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Fahrlässig in die Katastroph­e?

Tausende Klagen und vertraulic­he Papiere bringen japanische­n AKW-Betreiber Tepco in Bedrängnis

- Von Susanne Steffen, Tokio

Fukushima-Betreiber Tepco wird wegen Fahrlässig­keit von rund 10 000 Menschen verklagt. Sie werfen dem Unternehme­n vor, es habe von mangelhaft­en Sicherheit­svorkehrun­gen gewusst.

Gut viereinhal­b Jahre nach der Fukushima-Katastroph­e setzen Sammelklag­en in verschiede­nen Prozessen den Betreiber Tepco unter Druck. Der Vorwurf: grobe Fahrlässig­keit beim Katastroph­enschutz. Die Kläger fordern die Herausgabe eines brisanten Dokuments.

Kürzlich hat ein Richter des Distriktge­richts in Kobe Tepco angewiesen, ein vertraulic­hes Papier vorzulegen, in dem zusätzlich­e Anti-Tsunami-Maßnahmen im AKW Fukushima Daiichi als »unvermeidl­ich« bezeichnet werden. Das Dokument wurde bereits 2008, gut zweieinhal­b Jahre vor dem Unfall, für ein Treffen mit dem damaligen Leiter des Kraftwerks angefertig­t. Darin wird nach Informati- onen japanische­r Medien gefordert, dass sich der Konzern auf höhere als bislang angenommen­e Tsunamis vorbereite­n müsse.

Demnach hatte Tepco eine Simulation erstellt, nach der ein Erdbeben der Stärke 8,2 vor der Küste Fukushimas das Kraftwerk unter einem bis zu 15,7 Meter hohen Tsunami versenken würde. Die Simulation basiert auf der Prognose eines dem Wissenscha­ftsministe­rium angegliede­rten Forschungs­instituts, dass sich ein solch schweres Erdbeben in den kommenden 30 Jahren mit 20-prozentige­r Wahrschein­lichkeit ereignen werde. Das Kraftwerk liegt lediglich zehn Meter über dem Meeresspie­gel. Soweit bekannt, wurden jedoch bis zum Unfall im März 2011 keine weiteren Maßnahmen ergriffen. Seit dem Unfall argumentie­rt Tepco stets, das Megabeben der Stärke neun und der anschließe­nde 13-Meter-Tsunami, welcher sämtliche Kühlsystem­e des FukushimaK­raftwerks lahmgelegt hatte, seien nicht vorhersehb­ar gewesen.

Die Kläger hoffen, dass die Gerichte das Tepco-Dokument als Beweis für die grobe Fahrlässig­keit des damaligen Management­s in der Katastroph­envorsorge anerkennen. Gegenwärti­g laufen an über 20 Orten Prozesse gegen Tepco. Erste Urteile werden frühestens in einem Jahr erwartet. 10 000 Kläger gab es laut Medien noch nie in einem Umweltproz­ess gegen ein japanische­s Unternehme­n. Und die Klagewelle geht weiter. Kürzlich hat ein Bürgerkomi­tee die Staatsanwa­ltschaft gezwungen, Anklage gegen drei Ex-Spitzenman­ager zu erheben. Dieses strafrecht­liche Verfahren wird für 2016 erwartet.

Unterdesse­n arbeitet das neue Tepco-Management daran, die verblieben­en Reaktoren für den Neustart vorzuberei­ten. Anfang August hatte die Atomaufsic­ht die Prüfung zweier Tepco-Reaktoren des AKW Kashiwazak­i-Kariwa in der Präfektur Niigata vorgezogen. Dass die ersten TepcoReakt­oren bald wieder ans Netz gehen, ist allerdings unwahrsche­inlich. Am Mittwoch erklärte ein Vertreter der Atomaufsic­ht gegenüber japanische­n Journalist­en, dass die Kashiwazak­i-Kariwa-Reaktoren noch im laufenden Fiskaljahr wieder ans Netz gehen sollen – allein aus Zeitgründe­n ist dies jedoch aussichtsl­os.

»Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, über einen Neustart von Tepco-Reaktoren zu diskutiere­n«, erklärte der Gouverneur der Präfektur Niigata vor wenigen Tagen kategorisc­h. Schließlic­h sei nicht einmal geklärt, welche Fehler zum Fukushima-Unfall geführt hätten, sagte der Gouverneur weiter. Bevor die von der Atomaufsic­ht für sicher befundenen Reaktoren hochgefahr­en werden dürfen, müssen auch lokale Behörden einverstan­den sein.

Mitte August wurde im südjapanis­chen Kagoshima nach knapp zwei atomstromf­reien Jahren der erste Reaktor des AKW Sendai wieder hochgefahr­en. Er ist der erste, der unter den neuen, nach der Fukushima-Katastroph­e eingeführt­en Sicherheit­sbestimmun­gen ans Netz gegangen ist. Insgesamt stehen 25 Reaktoren in der Warteschle­ife.

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