Militärisch allmächtig
Wie eine »marode« Bundeswehr auflebt
Unkontrolliert in Uniform – die Bundeswehr-Spione.
Vom 28. September bis zum 6. November findet die größte NATOÜbung seit Jahrzehnten statt. 36 000 Soldaten zeigen bei »Trident Juncture 2015«, was die schnelle Eingreiftruppe so drauf hat.
Rund 3000 Bundeswehrsoldaten – Jäger, Pioniere, Versorger, Aufklärer und Sanitäter – werden an der NATOGroßübung, die demnächst in Italien, Portugal und Spanien stattfindet, teilnehmen. Auch im hessischen Frankenberg wird gepackt. Beim schnellen Blick unterscheidet sich die Technik der dortigen Einheit nicht von der anderer Bundeswehrtruppen – wären da nicht auf den Fuchs-Panzern und den Wolf-Jeeps diese ungewöhnlichen Antennenaufbauten. Die Frankenberger gehören zum EloKA-Bataillon 932. Sie haben den Auftrag, die Kameraden bei der »Beurteilung der Feindlage« zu unterstützen. Sie sollen unter anderem durch Abhören gegnerischer Funkverkehre Überlegenheit schaffen, denn: Scientia potentia est – Wissen ist Macht.
EloKa ist die Abkürzung für Elektronische Kampfführung, das Bataillon in Frankenberg ist eines von vier deutschen Einheiten dieser Art – und ein Grundstock dessen, was Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) in der vergangenen Woche angedeutet hat: Die Bundeswehr rüstet sich hoch zur Cyberkriegsfähigkeit. Diese soll für die Streitkräfte schon bald so wichtig sein wie der Einsatz von Heer, Luftwaffe, Marine und Weltraumtruppen.
Ginge es nur um die Abwehr zunehmender Angriffe im Cyberraum, dann brauchte man gewiss nicht eine Streitmacht von 15 000 militärischen und zivilen Experten. So viele sind in den ehrgeizigen Plänen des Verteidigungsministeriums vorgesehen. Man will ein Kommando namens Cyberund Informationsraumkommando, kurz CIRK, schaffen. Bis zum Frühjahr 2016 soll ein Aufbaustab Pläne erarbeiten. Man orientiert sich dabei an ähnlichen Einheiten der Verbündeten, schaut interessiert in die USA und nach Israel.
Wie wichtig der Ausbau bisheriger Fähigkeiten ist, zeigt die Tatsache, dass von der Leyen ihre Allzweckwaffe, den stellvertretenden Gene- ralinspekteur Generalleutnant Markus Kneip, an die Spitze des Aufbaustabes befohlen hat. Ihm zur Seite steht der Beauftragte für Strategische Steuerung Rüstung, Gundbert Scherf. Er kommt – wie die zuständige Staatssekretärin im Ministerium, Katrin Suder – von der Unternehmensberatung McKinsey & Company und soll eine enge Verbindung zu zivilen Partnern insbesondere in der Wirtschaft sichern.
Das strategische Vorhaben geht weit über das hinaus, was bislang in der Bundeswehr als Cyberarbeit betrieben wird. Zu dem neuen Kommando werden nicht nur IT-Spezialisten gehören, die bereits jetzt über die Integrität der eigenen militärischen Netze wachen oder die Cyberkrieger der Computer Network Operations, die – bislang noch im Übungsbetrieb – in gegnerische Netze eindringen. Dazu werden die Spezialisten im Zentrum Operative Kommunikation gehören, ebenso Kryptoleute und Kosmosexperten, die jetzt die Erträge der bundeswehreigenen Satellitensysteme auswerten. Hinter der Betonung der notwendigen Cyberverteidigung steht die Fähigkeit, selbst offensiv zu werden, denn: Angriff ist die beste Verteidigung.
Die Frankenberger Einheit, die dem Kommando Strategische Aufklärung untersteht, setzt sich schon jetzt aus Soldaten von Heer, Luftwaffe und Marine zusammen. Sie agieren gemeinsam mit NATO-Bündnispartnern, so wie es schon in Bosnien, Kosovo und Afghanistan geschah. Doch das und auch die Übung »Trident Juncture« ist Kinderkram im Vergleich zu dem, was man nun vor hat. Und schuld ist wieder »der Russe«.
Putins Strategen, so wird suggeriert, haben die hybride Kriegsführung in die Welt gebracht. Was das ist, wagt keiner so genau zu beschreiben, denn dann würde die aktuelle Bedrohung ihren »Zauber« verlieren. Es handelt sich schlichtweg um den offenen wie verdeckten Einsatz aller militärischen und nichtmilitärischen Mittel – wie es in jedem Krieg bislang geschah. Doch, so analysierte die NATO auf ihrer letzten Ratstagung vor einem Jahr in Wales, habe das Vorgehen mit Moskaus Agieren in und um die Ukraine jetzt eine solche Qualität erreicht, dass man sich wappnen müsse. Ein neues Wettrüsten ist eingeläutet. Neben der bereits bestehenden Einsatz- und Kampffähigkeit auf dem Lande, im Wasser, in der Luft und im Weltraum kommt nun eine fünfte Dimension hinzu: Der Cyberraum ist als neues Schlachtfeld ausgemacht.
Die inzwischen allgegenwärtigen Hackerangriffe zur Ausspähung fremder Netze sind nur der Beginn eines möglichen unsichtbaren Gemetzels. Laut Angaben des Verteidigungsministeriums gibt es bereits jetzt täglich 2500 bis 6500 Angriffe auf Netze des Bundes. Allein im ersten Halbjahr 2015 registrierte man 4353 Infektionen mit Schadsoftware.
Ähnliche Statistiken führt man auch auf der anderen Seite der Front und ahnt gleichfalls genau, was geschehen könnte, wenn jemand in der fünf- ten Dimension staatliche Kommunikationsnetze, militärische Systeme, die von Medien, Atomkraftwerken, Chemiebetrieben und Krankenhäusern attackiert. Die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, ist gering. Überfallene, die eine Schadsoftware entdecken, die beispielsweise von einem Server in Brasilien geschickt wurde, wissen noch lange nichts über die Quelle.
Eine Parallele drängt sich auf. Nach den verheerenden Erfahrungen auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges wurden im Zweiten keine Chemiewaffen eingesetzt. Jede Seite hatte Angst vor einem massiven Gegenschlag. In folgenden sogenannten asymmetrischen Kriegen überwand man bisweilen die Hemmungen. Wie viele Skrupel haben wohl Befehlshaber des nichtstaatlich organisierten Islamischen Staates, Waffen des Cyberkrieges einzusetzen? Sie könnten sich auch mangels eigener Verwundbarkeit Vorteile gegenüber dem höchst verwundbaren Westen versprechen.