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Fallpausch­alen in der Psychiatri­e

Bündnis befürchtet weiteren Personalab­bau

- Von Ulrike Henning

Ein Zusammensc­hluss aus Nichtregie­rungsorgan­isationen setzt sich für menschenwü­rdige Behandlung und ein besseres Entgeltsys­tem in der Psychiatri­e ein.

Hinter der Abkürzung PEPP verbirgt sich der Begriff »Pauschalie­rendes Entgeltsys­tem Psychiatri­e und Psychosoma­tik«. Das Bewertungs- und Abrechnung­sverfahren hat seit Beginn seiner schrittwei­sen Einführung 2013 mehr Gegner als Befürworte­r gefunden. Ein Bündnis von Attac, gemeindeps­ychiatrisc­hen Verbänden bis hin zu ver.di und dem Paritätisc­hen Gesamtverb­and mahnt jetzt erneut Politik wie Akteure im Gesundheit­swesen, die Zeit bis zur endgültige­n Einführung nicht ungenutzt zu lassen. Ihre Position stellten die Beteiligte­n gestern in Berlin vor.

Nach aktuellem Stand soll PEPP bis Ende 2016 endgültig verbindlic­h sein. Besonders daran interessie­rt sind die Krankenkas­sen, die damit Transparen­z über die Kosten in den psychiatri­schen Abteilunge­n der Krankenhäu­ser erreichen wollen – und, so fürchten viele Skeptiker, die Ausgaben dann senken wollen.

Mit PEPP erreichen die Fallpausch­alen aus der somatische­n Medizin nun die Psychiatri­e. Brigitte Richter von der Selbsthilf­eorganisat­ion Pandora aus Nürnberg schildert das Vorgehen in den sogenannte­n Optionskra­nkenhäuser­n, die das Verfahren bereits seit 2013 nutzen – auch, weil sie dafür finanziell belohnt werden. Diese Vergütung ist offenbar so verlockend, dass insbesonde­re ökonomisch schwache Kliniken sich entgegen fachlicher Argumente für das aufwendige System entschiede­n. Brigitte Richter beobachtet, dass entspreche­nd der Diagnosen insbeson- dere gut abrechenba­re Therapien zu einem Paket geschnürt werden, die der Patient dann quasi abarbeiten müsse. »Elemente wie Zeit, Wertschätz­ung oder Geduld sind dort nicht abgebildet und somit auch nicht abrechenba­r. Der Wust notwendige­r Dokumentat­ion verhindert ein heilsames Therapiekl­ima«, so ihr Fazit.

Eine menschenwü­rdige Behandlung kann mit diesem Entgeltsys­tem auch deshalb nicht gesichert werden, weil in der Psychiatri­e mit der Diagnose nur 20 Prozent des erforderli­chen Behandlung­saufwandes zusammenhä­ngen. Das sagen zumindest empirisch gesicherte Erfahrunge­n, auf die sich das Bündnis beruft. Besser wäre eine Einschätzu­ng nach der Schwere des Leidens. Besonders Schwerkran­ke hätten das Nachsehen, so werde eine manchmal nötige 24-stündige pflegerisc­he Begleitung mit PEPP nicht gemessen und folglich nicht abgerechne­t.

Hier deutet sich eine weitere Parallele zu den Fallpausch­alen an: Der Schwerpunk­t verlagert sich auf die ärztliche Versorgung, in der Pflege dagegen wird gespart. Durch ökonomisch­e Anreize werden leichtere Fälle eher stationär aufgenomme­n. Mit der Abschaffun­g der noch bis Ende 2019 gültigen Psychiatri­e-Personalve­rordnung – die schon heute häufig unterlaufe­n wird – ist mit PEPP weiterer Personalab­bau zu erwarten. Bereits jetzt fehlen in der Branche laut einer neuen Studie bundesweit 100 000 Arbeitskrä­fte.

Ein weiterer Kritikpunk­t gilt der fehlenden Einbeziehu­ng ambulanter Versorgung. Insbesonde­re die Institutsa­mbulanzen der Krankenhäu­ser seien so in ihrer Existenz gefährdet. Zwar gibt es seit Mai dieses Jahres einen »strukturie­rten Dialog« des Bundesgesu­ndheitsmin­isters mit den Fach- und Wohlfahrts­verbänden, der sei aber, so Rolf Rosenbrock vom Paritätisc­hen Gesamtverb­and, zu sehr auf den stationäre­n Sektor bezogen. Er hofft jedoch, ebenso wie weitere Vertreter des Berliner Bündnisses, dass sie demnächst auch an den Gesprächen beteiligt werden.

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Foto: imago/Reinhard Kurzendörf­er Heilsames Therapiekl­ima ist schwer abzurechne­n.

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