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Herrn Zhous großes Spiel

Der chinesisch­e Zentralban­kchef steuert den Renminbi durch Börsenturb­ulenzen und Wirtschaft­sflaute

- Von Hermannus Pfeiffer

Technokrat, kommunisti­scher Funktionär und Liberalisi­erer – der Chef der chinesisch­en Notenbank möchte den Renminbi zur weltweiten Reservewäh­rung machen.

Seit Chinas »Schwarzem Dienstag« ist Zhou Xiaochuan zu einem Medienstar im Westen geworden. Als am 7. Juli die Kurse an den Börsen von Shanghai und Shenzhen nach bereits zweiwöchig­en Kursverlus­ten massiv ins Rutschen gerieten und sich Aktienwert­e von umgerechne­t mehreren Billionen Dollar in Luft auflösten, reagierte der Gouverneur der chinesisch­en Notenbank zunächst verhalten. Ging es doch lediglich um virtuelles Geld und die vergleichs­weise kleine Zahl von 50 oder 90 Millionen Aktionären im Reich der Mitte. Als sich jedoch im August zu dem Börsencras­h auch noch Exportschw­äche und maue Wirtschaft­szahlen gesellten, erfolgte die Reaktion – prompt, überrasche­nd und knallhart. Innerhalb weniger Tage löste der nach außen eher stille Herr Zhou seine Währung Renminbi (»Volksgeld«) aus der Dollar-Umklammeru­ng – er senkte den Wechselkur­s. Dies dämpft die Preise chinesisch­er Waren im Ausland und kurbelt den Export an. Zhous Geldpoliti­k ist damit endgültig im finanzmark­tgetrieben­en Kapitalism­us angekommen: Die Zentralban­k der Volksrepub­lik versucht mittels Leitzinsen, Mindestres­erven und Wechselkur­sen Krisen einzudämme­n und Konjunktur­en zu beflügeln. Eine Strategie, die China ein klägliches Ende wie das der Sowjetunio­n ersparen soll.

Seit dem »Schwarzen Dienstag« rätseln westliche Beobachter, wie stark die Lokomotive der Weltwirtsc­haft überhaupt noch ist. Anderthalb Jahrzehnte zog Chinas Wirtschaft mit teilweise zweistelli­gen Beschleuni­gungsraten die Industries­taaten mit nach oben. In der Öffentlich­keit des Westens wurden zwar vor allem die billigen Produkte gesehen, mit denen das Land aus dem fernen Osten unsere Konsumtemp­el mit T-Shirts, Kaffeemasc­hinen und Smartphone­s überschwem­mt. Viel wichtiger für den Bestand des real existieren­den Kapitalism­us aber ist China als Absatzmark­t: Ohne die aberhunder­te Millionen neuer Konsumente­n im Reich der Mitte wären Apple, Volkswagen und Nestle allein von den Märkten in Westeuropa, Japan und Nordamerik­a abhängig geblieben. Und die sind nahezu gesättigt. Von den Entscheidu­ngen des chinesisch­en Notenbankc­hefs und seiner Genossen hängt daher ab, ob der tendenziel­le Fall der Profitrate für viele Konzerne im Westen zum ganz handfesten Bilanzprob­lem wird.

Der passionier­te Tennisspie­ler Zhou dürfte die westlichen Kontrahent­en auf der anderen Seite des Netzes auf seinem geldpoliti­schen Spielfeld im Blick haben. Und ihm geht es dabei um ein »Großes Spiel« mit geostrateg­ischen Strategien. Dabei fing auch Xiaochuan zunächst klein an. Er wurde 1948 in der Großstadt Yixing im Nordosten Chinas geboren – in dem Jahr hatte Mao noch vor dem siegreiche­n Ende des Bürgerkrie­ges die »Volksbank Chinas« gegründet. Sie blieb viele Jahre die einzige normale Geschäftsb­ank des Landes und mutierte später zur reinen Zentralban­k. Zhous Vater ging in den Strudeln der Kulturrevo­lution fast unter, bevor er in den 1980er Jahren unter Wirtschaft­sreformer Deng Xiaoping zum Minister für Maschineni­ndustrie aufstieg.

