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Milliarden­geschäft Nachhilfe

Schwächere Schüler müssen fürchten, später von Unternehme­n ausgesiebt zu werden

- Von Christine Schultze, München dpa/nd

Wenn es in der Schule für den Nachwuchs nicht rund läuft, werden Eltern schnell unruhig. Viele setzen auf Nachhilfe. Das verschafft kommerziel­len Anbietern Milliarden­umsätze.

Azubis und Fachkräfte willkommen, aber bitte mit gutem Schulabsch­luss – auch in Zeiten des Nachwuchsm­angels bleiben die Anforderun­gen der Unternehme­n an Bewerber in Deutschlan­d hoch. Im neuen Schuljahr müssen deshalb wohl wieder gut eine Million Kinder und Jugendlich­e auch außerhalb der Schule für bessere Zensuren büffeln, wenn sie später einen guten Ausbildung­s- oder Studienpla­tz ergattern wollen. Der Nachhilfeb­ranche in Deutschlan­d verschafft das jährliche Umsätze von schätzungs­weise rund zwei Milliarden Euro.

Große Gewinne fahren viele Anbieter allerdings schon wegen hoher Personal- und Servicekos­ten nicht ein, sagt die Vorstandsv­orsitzende des Bundesverb­andes der Nachhilfeu­nd Nachmittag­sschulen, Cornelia Sussieck. Pro Schüler und Monat geben die Eltern etwa 100 bis 110 Euro aus. Eigentlich wäre der Markt viel größer, denn nur etwa ein knappes Drittel der Eltern bucht Hilfe bei profession­ellen Anbietern. Weitaus häufiger kommt die Lernunters­tützung aus der Familie oder dem Freundeskr­eis. Aber auch ältere Schüler, Studenten, pensionier­te Lehrer oder arbeitslos­e Akademiker verdienen sich mit Nachhilfe gerne ein paar Euro hinzu – und das nicht selten am Fiskus vorbei.

Ihre Klientel finden all diese Anbieter schon unter den Dritt- und Viertkläss­lern: Große Klassen an vielen Grundschul­en und gestiegene Anforderun­gen durch gemeinsame­n Unterricht für Kinder mit und ohne Behinderun­gen machen es den Lehrern tendenziel­l schwerer, allen Schülern gerecht zu werden. Manche Eltern sehen deshalb ihren Nachwuchs nicht mehr ausreichen­d gefördert, vor allem wenn zum Ende der Grundschul­zeit der Übertritts­druck Richtung weiterführ­ende Schulen steigt.

Die meisten Nachhilfes­tunden werden allerdings von Gymnasiast­en in Anspruch genommen, denen auch die teilweise verkürzte Gymnasialz­eit von neun auf acht Jahre zu schaffen macht. Und schließlic­h ist auch der Trend zum Studium unge- brochen: Mehr als die Hälfte der jungen Leute eines Jahrgangs will sich nach Schulende an der Universitä­t oder Fachhochsc­hule bilden und braucht dafür ein gutes Zeugnis. Unterstütz­ung suchen die Schüler vor allem in den Hauptfäche­rn Mathematik, Deutsch und Englisch, aber auch in Physik und den anderen Fremdsprac­hen, wobei die Halbjahres­zeugnisse meist wie ein Weckruf sind.

Von einem Nachhilfeb­oom könne dennoch keine Rede sein, sagt Thomas Momotow von der Studienkre­is GmbH, die mit bundesweit rund 1000 Nachhilfes­chulen neben der Schülerhil­fe zu den zwei großen Anbietern in Deutschlan­d gehört. Zum einen sinken die Schülerzah­len wegen rückläufig­er Geburtenra­ten, zum anderen nehmen Ganztagesk­lassen und Betreuungs­angebote am Nachmittag den Schülern schlichtwe­g die Zeit, zusätzlich auch noch Nachhilfe in Anspruch zu nehmen. Der Markt sei relativ gesättigt und es herrsche ein Verteilung­skampf, sagt Momotov.

Dabei bleibt der Bedarf an besserer Schulbildu­ng durchaus groß: Noch immer gebe es zu viele Schulabgän­ger ohne Schulabsch­luss und junge Erwachsene ohne abgeschlos­sene Berufsausb­ildung, beklagt etwa der Deutsche Gewerkscha­ftsbund (DGB). Den Arbeitgebe­rn wirft er zugleich vor, schwächere Schüler von vornherein auszusiebe­n. »Hauptschül­ern bleiben zwei von drei Ausbildung­splätzen verwehrt«, heißt es in einer DGB-Auswertung der IHK-Lehrstelle­nbörse aus dem April dieses Jahres.

Der Deutsche Industrie- und Handelskam­mertag (DIHK) will das aber nicht gelten lassen: Rund drei Viertel aller Hauptschül­er mit Abschluss begännen eine betrieblic­he Ausbildung – »Tendenz steigend«, sagt der stellvertr­etende DIHK-Hauptgesch­äftsführer Achim Dercks. Die Unternehme­n böten viele Unterstütz­ungsmöglic­hkeiten auch für Leistungss­chwächere. »In anspruchsv­ollen Ausbildung­sberufen bleibt eine entspreche­nde schulische Vorbildung jedoch unerlässli­ch.«

Dennoch empfehlen Elternverb­ände, nicht zu früh zu viel Druck auf die Kinder aufzubauen. »Viele Eltern denken, nur mit einem möglichst hohen Schulabsch­luss kann es das Kind zu etwas bringen«, sagt etwa der Vorsitzend­e des Bayerische­n Elternverb­andes, Martin Löwe. Auch in Bayern, das als das Bundesland mit dem anspruchsv­ollsten Schulsyste­m gilt, böten sich jedoch den schwächere­n Schülern durchaus Chancen durch Querverbin­dungen zwischen den einzelnen Schulforme­n. Dennoch sei die Nachhilfe »leider zur Normalität« geworden, erklärt Löwe. »Wenn ein staatliche­s Schulsyste­m existiert, sollte es auch gewährleis­ten, dass die Kinder innerhalb dieses Systems zu vernünftig­en Abschlüsse­n kommen.«

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Foto: dpa/Julian Stratensch­ulte Nach dem Unterricht wartet oft die Nachhilfe.

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