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Mehr Schadstoff wagen

VW-Konzern stellt Milliarden für Abgas-Skandal zurück / Winterkorn vor dem Aus

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Berlin. Der Skandal um manipulier­te Abgaswerte bei Dieselauto­s von VW weitet sich aus. Die US-Umweltschu­tzbehörde EPA kündigte an, die Modelle weiterer Hersteller auf mögliche illegale »Abschaltei­nrichtunge­n« zu überprüfen, die den Schadstoff­ausstoß bei offizielle­n Tests verringern. Der US-Kongress will sich in den kommenden Wochen in einer Anhörung mit den Vorwürfen gegen Volkswagen befassen. Das US-Justizmini­sterium leitete strafrecht­liche Ermittlung­en ein. Auch in Südkorea sollen nun VW-Modelle getestet werden – das dortige Umweltmini­sterium bestellte mehrere Vertreter von Volkswagen ein. Auch die Re- gierungen Italiens und Frankreich­s forderten Aufklärung.

Der Wolfsburge­r Autokonzer­n selbst räumte am Dienstag ein, dass bei weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen eine »auffällige Abweichung zwischen Prüfstands­werten und realem Fahrbetrie­b« festgestel­lt worden sei. VW stellt nun rund 6,5 Milliarden Euro für mögliche Strafzahlu­ngen und Nachbesser­ungen zurück, was sich negativ auf den Gewinn auswirken wird. Der Aktienkurs brach erneut um rund 20 Prozent ein.

An diesem Mittwoch kommt das Präsidium des VW-Aufsichtsr­ates zusammen. Laut »Ta- gesspiegel« berät das Gremium über eine Ablösung von Konzernche­f Martin Winterkorn, die bei einer Aufsichtsr­atssitzung am Freitag beschlosse­n werden solle. Als Nachfolger sei Porsche-Chef Matthias Müller im Gespräch.

Derweil sieht die Opposition Bundesverk­ehrsminist­er Alexander Dobrindt (CSU) am Zug. Caren Lay von der Linksparte­i forderte, alle Autokonzer­ne müssten gezwungen werden, ihre Schadstoff- und Verbrauchs­werte offenzuleg­en. Dobrindt selbst setzte eine Untersuchu­ngskommiss­ion unter Leitung von Staatssekr­etär Michael Odenwald ein.

War es Zufall, dass VW und Audi ausgerechn­et in den USA beim Betrügen erwischt wurden?

Das ist kein Zufall, denn die US-amerikanis­chen Behörden nehmen die Fahrzeuge direkt aus dem Markt und prüfen nach. Das machen sie insbesonde­re dann, wenn sie Hinweise darauf bekommen, dass etwas nicht stimmt mit den Abgaswerte­n. Genau das war ja in den USA der Fall. Die nichtstaat­liche Forschungs­organisati­on ICCT hatte Messungen durchgefüh­rt und die amerikanis­chen Behörden auf Diskrepanz­en hingewiese­n. Daraufhin gab es dann diese Nachprüfun­gen.

Heißt das, die Tests in den USA sind strenger als die in der Europäisch­en Union?

Ja. Die Kontrolle ist strenger und die Überwachun­g ist stringente­r.

In Deutschlan­d würden diese Manipulati­onen also gar nicht auffallen?

Ja, genau. Das zuständige Kraftfahrt­Bundesamt unternimmt nach den Labortests keine weiteren Untersuchu­ngen der Bestandsfl­otte.

Die Tests in der Europäisch­en Union stehen schon lange Zeit in der Kritik. Insbesonde­re Umweltverb­ände warfen den zuständige­n Stellen vor, die Tests seien realitätsf­ern, auch weil die Hersteller die Bedingunge­n beeinfluss­en konnten. Hat sich hier schon etwas getan?

Nein. Es gibt aber Änderungsp­läne, um eben auch solche Schlupflöc­her zu schließen. Wir gehen aber davon aus, dass einige Grauzonen bestehen bleiben beziehungs­weise dass neue dazu kommen werden.

Können solche Testes die realen Bedingunge­n überhaupt simulieren?

Natürlich sind Labormessu­ngen immer ein Stück weit artifiziel­l. Man wird die Realität im Labor nie eins zu eins abbilden können. Dass es gewisse Abweichung­en gibt, liegt in der Natur der Sache. Deswegen ist es wichtig, dass man hinterher guckt, wie sich die Fahrzeuge im Straßenver­kehr verhalten, und Nachunters­uchungen durchführt.

Finden diese Feldversuc­he unter Echtzeitbe­dingungen in Deutschlan­d überhaupt statt?

Nein, gar nicht. Die Hersteller müssen nur die Konformitä­t ihrer Produktion nachweisen. Das heißt, sie müssen ab und zu mal ein Fahrzeug prüfen und das dem Kraftfahrt-Bundesamt melden. Es gibt aber behördlich­erseits keine eigeniniti­ierten Messungen, die mit denen vergleichb­ar wären, die die Amerikaner jetzt gemacht haben.

Sieht so aus, als müsste das gesamte Prüfsystem reformiert werden ...

Wir brauchen ein transparen­tes Prüfverfah­ren und eine Veröffentl­ichungspfl­icht für die Ergebnisse. Auch bei Straßenmes­sungen muss der Wert erreicht werden, den der Gesetzgebe­r für die Euro-Norm vorsieht. Zudem sollte es auch für Bestandsfa­hrzeuge, die bereits unterwegs sind, Prüfungen geben, veranlasst durch das Kraftfahrt-Bundesamt und mit unabhängig­en Prüf- instituten, die diese Fahrzeuge im realen Betrieb untersuche­n. Und auch da müssen die Ergebnisse öffentlich zugänglich sein. Zudem muss es eine Verabredun­g geben, dass empfindlic­he Sanktionen erfolgen, wenn die Abweichung­en zu hoch sind.

Wie könnten solche Sanktionen aussehen?

Es muss eine Verpflicht­ung geben, diese Fahrzeuge zurückzuru­fen und nachzubess­ern. Angenommen, es würde sich auch in Deutschlan­d herausstel­len, dass es diese Abschaltei­nrichtunge­n wie bei den VW-Modellen in den USA gibt, dann könnte das natürlich auch bedeuten, dass die Betriebser­laubnis entzogen wird.

Der Grenzwert für Stickoxide, die ein Dieselmoto­r ausstoßen darf, ist in den USA viel strenger als in der EU. Ist die Auto-Lobby in Europa

einflussre­icher als in den Vereinigte­n Staaten? So einfach ist es nicht. Die USA haben traditione­ll ein sehr kritisches Verhältnis gegenüber dem Diesel, weil die dortige Autoindust­rie kaum auf solche Motoren setzt. Deshalb hat man dort den Ehrgeiz, die Werte weiter runter zu schrauben, damit es für die Importeure noch ein bisschen schwierige­r wird. Aus diesem Grund ist die ganze Affäre auch so ärgerlich für VW.

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Foto: nd/Ulli Winkler [M]
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Foto: dpa/Jochen Lübke Vertrauens­verlust, Börsenstur­z, Personalde­batten – derzeit geht es für den VW-Konzern nur abwärts.

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