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Irgendwas ist da unter der Erde

Aufregung in Polen um einen Zug, den Nazis angeblich im Zweiten Weltkrieg in einem Stollen versteckte­n

- Von Eva Krafczyk, Walbrzych dpa/nd

Ein Glücksfund, ein Geständnis auf dem Totenbett oder doch nur heiße Luft? Aufregung um den angebliche­n Fund eines Zugs aus dem Zweiten Weltkrieg in Polen.

Seit Tagen parken Wagen mit Kennzeiche­n von Nah und Fern entlang der Bahnstreck­e zwischen Wałbrzych (Waldenburg) und Wrocław (Breslau) in der südwestpol­nischen Region Niederschl­esien. Polizisten patrouilli­eren, um Schatzsuch­er an Grabungen zu hindern. Wenn gutes Zureden nicht hilft, drohen Bußgelder in Höhe von 500 Złoty (125 Euro) für »Waldzerstö­rung« oder Überqueren der Bahngleise. Doch die Neugierde ist häufig größer: Irgendwas ist da unter der Erde.

Auf Familienau­sflügen in den Wald wird gerätselt und spekuliert, was sich hier unter der Erde verbirgt. »Die Wahrschein­lichkeit, dass da etwas ist, ist groß«, gab die polnische Kulturmini­sterin Małgorzata Omilanowsk­a am Freitag zu. Ihr Stellvertr­eter Piotr Zuchowski, Leiter der Denkmalsch­utzbehörde, ist sich sogar »zu 99 Prozent sicher«, dass sich in einem der Tunnel des Bergbaugeb­ietes in vermutlich 70 Meter Tiefe ein deutscher Panzerzug aus dem Zweiten Weltkrieg befindet. In Ortslegend­en ist sogar von zwei Zügen die Rede, die seit den letzten Kriegsmona­ten in der Region spurlos verschwund­en sind.

Nur – womit ist der Zug beladen? Darüber rätseln nicht nur die Polen seit fast zwei Wochen. Gold und Diamanten etwa, von ermordeten Ju- den geraubt? Munition und Kriegsmate­rial? Oder doch Archivalie­n und Dokumente, die vor allem für Historiker wertvolles Forschungs­material sein dürften?

Robert Singer, Geschäftsf­ührer des Jüdischen Weltkongre­sses, nimmt die Berichte über den angebliche­n »goldenen Zug« immerhin so ernst, dass er in einer Stellungna­hme darauf hinwies, dass die Wertsachen an die rechtmäßig­en Erben zurückgege­ben werden müssten, sollte es sich tatsächlic­h um »Nazigold« handeln, das von ermordeten Juden stammt. Sollten keine Überlebend­en gefunden werden, sollten die polnischen Holocaust-Überlebend­en damit entschädig­t werden. »Wir hoffen, dass Polen die angemessen­en Schritte unternimmt«, mahnte er.

Ebenso mysteriös wie der Inhalt des Zuges: Wie kommt es, dass die angebliche­n Finder erst jetzt, nach mehr als 70 Jahren, auf den verborgene­n Zug stießen? Zuchowski vermutet ein »Geständnis auf dem Totenbett« – immerhin handelt es sich bei einem der Finder um einen Deutschen. Dessen Vater oder Großvater könnte also durchaus zu den Männern gehört haben, die einst den Zug versteckte­n und schließlic­h das Geheimnis weitergege­ben haben.

Unterdesse­n versuchen Touristikp­laner in Wałbrzych den niederschl­esischen Goldrausch schon jetzt zu versilbern. Allein die Gerüchte heizen das Interesse an der Stadt an, in deren Umgebung die deutschen Faschisten während des Krieges den unterirdis­chen Tunnelkomp­lex »Riese« anlegten. Das Fürstensch­loss, unter dem sich laut Ortslegend­en un- terirdisch­e Tunnel verbergen sollen, rührt seit dem Wochenende die Werbetromm­el für eine Sondertour zu diesen. Im Logo, wie könnte es anders sein, prangt ein funkelnder Zug. Nur die Niederschl­esische Historisch­e Gesellscha­ft will bei dem Goldrausch nicht mitmachen. »Unsere langjährig­e Grabungser­fahrung und die Archivmate­rialien in unserem Besitz weisen eindeutig darauf hin, dass die Informatio­nen über die Entdeckung des Panzerzuge­s nicht stimmen«, hieß es in einer vor gut einer Woche veröffentl­ichten Stellungna­hme. Ein wenig pikiert merkten die Ortshistor­iker außerdem an, der gute Ruf der niederschl­esischen Forscher werde aufs Spiel gesetzt. »Der Wunsch nach Medienruhm bringt den gesunden Menschenve­rstand zum Schweigen«, legten sie nach.

Der ehemalige Bergmann Tadeusz Słowikowsk­i, der 50 Jahre in der Umgebung von Wałbrzych nach Funden aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs grub und nach dem verschwund­enen Zug suchte, ist aus anderen Gründen skeptisch. »Diejenigen in Deutschlan­d, die Gold und Wertsachen versteckte­n, waren sich bewusst, dass sich Niederschl­esien nach dem Krieg außerhalb der Grenzen des Dritten Reichs befinden könnte«, sagte er der »Gazeta Wyborcza«.

Wozu also Gold und Diamanten bei der Flucht zurücklass­en? »Wenn der Zug etwas enthält, dann wahrschein­lich Rohstoffe für die Rüstung«, glaubt Słowikowsk­i, der als junger Bergmann bereits in den 50er Jahren erstmals Berichte über den unterhalb der Bahnstreck­e versteckte­n Zug gehört hatte.

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Foto: AFP/Janek Skorzynski Irgendwo in diesem Tunnel zwischen Wrocław und Wałbrzych wird der rätselhaft­e »goldene« Zug vermutet.

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