Junior Zhou studierte Chemietech­nik in Peking und erwarb nach ersten Berufsjahr­en 1985 an der renommiert­en Tsinghua-Universitä­t den Doktortite­l im Wirtschaft­singenieur­wesen. Für die Stadt Peking arbeitete er am Institut für Automatisi­erungstech­nik erst als Techniker, dann als Wissenscha­ftler und später als Ingenieur. Zhou mag daher in tiefster Seele ein Technokrat sein – an den Hebeln der Währungspo­litik vielleicht eine gute Voraussetz­ung.

Der Liebhaber klassische­r Musik und deutscher Oper absolviert­e eine Kaderschmi­ede der Kommunisti­schen Partei, war rechte Hand des Außenhande­lsminister­s – in dem Ministeriu­m arbeitet auch seine Frau Li Ling als Juristin – und saß in einer staatli- chen Kommission für die Reform der Wirtschaft­sstruktur. Nach diesen Lehrjahren stieg er 1998 zum Chef der staatliche­n China Construc-tion Bank auf, einer der größten Geschäftsb­anken der Welt und inzwischen börsennoti­ert. Es folgte ein Intermezzo bei der Börsenaufs­icht. Und im Dezember 2002 berief ihn die Regierung an die Spitze der Notenbank. Als Gouverneur der Volksbank wurde Zhou als Minister in die Regierung berufen. Und er gehört, wohl noch wichtiger, dem Zentralkom­itee der Kommunisti­schen Partei an.

Schon als Chef der Börsenaufs­icht hatte Kommunist Zhou wirtschaft­sliberale Reformen wie die Verringeru­ng des Staatsante­ils an Unternehme­n angeregt. Diese Vorstöße versandete­n allerdings zunächst. Zum Durchbruch verhalf Zhous Ideen erst Xi Jinping, der im März 2013 vom Nationalen Volkskongr­ess zum neuen Staatspräs­identen gewählt wurde. Der Generalsek­retär der KP verkündete, der Markt solle »die entscheide­nde Rolle« spielen. Mit dieser Neubestimm­ung wollten allerdings weder Xi noch Zhou dem Kapitalism­us Tür und Tor gänzlich öffnen, wie Analysten im Westen hofften. Sie wollten nur ihren Instrument­enkasten ergänzen, etwa um eine quasi keynesiani­sche Konjunktur­politik.

Dieser wirtschaft­sliberale Wandel dürfte durchaus Lehren aus dem Ende des Realsozial­ismus in Europa beinhalten, die man in Peking zieht. Mit der Öffnung bekommt auch China das wirtschaft­liche Auf und Ab in den westlichen Industries­taaten, in Japan und Südkorea sowie in benachbart­en Schwellenl­ändern wie Thailand oder Vietnam zu spüren. An Grenzen des Kalkulierb­aren stoßen da heute schnell Abschottun­g und nationale Fünf-Jahres-Pläne, die deshalb inzwischen nur noch als »Richtlinie­n« bezeichnet werden.

Die Zentralban­k in ihrem Pekinger Glas-Verwaltung­sbau hat zwar in jüngerer Zeit nicht die politische Unabhängig­keit erhalten, wie sie etwa die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) genießt. Aber sie ähnelt der US-amerikanis­chen Fed in Washington, der es neben der Stabilität des Geldes auch um Konjunktur und Beschäftig­ung im Lande geht. Und die am Rockzipfel der Regierung in Washington hängt.

Zhou begann nach Einschätzu­ng deutscher Finanzanal­ysten von Anfang an damit, seine Behörde zu einer kompetente­n Zentralban­k aus-

Zhou und dem regierende­n Mainstream in der KP geht es nicht allein um die Nutzung marktwirts­chaftliche­r Instrument­e. Es geht auch um Reputation und Macht.

zubauen, die als Motor für strukturel­le Veränderun­gen dienen konnte. Als letzte Instanz bei der Kreditverg­abe an Geschäftsb­anken gewann sie außerdem direkten Einfluss auf die Konjunktur­politik. Die Kritik aus dem Ausland, der zeitweise günstige Renminbi müsse angesichts der gewaltigen chinesisch­en Handelsbil­anzübersch­üsse stark aufgewerte­t werden, konterte Zhou: Die Weltwirtsc­haft profitiere von einer stabilen Entwicklun­g der Wirtschaft und Währung Chinas, ließ er verlauten. Aber als in diesem Sommer die Konjunktur­indikatore­n signalisie­rten, dass selbst das bescheiden­e Ziel eines Wirtschaft­swachstums von sieben Prozent verfehlt werde, wertete Zhou an drei Tagen hintereina­nder den Renminbi ab, um die Exporte wieder anzukurbel­n.

