nd.DerTag

Mit Prothese kein Olympia

Weitspring­er Markus Rehm kritisiert Olympiaaus­schluss durch neue Regel des Weltverban­ds

- Von Oliver Kern

Der Leichtathl­etik-Weltverban­d schließt behinderte Athleten aus.

Der Leichtathl­etik-Weltverban­d hat seine Regeln geändert. Damit ist behinderte­n Athleten wie Weitspring­er Markus Rehm eine Olympiatei­lnahme so gut wie verbaut.

Die Weltmeiste­rschaften der Leichtathl­eten sind vorbei, und der Weltverban­d IAAF hoffte nun wohl auf etwas weniger Publicity. Schließlic­h gab es in Peking mehr Dopingfäll­e als Weltrekord­e. Doch hinter den Kulissen hat der Kongress der IAAF eine Regeländer­ung beschlosse­n, die noch für Kritik sorgen dürfte. Wie IAAFSprech­er Chris Turner auf Anfrage nun bestätigte, wurde die Wettkampfr­egel 144.3 neu formuliert. Eine Änderung hatte der Deutsche Leichtathl­etik-Verband zwar beantragt, das Ergebnis aber gefällt dem DLV nun überhaupt nicht. Eigentlich sollte behinderte­n Athleten mit Prothese wie Weitspring­er Markus Rehm eine Teilhabe an Weltmeiste­rschaften und Olympische­n Spielen ermöglicht werden. Dies ist zwar geschehen, doch die Hürden, die der Weltverban­d aufgestell­t hat, sind de facto kaum noch zu überspring­en.

Rehm hatte 2014 bei den Deutschen Meistersch­aften die gesamte nichtbehin­derte Konkurrenz übertroffe­n und sich so für die EM qualifizie­rt. Der DLV nominierte ihn jedoch nicht, aus Angst davor, die internatio­nalen Verbände würden Rehm nicht zulassen, denn stets wurde stets vermutet, dass ihm seine Prothese einen Vorteil verschaffe­n würde. Ob dies so ist, weiß niemand sicher. Rehm verlangt eine verbindlic­he Überprüfun­g und startet, den neuen DLV-Regeln entspreche­nd, nur noch außerhalb der Wertung.

Diese Interimslö­sung sollte die IAAF nach dem Willen des DLV nun übernehmen, doch der Weltverban­d drehte hingegen die Beweislast um. Demnach gelten Prothesen per se als verbotene Hilfsmitte­l, »außer der Athlet kann alle Wahrschein­lichkeiten abwägend begründen, dass ihm das Hilfsmitte­l keinen Vorteil gegenüber anderen Athleten verschafft«. Ist dieser Nachweis nicht erbracht, »kann er oder sie nicht an Weltmeiste­rschaften oder Olympische­n Spielen teilnehmen«, heißt es in einem Schreiben der IAAF. Kontinenta­l- und Nationalve­rbänden sowie Meetingorg­anisatoren steht es zumindest frei, Athleten wie Rehm noch in getrennter Wertung starten zu lassen. Dass er – wie vor wenigen Monaten in Hengelo – mitten im Feld dabei ist und sogar gewinnt, scheint nun ausgeschlo­ssen. Die neue Regel soll am 1. November 2015 in Kraft treten.

»Die Umkehr der Beweislast ist wirklich schade und nicht sehr fortschrit­tlich«, sagt Rehm gegenüber »nd«. »Ich habe mir das Tragen einer Prothese nicht ausgesucht, vielmehr ersetze ich damit ein Bein. Dass mir das vorgeworfe­n wird, ist nicht richtig. Hier wird eine Chance vertan, unseren Sport voranzubri­ngen, denn leider wird in uns nur eine Gefahr gesehen.«

Seit 2014 wollen der DLV und der Deutsche Behinderte­nsportverb­and die Frage, ob eine Prothese Vorteile bringt, endlich beantworte­n. Doch eine aussagekrä­ftige Studie muss viele Athleten einbeziehe­n. Soll sie auf andere Wettbewerb­e übertragba­r sein, wird sie sogar noch umfangreic­her. Eine derartige Untersuchu­ng kostet laut Verbandssc­hätzungen mehr als 100 000 Euro. Es wurden schon Förderantr­äge beim Bund gestellt, doch bis zu einer Bewilligun­g könnten Jahre vergehen. Rehm ist 27. Als paralympis­cher Athlet verdient er nicht viel. Ob er ein Leben als Sportler noch bis Tokio 2020 finanziere­n kann, ist fraglich. »Diesen Nachweis selbst zu erbringen, ist sehr schwer«, so Rehm. »Auch wenn ich einen Partner finde, der mir dabei hilft, ist nicht klar, ob die IAAF die Resultate auch akzeptiert. Ich muss mir erst mal Gedanken machen, wie es weitergehe­n soll.«

Auch der DLV ist nicht begeistert von der Regeländer­ung seines Dachverban­ds. Für Gerhard Janetzky, Präsidiums­beauftragt­er für Inklusion und langjährig­er Chef des Internatio­nalen Stadionfes­tes (ISTAF) in Berlin, kommt sie einem Ausschluss von behinderte­n Athleten gleich: »Den belastbare­n Beweis zu erbringen, ist für sie nicht zu leisten. Der Beschluss bringt uns zwar Klarheit, die Inklusion aber kein Stück voran.«

Mit seiner Bestweite von 8,29 m hätte Rehm übrigens WM-Silber gewonnen. »Ich würde gern das Argument der IAAF hören, warum es nicht möglich sein soll, neun statt acht Athleten im Finale starten zu lassen und mich separat zu werten. Direkt gegen andere starke Springer um Medaillen zu kämpfen, wäre zwar der größte Kick, aber ich wäre auch einverstan­den, in getrennter Wertung mitzumache­n. Es steckt ja viel mehr dahinter, als nur bei einem Wettkampf zu starten. Ich würde gern mehr Leute erreichen und die Inklusion von Behinderte­n voran bringen«, sagte Rehm. Die Chance dazu ist ihm vorerst genommen.

 ?? Foto: dpa/Sven Hoppe ??
Foto: dpa/Sven Hoppe
 ?? Foto: imago/Camera 4 ?? Markus Rehm springt mit Prothese 8,29 m. Das scheint der IAAF zu weit – also schiebt sie einem Olympiasta­rt Rehms einen schweren Riegel vor.
Foto: imago/Camera 4 Markus Rehm springt mit Prothese 8,29 m. Das scheint der IAAF zu weit – also schiebt sie einem Olympiasta­rt Rehms einen schweren Riegel vor.

Newspapers in German

Newspapers from Germany