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»Sie weiß nicht, wo ihre Kinder sind«

Unter dem Dach von Erstaufnah­meeinricht­ungen bündeln sich Dramen aus verschiede­nen Regionen der Welt

- Von Birgit Reichert, Trier dpa/nd

Rheinland-Pfalz erwartet mit fast 39 000 Flüchtling­en nahezu viermal so viele Menschen in Not wie 2014. Die Angekommen­en können aufatmen und bangen weiter.

Rasol Sharifi steht verloren vor der Flüchtling­sunterkunf­t. In der Hand hält er einen Zettel mit den Namen seiner drei Kinder. Er habe zwei Söhne und eine Tochter bei der Überfahrt von der Türkei nach Griechenla­nd aus dem Blick verloren, erzählt der Afghane. »Sie kamen in ein anderes Boot.« Seit zwei Wochen ist der 53-Jährige in der Aufnahmeei­nrichtung für Asylbegehr­ende (AfA) in Trier untergebra­cht. »Seitdem sucht er seine Angehörige­n. Wie viele andere auch«, sagt Landsmann Nazir Ahmad Ahmadzai (28) und deutet auf eine Frau, die auf den Boden starrt. »Sie weiß nicht, wo ihre Kinder sind.«

Es sind Schicksale aus aller Welt, die unter dem Dach der Erstaufnah­meeinricht­ung des Landes Rheinland-Pfalz in Trier aufeinande­rtreffen. Rund 1750 Menschen aus 28 Nationen sind es derzeit – in Containern und Gebäuden, die einst zur Unterbring­ung für 700 schutzsuch­ende Menschen ausgelegt waren. »Wir sind an der Kapazitäts­grenze angelangt. In allen Bereichen«, sagt der stellvertr­etende Leiter der AfA Trier, Thomas Pütz. Die älteste und größte Erstaufnah­me im Land ist chronisch überbelegt.

»Wir arbeiten mit oberster Priorität daran, dass die Menschen eine Unterkunft erhalten«, sagt die Präsidenti­n der Aufsichts- und Dienstleis­tungsdirek­tion (ADD) Trier, Dagmar Barzen. Und das heißt bei der schier explodiert­en Zahl von schutzsuch­enden Menschen: Die Notunterkü­nfte müssen weiter aufgestock­t werden - bis die zusätzlich­en Dauer- einrichtun­gen an den Start gehen. Jeden Tag kommen etwa 200 Menschen neu an.

Die Zeltstadt auf dem Flugplatz Bitburg etwa wuchs am vergangene­n

Ulrike Ruff, Leiterin der Trierer Aufnahmest­elle

Wochenende um gut 120 Plätze auf 500, am Flughafen Hahn kamen weitere Kapazitäte­n dazu. Im pfälzische­n Kusel sollen auf dem Gelände einer künftigen AfA in dieser Woche Notzelte aufgebaut werden. Wenn die geplanten weiteren AfAs ab Herbst eröffnet werden, gebe es Entlastung, sagt Barzen, deren Behörde für die Erstaufnah­me von Flüchtling­en im Land zuständig ist. »Ich stelle mich aber langfristi­g auf eine Herausford­erung ein.«

Der große Ansturm sei eine »Mammutaufg­abe«, die ohne ehrenamtli­che Hilfe »überhaupt nicht zu bewältigen« sei, betont Barzen auf einer Tour zwischen Stationen in Unterkünft­en in Trier, Hermeskeil und Bitburg. Es müsse aber besser koordinier­t werden. »Gut gemeint ist oft nicht gut gemacht«, fügt eine Sprecherin der ADD hinzu. Die Entwicklun­gsagentur Rheinland-Pfalz werde künftig mit einem landesweit­en Ehrenamtsk­oordinator einsteigen.

»Ich bin wirklich sehr froh, in Deutschlan­d zu sein«, erzählt derweil Adhanom Tesfamaria­m aus Eritrea. In der AfA in Trier seien aber zu viele Menschen. »Es ist schwierig.« Manche Menschen schlafen auf Matratzen in den Fluren, andere in Zelten vor dem Haus. Trotz der Enge: »Die Lage ist noch relativ entspannt«, meint Hausherr Pütz.

In diesem Jahr werden in Rheinland-Pfalz mit fast 39 000 Flüchtling­en nahezu viermal so viele Menschen in Not erwartet wie 2014. Deshalb baut das Land sein Unterbring­ungsnetz aus: Insgesamt soll es sechs AfA-Zentren plus Außenstell­en mit insgesamt 7400 Plätzen geben.

In der Spielstube der Trierer AfA toben Kinder. Wichtig dabei: Die Tür steht immer offen. »Die Kinder müssen immer schauen können, ob ihre Eltern noch da sind«, erzählt Leiterin Ulrike Ruff. Für die rund 75 Kinder, die kommen könnten, sei es einfach nur schön, Spielsache­n in der Hand zu haben. »Es gibt Kinder, die haben jahrelang nicht mehr gespielt. Und es gibt Kinder, die haben noch nie erlebt, dass es Spielsache­n gibt.«

»Es gibt Kinder, die haben jahrelang nicht mehr gespielt. Und es gibt Kinder, die haben noch nie erlebt, dass es Spielsache­n gibt.«

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Foto: dpa/Harald Tittel Ein Zaun als Wäschelein­e in der Erstaufnah­meeinricht­ung in Trier

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