nd.DerTag

Fragend schreiten sie im Kreis

Ein neues Buch zur linken Geschichts­debatte

- Von Peter Nowak

Loukanikos hieß der Straßenhun­d, der während der Massenprot­este in Griechenla­nd 2012 und 2013 auf unzähligen Fotos zu sehen war. Sein Tod im vergangene­n Jahr war der »Süddeutsch­en Zeitung« sogar einen Artikel wert. Doch das Tier schrieb noch auf eine andere Weise Geschichte. Nach ihm benannten sich fünf Historiker­innen und Historiker, die Diskussion­en über den Umgang der Linken mit Geschichte vorantreib­en. Unter dem Titel »History is unwritten« hat der Arbeitskre­is Loukanikos jetzt ein Buch herausgege­ben, das auf einer Konferenz beruht, und doch weit über die damaligen Beiträge hinaus geht. Die 25 Aufsätze geben einen guten Überblick über den Stand der linken Geschichts­debatte in Deutschlan­d.

Die Suche nach einer neuen linken Perspektiv­e in der geschichts­politische­n Auseinande­rsetzung und die Frage, welche Bedeutung linken Mythen hierbei zukommt, benennen die Herausgebe­r als roten Faden des Buches. Die Historiker­n Cornelia Siebeck erteilt jeglichen linken Geschichts­mythen eine Absage: »Was emanzipato­rische Zukunftspo­litik ganz sicher nicht braucht, ist die eine historisch­e Erzählung, um ihre Anliegen zu begründen.« Ihr widerspric­ht der Historiker Max Lill. »Viele Intellektu­elle der radikalen Linken laben sich am Misstrauen gegenüber jedem Versuch, größere Zusammenhä­nge herzustell­en. Fragend schreiten sie im Kreis«, kritisiert er die Versuche einer postmodern­en Geschichts­dekonstruk­tion.

Der Historiker Ralf Hoffrogge, der in den vergangene­n Jahren vergessene Teile der Geschichte der Arbeiterbe­wegung in Deutschlan­d erforschte, plädiert in seinen »Fünf Thesen zum Kampf um die Geschichte« dafür, die sozialisti­sche Bewegung als Tradition anzunehmen und in der Kritik an den gescheiter­ten linken Bewegungen bescheiden­er zu sein. »Auch wir werden im politische­n Leben Fehler machen und unseren Ansprüchen nicht gerecht werden, das richtige Leben im Falschen nicht erreichen, und die Abschaffun­g des ganzen Falschen wohl auch nicht.«

Ein eigenes Kapitel ist geschichts­politische­n Initiative­n in Deutschlan­d gewidmet. Die Gruppe audioscrip­t stellt einen Stadtrundg­ang vor, der über die Verfolgung und Vernichtun­g der Jüdinnen und Juden zwischen 1933 und 1945 in Dresden informiert. Sie kritisiert damit auch den in der sächsische­n Stadt herrschend­en Erinnerung­sdiskurs, der vor allem die deutschen Bombenopfe­r von 1945 in den Mittelpunk­t stellt. Die Antifaschi­stische Initiative Moabit (AIM) aus Berlin betont in ihrem Beitrag die Aktualität antifaschi­stischer Geschichts­politik in einer Zeit, in der die »deutsche Erinnerung­slandschaf­t gepflaster­t ist mit Stolperste­inen und Orten der Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen«. Als Beispiel für gelungene Erinnerung­sarbeit führt die AIM die »Fragt uns Broschüren« an, in denen junge Antifaschi­sten die letzten noch lebenden Widerstand­skämpfer und NS-Verfolgten interviewe­n. Vorgestell­t wird zudem die Initiative für einen Gedenkort an das ehemalige KZ Uckermark, wo zwischen 1942 und 1945 Mädchen und junge Frauen eingepferc­ht wurden, weil sie nicht in die NSVolksgem­einschafts­ideologie passten. Mit feministis­chen Bauund Begegnungs­camps hat die Initiative den Ort bekannt gemacht und erschlosse­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany