Mehr Geld vom Bund für Flüchtlinge
Bundeskanzlerin Merkel erteilt Ost-West-Debatte eine Absage und bleibt auch sonst recht vage
Die Bundeskanzlerin will »mehr tun« für die Versorgung der Flüchtlinge. Eine Summe nannte sie allerdings nicht. Die SPD wird konkreter und fordert drei Milliarden Euro vom Bund.
Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat zu Mitgefühl gegenüber den Flüchtlingen in Deutschland aufgerufen und Gewalt und Hetze verurteilt. In ihrer Sommerpressekonferenz am Montag in Berlin warnte sie auch vor Mitläufertum: »Folgen Sie denen nicht, die zu solchen Demonstrationen aufrufen.« Zugleich forderte sie aber auch schnellere Asylverfahren, um Menschen ohne Bleibeperspektive schneller abschieben zu können.
Angesichts der Zunahme rassistischer Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte sprach sie sich gegen eine neue Ost-West-Debatte aus. »Das bringt uns überhaupt nicht weiter«, so Merkel. Fremdenfeindliche Ausschreitungen seien durch nichts zu rechtfertigen. Ob das nun im Osten ausgeprägter sei, »das will ich nicht bewerten«, so Merkel. Der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) hatte die Debatte ausgelöst. Er hält den Osten für deutlich anfälliger für Rechtsradikalismus. Dort lebten deutlich weniger Flüchtlinge und Migranten als im Westen, und doch sei die Aggressivität besonders hoch, erklärte der Vorsitzende der Innenministerkonferenz.
Aus Merkels Sicht geht es jetzt darum, die Menschen, die sich Rechtsradikalen und Flüchtlingsgegnern entgegenstellten, zu ermutigen. Um die bis zu 800 000 in diesem Jahr erwarteten Flüchtlinge versorgen zu können, werde auch der Bund »mehr tun«, sicherte Merkel zu. Eine Summe nannte sie allerdings nicht. Bislang hat die Bundesregierung den Kommunen eine Milliarde Euro zusätzlich für das laufende Jahr zugesagt.
Die SPD nennt konkrete Zahlen. In einem Vorstandsbeschluss spricht sie von drei Milliarden Euro pro Jahr für Länder und Kommunen und fordert 100 000 zu- sätzliche Erstaufnahmeplätze für Flüchtlinge, von denen der Bund die Hälfte finanzieren solle. Generell soll der Bund dauerhaft mehr Kosten tragen. Zudem soll der Aufenthaltsstatus bereits in den Erstaufnahmeeinrichtungen geklärt werden, heißt es in dem Text. Nur anerkannte und geduldete Asylbewerber sollten dann auf die Kommunen verteilt wer- den, schlägt die SPD vor. Deren Integration solle dann verstärkt gefördert werden. Eine Verständigung von Bund, Ländern und Kommunen soll auf einem Flüchtlingsgipfel am 24. September erreicht werden.
Bayern will schärfer gegen Schlepper vorgehen. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) kündigte am Montag verstärkte Kontrollen auf Autobahnen an. Wie weit dieser Ansatz trägt, ist am Transitpunkt Rosenheim zu erleben, der auf der Bahnstrecke Budapest-Wien-München liegt. Dort will die Bundespolizei vorerst keine Züge mehr kontrollieren. »Wir haben 350 Flüchtlinge auf unserer Dienststelle«, sagte Polizeisprecher Rainer Scharf. Die Beamten seien mit der Versorgung und Registrierung der Asylbewerber vor der Weiterreise in die Münchner Erstaufnahmestelle vollständig ausgelastet. »Wir können die Menschen nicht übereinanderlegen.«
Die SPD will mit viel Geld den Ländern in der Flüchtlingskrise helfen. Der Bund soll demnach dauerhaft mehr Kosten tragen.
Bei ihrer Sommerpressekonferenz hat Angela Merkel mehr »Flexibilität« in der Flüchtlingspolitik angekündigt. Die Bundeskanzlerin will, dass Asylverfahren künftig beschleunigt werden.
Ein Spruch soll die Atmosphäre in der Bundespressekonferenz etwas auflockern. »Diese Sommerpressekonferenz liegt angesichts der derzeitigen Temperaturen gerade noch in der richtigen Zeit«, sagt Angela Merkel. Eigentlich wollte die Kanzlerin sich wie üblich vor ihrem Urlaub den Fragen der Hauptstadtjournalisten stellen. Doch die am 17. Juli geplante Veranstaltung musste verschoben werden, weil der Bundestag an diesem Tag in einer außerplanmäßigen Sitzung den Verhandlungen über ein neues Kreditprogramm für Griechenland zustimmte. Die Lage für das von der Wirtschaftskrise gebeutelte Land hat sich durch die vor allem von Deutschland durchgesetzte Krisenpolitik verschärft. Griechenland wird weiter unter Druck gesetzt, neoliberale Strukturreformen umzusetzen.
Doch Merkel muss sich bei ihrem Auftritt nicht für ihren Umgang mit dem verschuldeten südosteuropäischen Staat rechtfertigen. Inzwischen steht vielmehr die Flüchtlingspolitik im Fokus der Öffentlichkeit. Zwanzig Minuten referiert die CDUVorsitzende über das Thema. Für viele Journalisten folgt einer der Höhepunkte des Jahres. Denn nach dem Vortrag der Kanzlerin ist Zeit für einen Fragenmarathon. Kein Platz im Saal ist noch frei. Wenn Merkel gestikuliert, klicken zahlreiche Fotoapparate.
Die Kanzlerin ist bemüht, Deutschland vor den vielen in- und ausländischen Journalisten als weltoffenes Land darzustellen. Sie betont, dass es ein »Grundrecht auf Asyl« gebe. Dieses können auch viele Schutzsuchende in Anspruch nehmen, die in der Bundesrepublik Zuflucht suchen. Merkel verlangt neben »deutscher Gründlichkeit« auch »Flexibilität«. Für viele Asylbewerber dürfte dies wie eine Drohung klingen. Denn die Bundeskanzlerin will vor allem, dass die Asylverfahren beschleunigt werden. Die angekündigte »Gründlichkeit« würde hierbei allerdings auf der Strecke bleiben. Die Fluchtgründe dürften nämlich in den verkürzten Verfahren noch oberflächlicher geprüft werden als bisher.
»Wer keine Bleibeperspektive hat, muss schnell in sein Heimatland zurückkehren«, kündigt Merkel an. Dies gelte vor allem für Menschen aus den Staaten des westlichen Balkans. Dass unter ihnen viele in ihrer Heimat verfolgte Roma sind, erwähnt die Christdemokratin nicht. Deren Schicksal ist von der Bundesregierung bislang weitgehend ignoriert worden. Schwarz-Rot diskutiert darüber, nach Serbien, Mazedonien und BosnienHerzegowina weitere Länder vom Westbalkan zu »sicheren Herkunftsstaaten« zu erklären, um Schutzsuchende von dort schneller wieder in ihre Heimat zurückzuschicken. Das Wort »Abschiebungen« vermeidet Merkel und spricht stattdessen von »Rückführungen«. Das soll offenbar humaner klingen. »Einreisesperren gehören auch zur Wahrheit«, fügt sie mit ernster Miene hinzu. Für die Menschen, die in der Bundesrepublik bleiben dürfen, verspricht Merkel mehr Integrationsanstrengungen. So sollen etwa zusätzliche Deutschkurse eingerichtet werden.
Doch für viele Schutzsuchende bleibt es schwierig, die Bundesrepublik überhaupt zu erreichen. Wer es dennoch schafft, darf oft nicht lange bleiben. Denn nach der DublinVerordnung ist der EU-Staat für ein Asylverfahren zuständig, in dem ein Asylbewerber erstmals europäischen Boden betritt. Diese Regelung gelte nach wie vor, betont Merkel. Vor einigen Tagen hatte der Bund angekündigt, bei syrischen Flüchtlingen auf die »Dublin-Prüfung« zu verzichten und sie nicht mehr in andere EUStaaten zurückzuschicken. Merkel meint, dies habe offenbar zu einer »gewissen Verwirrung« geführt. Nun hat die Bundesregierung Kontakt zur ungarischen Regierung aufgenommen, weil diese Hunderte Flüchtlin- ge ungehindert nach Österreich und Deutschland weiterreisen ließ. Das soll künftig nicht mehr vorkommen. Merkel fordert eine »faire Lastenverteilung« in Europa.
In Bedrängnis wird Merkel von den Journalisten nicht gebracht. Kritische Fragen sind selten. Einer der Anwesenden will wissen, ob es Differenzen zwischen CDU und CSU in der Flüchtlingspolitik gibt. Die Spitzen der beiden Schwesterparteien hatten am Vorabend im Kanzleramt über das Thema beraten. »Wir sind uns hierbei völlig einig«, versichert Merkel. Dabei hatten auch Konservative in den vergangenen Monaten gegen Flüchtlinge gehetzt. CSU-Chef Horst Seehofer hatte etwa in einem Bierzelt gerufen, dass Deutschland nicht zum »Weltsozialamt« werden dürfe.
Das Problem des Rassismus, der auch in der Mitte der Gesellschaft verbreitet ist, spielt Merkel herunter. »Die zivile Gesellschaft ist eine Realität. Die Zahl der Helfer übersteigt die der Hetzer um ein Vielfaches«, verkündet sie. Merkel hat den rechten Mob vor einigen Tagen aus nächster Nähe erlebt. Beim Besuch des Flüchtlingsheims im sächsischen Heidenau ist sie übel beschimpft worden. Angesprochen auf eine mögliche Ost-West-Schere beim »Rechtsextremismus«, erklärt sie, dass es in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern Orte gebe, »in denen rechtsextremes Gedankengut scheinbar salonfähig geworden ist«. Im gleichen Atemzug nennt Merkel »ziemlich harte linksextreme Vorgänge, die nicht gewaltfrei sind«. Wichtig sei es, »Extremismus« zu bekämpfen. Auch zu diesem Satz, der sich gegen viele Menschen richtet, die sich für Flüchtlinge einsetzen, gibt es in der Bundespresskonferenz keine kritischen Nachfragen.
Das Wort »Abschiebungen« vermeidet Merkel. Sie spricht stattdessen von »Rückführungen«. Das soll offenbar humaner klingen.