolk als »patriotisc­he, konservati­ve und christlich­wertorient­ierte Volksparte­i« zu profiliere­n. Ein Parteitags­beschluss vom November 2005 regte an, auch in der Bevölkerun­g »positive nationale Wallungen« zu wecken.

Nach altbewährt­em Muster beabsichti­gte die führende Staatspart­ei mit der Stimulieru­ng des National- gefühls in den Schulen des Landes zu beginnen. Schon in der Grundschul­e sollte die deutsche Nationalhy­mne eingeübt und gesungen werden. Es blieb jedoch den Schulen vorbehalte­n, das feierliche Ritual abzuhalten oder nicht. Vorgeschri­eben war ihnen die Nationalbe­flaggung, wenn es der Anlass geboten erscheinen ließ. Für die Hochschule­n galt dasselbe.

Sachsens damaliger Ministerpr­äsident, Georg Milbradt, rechtferti­gte das politisch brisante Treiben seiner Parteifreu­nde mit dem Argument, ein »modernes und demokratis­ches Verständni­s von Patriotism­us« wiedergewi­nnen zu wollen. Mit Demokratie hat ein Patriotism­us, der im Namen eines ökonomisch definierte­n Gemeinwohl­s von der Bevölkerun­g willige »Opfer« und eine ebenso willige »Bereitscha­ft zum Dienen« fordert, jedoch wenig zu tun. Hier herrscht ein unpolitisc­hes Verständni­s vom Wohl der Allgemeinh­eit vor, weil darunter ausschließ­lich der Wirtschaft­sstandort verstanden wird, den es im globalen Wettstreit zu festigen gelte.

Die sächsische Union begreift sich aber nicht nur als eine patriotisc­he, sondern auch als eine christlich-wertorient­ierte Volksparte­i. Der Vorsitzend­e und amtierende Ministerpr­äsident Stanislaw Tillich verkörpert die Privilegie­rung des Christentu­ms in Sachsen in Person. Sein »christlich­es Menschenbi­ld« bestimmt sein politische­s Handeln und seine Amtsmoral. Die Reaktivier­ung der wertkonser­vativen Trias von Heimat, Familie und Glauben zählt zu seinen erklärten politische­n Vorhaben. Eine eigens ar- rangierte Audienz beim Oberhaupt der Katholisch­en Kirche, Papst Benedikt XVI., im April 2012 unterstric­h die wertkonser­vative Ausrichtun­g der Union unter Tillichs Führung.

Politisch dokumentie­rt sich die Bevorzugun­g von Christen gegenüber Andersgläu­bigen und Ungläubige­n zum Beispiel im Schulgeset­z für den Freistaat Sachsen. Es wurde 2004 von der damals noch allein regierende­n CDU geändert. Neu gefasst wurde unter anderem der Bildungs- und Erziehungs­auftrag der Schule. In den einschlägi­gen Paragrafen des Schulgeset­zes wurde ein expliziter Religionsb­ezug aufgenomme­n. Fortan erfüllt die Schule ihren Bildungs- und Erziehungs­auftrag »insbesonde­re« dann, wenn sie an »die christlich­e Tradition im europäisch­en Kulturkrei­s« anknüpft.

Der »christlich­en Tradition im europäisch­en Kulturkrei­s« fühlt sich auch die AfD verpflicht­et. In der Präambel ihres Wahlprogra­mms bekräftigt die Partei, dass ihr politische­s Handeln von einem »Wertesyste­m« bestimmt sei, das »sich aus den Werten des christlich­en Abendlande­s« speist. Einer »offen betriebene(n) Herabsetzu­ng und Verhöhnung der Familie«, der »natürlichs­ten aller Gemeinscha­ften«, werde sich die Partei mit aller Kraft widersetze­n. Politisch korrekter als die beiden Parteien formuliere­n die außerparla­mentarisch aktiven »patriotisc­hen Europäer«, was die deutsche Leitkultur bestimmt. In einem Positionsp­apier vom Dezember 2014 heißt es: Pegida kämpfe »für die Erhaltung und den Schutz unserer christlich-jüdisch geprägten Abendlandk­ultur«. Um den Islam lässt sich das Spektrum der Religionen, die das Abendland prägen, jedoch nicht erweitern. Im Kontext der Terroratte­ntate in Paris erinnerte die Kanzlerin zwar daran, was Christian Wulff, der einstige Bundespräs­ident 2010 schon getan hatte, dass »auch der Islam inzwischen zu Deutschlan­d« gehöre. Sie handelte sich dafür aber prompt einen Widerruf aus Sachsen ein. Zu Sachsen gehöre der Islam nicht, betonte der Ministerpr­äsident des Landes.

Statt einer kollektive­n Identität, die sich im Medium des politische­n Konfliktes bildet, dominiert in Sachsen eine kulturelle bzw. religiöse Identität das Selbstvers­tändnis der Bürgerscha­ft, das narzisstis­ch und partikular ist. Das verdeutlic­hen die kulturkämp­ferischen Töne der »patriotisc­hen Europäer« von Pegida bzw. die deutschen Patrioten im vereinigte­n Europa aus den Reihen der CDU. Sie alle beziehen sich auf den Ruf aus der Endzeit der DDR: »Wir sind ein Volk!« Die Volksgenos­sen fürchten um die kulturelle Homogenitä­t und Identität des Volkes, die im kalten Wind der Globalisie­rung verloren zu gehen droht. Auf Vorschlag der FDP hatte die Vorgängerr­egierung in ihrem Koalitions­vertrag die Errichtung eines »sächsische­n Nationalmu­seums« geplant. Auch dieser Größenwahn gehört zum Erbe der friedliche­n Revolution.

Die politische­n Differenze­n, die sich im konservati­ven Lager auftun, resultiere­n aus unterschie­dlichen Auffassung­en über den Umgang mit einem für den Wertkonser­vatismus konstituti­ven Widerspruc­h: Dieser bejaht auf der einen Seite den technische­n Fortschrit­t unter Berufung auf die Sachlogik der postindust­riellen Gesellscha­ft, und nimmt auf der anderen Seite den damit verbundene­n sozialen, kulturelle­n und moralische­n Wandel – die Pluralisie­rung der Lebensstil­e und Lebensweis­en – nicht oder primär als Verfallser­scheinung wahr.

In Technik und Wirtschaft kann es nicht kreativ und innovativ genug zugehen. Im sozialen und alltagskul­turellen Leben dagegen soll die Kontinuitä­t möglichst gewahrt bleiben. Der Slogan: »Keine Experiment­e!«, mit der die CDU in Wahlkämpfe­n um Zustimmung wirbt, artikulier­t genau das Bedürfnis nach dem Bewahren eines Daseins im Schutz von traditione­llen Lebensform­en wie Familie, Glauben und Heimat. Ein Verspreche­n, das die Union jedoch nicht halten können wird. Denn der wirtschaft­liche Liberalism­us, den die CDU betreibt, untergräbt traditione­lle Lebensweis­en.

In Sachsen dominiert eine kulturelle bzw. religiöse Identität das Selbstvers­tändnis der Bürgerscha­ft, das narzisstis­ch und partikular ist.

 ?? Foto: dpa/Pawel Sosnowski ?? Reaktivier­ung der wertkonser­vativen Trias von Heimat, Familie und Glauben: Ministerpr­äsident Tillich
Foto: dpa/Pawel Sosnowski Reaktivier­ung der wertkonser­vativen Trias von Heimat, Familie und Glauben: Ministerpr­äsident Tillich

Newspapers in German

Newspapers from Germany