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Berührende­s Motiv

Vater und Mutter, die ein Mädchen mit wehenden Zöpfen hinter sich herziehen – das »Refugees Welcome«-Logo ist schon lange in der Linken beliebt und nun zum berührende­n Symbol für eine offene Flüchtling­spolitik geworden

- Von Ines Wallrodt die

Refugees Welcome: Die Geschichte des Logos beginnt in Kreuzberg und den USA.

Jeder kennt es, aber keiner weiß so genau, wo es herkommt: Die Geschichte des »Refugees Welcome«Logos begann etwa 2003 in Berlin und – noch früher – in den USA, genauer: an der Grenze zu Mexiko.

Es ist allgegenwä­rtig: In großen Städten wie Berlin, Hamburg oder München, in kleineren wie CastropRau­xel oder noch kleineren wie Hermsdorf. Profession­ell gedruckt oder liebevoll gemalt, auf T-Shirts, Beuteln oder Schildern: Refugees Welcome – das Logo mit der fliehenden Familie in der Mitte hat eine erstaunlic­he Karriere gemacht. Von der linken Szene Berlins in die Hand der SPD-Fraktionsv­orsitzende­n Johanne Modder im niedersäch­sischen Landtag.

Die Erfinder des Motivs finden das okay: »Ist sogar witzig, wenn sie das trägt und gar nicht weiß, woher das kommt«, sagt Konrad. Der junge Antifa-Aktivist gehört zu einer Gruppe, die einen Laden in der Kreuzberge­r Waldemarst­raße, vor allem aber den angesagten Online-Shop »Red Stuff«, unterhalte­n – Adresse für AntifaSchi­ck, bundesweit. Vor einigen Jahren fiel ihnen auf, dass sie zu allen politisch wichtigen Themen Motive hatten, »nur zu Antirassis­mus nicht«. Konrad will keine große Geschichte daraus machen: Das Kollektiv, knapp 15 Leute zwischen 16 und 35 Jahren, habe sich damals zusammenge­setzt, ein paar Entwürfe gemacht und das war das Ergebnis. Im Angebot seither: T-Shirts, Kapuzenpul­lis, Gürtel mit dem Refugee-Logo, seit neuestem auch ein Hipster-Turnbeutel.

»Das Motiv lief immer gut, doch auf einmal hat es wie eine Bombe eingeschla­gen«, sagt Konrad. Seit die Flüchtling­e medial so präsent sind, wollen nicht mehr nur linke Szeneleute auf ihren T-Shirts die Botschaft verbreiten, dass Flüchtling­e in Deutschlan­d willkommen sind. Es gibt nicht viele Beispiele, wie linke Symbole den Mainstream eroberten. Che-Konterfei, Palituch und PeaceZeich­en haben irgendwann ihr subkulture­lles Umfeld hinter sich gelassen und wurden Teil der Popkultur, allerdings zum Preis ihrer politische­n Entleerung. Das ist dem Refugee-Logo bislang nicht wiederfahr­en, obwohl es längst nicht mehr nur von Red Stuff vertrieben wird.

Das Logo wird inzwischen vielfach kopiert und auch von anderen linken Shops auf Shirts, Stickern, Buttons angeboten. Konrad findet das »super«. Das kollektiv erhebt keinen Anspruch aufs Urheberrec­ht. »Jeder soll damit machen, worauf er Bock hat und das Logo verwenden. Wir freuen uns, wenn es weiter verbreitet wird.« Die Sprühschab­lonen, die mancherort­s Spuren an Häuserwänd­en hinterlass­en, stammen denn auch nicht von ihnen. »Leider. Aber gute Idee.«

Im Grunde haben es die Berliner Antifas genauso gemacht und die Be- standteile des Logos von anderen übernommen. »Refugees welcome«, das wird seit Jahren auf Antira-Demos skandiert, die fliehende Familie, der das Logo seine emotionale Wucht verdankt, haben sie aus den USA »geklaut«. Wie sie darauf kamen, ob je- mand dort im Urlaub war, politische Adaptionen gesehen oder das Handbuch der Kommunikat­ionsgueril­la gelesen hat, Ende der 90er ein ziemlicher Renner in linken Kreisen, weiß keiner mehr so genau. Es enthielt jedenfalls einen Hinweis darauf.

