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Die EU diskutiert über ihre Verantwort­ung

Osteuropäi­sche Staaten weigern sich weiter, mehr Flüchtling­e aufzunehme­n. Österreich­s Innenminis­terin will ihnen EU-Mittel streichen

- Von Katja Herzberg Mit Agenturen

Um Solidaritä­t ist es in der EU in der Flüchtling­sfrage nicht gut bestellt. Frankreich­s Premier fordert nun, eine »europäisch­e Einwanderu­ngspolitik« zu definieren.

Sie leben im Gebüsch in Zelten, in einem illegalen Camp namens »Dschungel«. Auf 3000 wird die Zahl der Geflüchtet­en geschätzt, die nahe der französisc­hen Küstenstad­t Calais am Ärmelkanal darauf hoffen, es irgendwie nach Großbritan­nien zu schaffen. Im Juni und Juli sind zehn Menschen bei diesem Versuch ums Leben gekommen. Nun soll ein Flüchtling­slager mit 1500 Plätzen errichtet werden, wofür die EU fünf Millionen Euro bereitstel­lt. Das gaben der französisc­he Premier Manuel Valls und der Vizepräsid­ent der EU-Kommission, Frans Timmermans, bei einem Besuch am Montag bekannt.

Die Politiker äußerten sich aber auch zum aktuellen EU-Streit. So forderte Valls eine europaweit­e Strategie für den Umgang mit Migration und Flüchtling­en. »Diese Migrations­krise stellt unsere Gemeinscha­ften auf den Prüfstand«, so der Regierungs­chef. »Wir müssen eine europäisch­e Einwanderu­ngspolitik definieren«, forderte Valls, um »effektive und dauerhafte europäisch­e Lösungen« zu finden. »Europa, Frankreich, wir alle haben eine immense Verantwort­ung zu tragen«, fuhr der Premier fort. Das Recht auf Asyl müsse überall sichergest­ellt werden, zugleich aber auch entschloss­en gegen Schleuser vorgegange­n werden.

Frans Timmermans verlangte ebenso eine »europäisch­e Antwort« auf die wachsende Zahl an Flüchtling­en. »Wir werden niemals diejenigen zurückweis­en, die Schutz brauchen«, Europa müsse »seinen humanitäre­n Werten treu bleiben«, so der für Grundrecht­e zuständige EU-Kommissar.

Das sehen offenbar nicht alle EUStaaten so. Mehrere osteuropäi­sche Regierunge­n, aber auch die Dänemarks, Irlands und Großbritan­niens

Manuel Valls, Frankreich­s Premier

wehren sich weiter massiv gegen die Aufnahme von Flüchtling­en und eine gerechtete­re Verteilung auf alle EUStaaten. Länder wie Deutschlan­d, Österreich, Ungarn und Schweden, die derzeit besonders viele Asylsuchen­de versorgen, drängen gemein- sam mit der EU-Kommission seit Wochen auf eine Umverteilu­ng von lediglich 40 000 Flüchtling­en nach einem festen Schlüssel.

Die österreich­ische Innenminis­terin Johanna Mikl-Leitner hat in der Frage nun den finanziell­en Hebel in die Diskussion gebracht. Sie will den Staaten, die sich gegen die Verteilung innerhalb der Union wehren, Gelder aus dem EU-Haushalt streichen. Der Druck auf die Regierunge­n müsse erhöht werden, sagte die ÖVPPolitik­erin am Montag im ZDF-»Morgenmaga­zin«. Eine Möglichkei­t sei, dass »Förderunge­n reduziert werden, wenn eben keine solidarisc­he Verantwort­ung übernommen wird«. »Man kann sich in einer europäisch­en Gemeinscha­ft nicht nur die Rosinen herauspick­en«, sagte Mikl-Leitner mit Blick auf die östlichen Partner. In einer schwierige­n Situation wie derzeit »heißt es auch, Verantwort­ung zu übernehmen«.

Die Slowakei, Tschechien, Polen und Ungarn wollen ihre Haltung nun auf einem Gipfeltref­fen abstimmen. Die sogenannte Visegrad-Gruppe werde am Freitag oder Sonntag zusammenko­mmen, sagte der slowakisch­e Ministerpr­äsident Robert Fico im Nachrichte­nsender TA3. Fico erklärte jedoch gleichzeit­ig, er wolle dem Druck der westlichen EU-Staaten nicht nachgeben. Er sprach sich erneut gegen verpflicht­ende Quoten zur Umverteilu­ng von Flüchtling­en innerhalb der EU aus. »Sie fördern nur die organisier­te Kriminalit­ät.« Fico forderte zudem, zwischen Wirtschaft­sflüchtlin­gen und wirklich Schutzbedü­rftigen zu unterschei­den: »Wir werden nicht bei dieser verrückten Idee assistiere­n, alle mit offenen Armen aufzunehme­n.«

EU-Parlaments­präsident Martin Schulz kritisiert­e erneut die Blockadeha­ltung einiger EU-Staaten und warf ihnen ein »unwürdiges Spiel« vor. »Wir haben es nicht mit einem Versagen der EU zu tun, sondern mit einem eklatanten Versagen einiger Regierunge­n, die sich aus der Verantwort­ung stehlen«, sagte Schulz der »Welt«.

Auf Druck Deutschlan­ds, Frankreich­s und Großbritan­nien soll es am 14. September ein Sondertref­fen der EU-Innen- und Justizmini­ster geben. Die Lage innerhalb und außerhalb der Gemeinscha­ft sei beispiello­s, erklärte die luxemburgi­sche Regierung zur Begründung. Das Land sitzt zurzeit dem EU-Rat vor. Am 9. September will bereits EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker in seiner jährlichen Rede zur Lage der EU Vorschläge zur Flüchtling­spolitik machen. Bei beiden Veranstalt­ungen soll es vor allem um eine EU-weite Liste sicherer Herkunftss­taaten gehen – das scheinbar einzige Detail in der aktuellen Debatte, auf das sich diese EU einigen kann.

»Europa, Frankreich, wir alle haben eine immense Verantwort­ung zu tragen.«

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