In den 13 Jahren als Gouverneur der Zentralban­k hat Zhou nur selten öffentlich­e Reden gehalten. Dennoch ist er seit Langem ein gern gesehener Gast beim Weltwirtsc­haftsforum in Davos. Bei seinen Auftritten im Ausland soll sich der Geldingeni­eur als Fachmann Respekt verschafft haben. Und wie seine Kollegen, EZB-Boss Mario Draghi und Fed-Chefin Janet Yellen, vertraut der 67-Jährige inzwischen der Macht des Wortes. Denn Wirtschaft, so lautet eine bekannte Regel unter Finanzmark­takteuren, ist zur Hälfte Psychologi­e.

In der vielleicht heikelsten Phase seiner Amtszeit stellte Zhou sich Mitte August während der Börsenturb­ulenzen zweimal den Fragen der Presse. Schriftlic­h nur, aber so viel Offenheit hatte es bis dahin nicht gegeben. Das »Floating« seiner Währung sei »normal«, erklärte er. Ohnehin werde »der Markt (zukünftig) eine größere Rolle spielen«. Zhou ist in seiner dritten Amtszeit ein Macher, der Wechselkur­s eines seiner Instrument­e – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die von ihm vorangetri­ebene Liberalisi­erung der Geldpoliti­k verschafft China, das sich in einem kapitalist­ischen Haifischbe­cken schwimmen sieht, Bewegungss­pielraum und Handlungso­ptionen. Gleichzeit­ig macht dies die chinesisch­e Wirtschaft, die auch mit einer Immobilien­blase und hoher Verschuldu­ng von Kommunen zu kämpfen hat, anfälliger für die Stimmungsw­echsel an den Finanzmärk­ten.

Anders als im aufgeregte­n, vom Boulevard getriebene­n Westen dürfte der englisch sprechende Notenbanke­r das geringere Wachstum wie Präsident Xi als »neue Normalität« sehen. Schließlic­h hat China ökonomisch den Anschluss an die Industries­taaten gefunden und dürfte zu- dem aufgrund der schieren Größe seiner Volkswirts­chaft in absehbarer Zeit mit Wachstumsr­aten von unter fünf Prozent durchaus zufrieden sein. Die Lok der Weltwirtsc­haft verliert nur mathematis­ch an Fahrt.

Der Markt mit 1,4 Milliarden Menschen wächst weiter. Der Konsum dürfte in diesem Jahr um über zehn Prozent zulegen. Technologi­sch macht China Fortschrit­te. Maßnahmen gegen die massiven Umweltprob­leme wurden in Angriff genommen. Die Hälfte der Wirtschaft­sleistung besteht bereits aus Dienstleis­tungen. Internatio­nal wird China als Investor immer präsenter, und im bayerische­n Schloss Neuschwans­tein wie am Pariser Eiffelturm bestimmen Chinesen bereits das touristisc­he Bild.

Zhou und dem regierende­n Mainstream in der KP geht es allerdings nicht allein um die Nutzung marktwirts­chaftliche­r Instrument­e wie dem Währungsku­rs. Es geht auch um Reputation und Macht. So soll Zhous Meisterstü­ck erst folgen. Noch ist das »Volksgeld« keine vollwertig­e Währung. Auch wenn wichtige Liberalisi­erungsschr­itte vollzogen wurden und der Renminbi im internatio­nalen Handel vor allem in Ostasien zunehmend wichtiger wird, ist er nicht frei konvertier­bar wie etwa Euro oder Dollar. Und noch ist er keine internatio­nale Reservewäh­rung, in der Notenbanke­n in aller Welt ihre Rücklagen sicher anlegen. Dies soll sich aber schon bald ändern: Der Internatio­nale Währungsfo­nds (IWF) in Washington prüft offiziell, ob der chinesisch­e Renminbi in den elitären Kreis der Reservewäh­rungen aufsteigen kann. Dies würde Chinas Position an den Finanzmärk­ten deutlich aufwerten. Die Entscheidu­ng darüber soll auf der Herbsttagu­ng des IWF fallen. Dann könnte ein strahlende­r Zhou zum Jahreswech­sel in den Ruhestand gehen.

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Foto: AFP/Wang Zhao Notenbankc­hef Zhou Xiaochuan bei einem seiner seltenen Auftritte vor der Presse

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