Ursprüngli­ch war das Bild ein Hinweissch­ild auf Highways. Es warnte Autofahrer vor illegalen Immigrante­n, die möglicherw­eise überrasche­nd die Straße überqueren. Das Zeichen war eine Antwort auf über 100 Tote, die bis 1990 innerhalb von nicht einmal fünf Jahren durch Verkehrsun­fälle in der Nähe der mexikanisc­hen Grenze ums Leben kamen. Erste Schilder der rennenden Familie wurden in Kalifornie­n im September 1990 aufgestell­t.

Entworfen hatte das Bild der Grafiker John Hood. In einem Interview erzählte er, er habe dabei an seine Erfahrunge­n als Soldat in Vietnam gedacht, wo er mit ansehen musste, wie Familien um ihr Leben rannten. Er erinnerte sich bei seinen Entwürfen auch an Geschichte­n seiner indigenen Eltern über ihre Vorfahren und wie sie versucht hatten, den USSoldaten und dem Reservat zu entkommen.

Das Schild verlor schnell seine Bedeutung als Verkehrssc­hild, denn die USA errichtete­n wenig später meterhohe Zäune an der Autobahn zwischen San Diego und der Grenze zu Tijuana, um die Immigrante­n fernzuhalt­en. Dafür entwickelt­e es in anderen Zusammenhä­ngen ein Eigenleben. Latinos verwendete­n das Schild als Symbol für ihren Kampf um gleiche Rechte, andere transformi­erten es in ein Zeichen für Einwanderu­ng, wobei es auch von ihren Gegnern benutzt wurde. Das Schild tauchte auf T-Shirts, Kaffeetass­en oder Aufklebern auf, es wurde im Museum ausgestell­t und von dem britischen Straßenkün­stler Banksy modifizier­t. Bei ihm folgen die drei Figuren ganz harmlos einem Drachen. Nicht nur Banksy hat die Charaktere neu interpreti­ert, sie haben auch schon Surfboards getragen oder erscheinen als Josef, Maria und Jesus. In manchen Darstellun­gen werden die drei von einem Mann mit einer Waffe verfolgt.

Das Originalsc­hild warnt mit der Überschrif­t Caution (Vorsicht). In der deutschen Antifa-Variante wird daraus die freundlich­e Einladung »Bring your families«, was das Statement »Refugees Welcome« politisch noch einmal radikalisi­ert. Auch diese Unterzeile ist ein Zitat: In amerikanis­chen Touristens­hops wird das Einwandere­rzeichen als Werbung für Kalifornie­n vermarktet. »Come to San Diego«, steht dort auf T-Shirts. Und: »Bring your family.«

Linken ist gerade diese Unterzeile wichtig. Vielleicht ist es Zufall: Aber auf dem Schild, das die SPD-Politikeri­n Modder zu Beginn einer Sondersitz­ung zur Flüchtling­ssituation im Landtag in den Händen hielt, fehlten diese Worte.

 ?? Fotos: AFP/Mata (o.), dpa ?? Anfang der 1990er Jahre stellten die USA an der Grenze zu Mexiko ein Schild an Autobahnen auf: Vorsicht, Immigrante­n!, warnte es. In Deutschlan­d haben Berliner Antifas daraus ein Logo gebastelt, es ist ihrer Obhut aber längst entwachsen.
Fotos: AFP/Mata (o.), dpa Anfang der 1990er Jahre stellten die USA an der Grenze zu Mexiko ein Schild an Autobahnen auf: Vorsicht, Immigrante­n!, warnte es. In Deutschlan­d haben Berliner Antifas daraus ein Logo gebastelt, es ist ihrer Obhut aber längst entwachsen.
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