Auch Wessis sind schon mal geflohen
Bernd Zeller zieht eine äußerst ambivalente Bilanz von 25 Jahren deutsche Einheit
Unser heutiger Bericht versucht sich an einer positiven und optimistischen Rückschau auf den Einigungsprozess, dessen 25-jähriges Jubiläum wir nun feiern oder je nach Position begehen und der mit dem Beschluss der Volkskammer zum Beitritt eingeleitet und mit der Unterzeichnung des Einigungsvertrages fortgesetzt wurde.
Die Art des Feierns selbst liefert erst einmal keinen Grund zum Optimismus. Wer sich noch an die Vorbereitungen und Durchführungen zu 25 Jahre DDR erinnert, muss eingestehen, dass die 25 Jahre nicht mehr DDR äußerst bescheiden gefeiert werden, als ob man sich irgendwie genieren würde. Es kann aber auch daran liegen, dass einem die letzteren 25 Jahre viel kürzer vorkommen.
Nun sind Vergleiche kaum möglich, bei denen man das, was ist, dem gegenüberstellt, was anderenfalls jetzt sein würde, denn die Vorstellung ist immer besser als die Realität, sofern man nicht böswillig eingestellt ist. Zwei Vorteile lassen sich aber kaum bestreiten. Zu dem einen ist Gregor Gysi zu zitieren, der kurz danach sagte: »Das mit den Faxgeräten ist schon doll, das hätten wir in 50 Jahren nicht geschafft.« Der zweite Vorteil ist gerade jetzt relevant: Es kann wohl als sicher angenommen werden, dass es die DDR nicht geschafft hätte, so viele Flüchtlinge zu versorgen.
Allerdings spielte diese Tatsache beim damaligen Volkskammerbeschluss überhaupt keine Rolle, was auf eine wenig vorausschauende Kondition der Abgeordneten schließen lässt. Das wird auch den heutigen Mandatsträgern nachgesagt. Es heißt von manchen Meinungsäußerern, die Parlamentarier würden nur bis zum Ende der Legislaturperiode denken: andere unterstellen nicht einmal das. Wie es sich damit ver- hält, kann dahingestellt bleiben, weil die Abgeordneten sowieso gar nicht weiterdenken müssen, denn die Fraktionsleitung tut es für sie, und die weiß es von der Kanzlerin. In diesem Zusammenhang ist nun wieder auf eine erstaunliche Vermehrung der Möglichkeiten für alle hinzuweisen, die der Wiedervereinigung zu verdanken ist, denn weder Kanzlerin noch Bundespräsident hätten zu Zeiten der Teilung ein nennenswertes Amt im Staat bekommen können, weder in Ost noch in West. Aber im vereinigten Deutschland stehen sie an der Spitze. Davon sollten wir alle uns inspirieren lassen.
Beim Flüchtlingsproblem wird zu Recht auf die damaligen Flüchtlingsströme hingewiesen, die durch die Einheit ausgelöst wurden, denn damals strömten viele, die im Westen keine Perspektive mehr sahen und verzweifelt waren, in die neuen Bundesländer, wo man ihnen als Aufbauhelfer oder Investoren eine Existenz sicherte. Die Zulagenzahlungen waren natürlich nicht das Hauptmotiv, auch wenn sie einen Ausgleich dafür schufen, in mangelnder Willkommenskultur als Wessis stigmatisiert zu werden.
Das Wirken des als Wessis titulierten Personals kann kaum objektiv bewertet werden. Sie waren nicht, wie auch sonst kein Mensch, illegal, aber ob sie eine kulturelle Bereicherung darstellten, ist nicht gerecht entscheidbar. Die Kultur im engeren Sinne hat sich gewandelt, der sozialistische Realismus in der Malerei ist einem überbezahlten staatsakademischen Rummel gewichen, dessen Produkte mit dem Fachbegriff Mist zu beschreiben sind. Das Theater wurde vom Joch des Autors befreit und soll das Volk schockieren, damit es sich nicht mehr von Diktatoren verführen lassen kann. Während dem Schulsystem der DDR zugutezuhalten ist, dass neben Wehrerziehung und Staatsbürgerkunde auch richtiger Unterricht die Bildung befördern sollte, fürchtet man heute, Wissen könnte die Kompetenzen blockieren. Derartige pädagogische Konzepte sind schon sehr lange Zeit in der alten Bundesrepublik vertreten worden, sie kamen aber im Westfernsehen und in der Werbung nicht vor, so dass man im Osten nicht auf sie gefasst war.
Die Zukunft, an der gearbeitet wird, sieht so aus, dass die Schule schockiert und das Theater Staatsbürgerkunde vermittelt.