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Keine Pause für Premier Tsipras

SYRIZA-Chef stellt 48 Stunden nach der Wahl sein Kabinett vor und reist sofort nach Brüssel

- Von Vincent Körner

Wahlsieg, Koalitions­bildung, neues Kabinett – und dann gleich los zum EU-Sondergipf­el über die Flüchtling­spolitik. Griechenla­nds Premier Alexis Tsipras macht Tempo.

Woher die konservati­ve Budapester »Magyar Nemzet« ihre Informatio­nen über Griechenla­nd bezieht, ist nicht bekannt. Die Behauptung über den wiedergewä­hlten Premier Alexis Tsipras, er interessie­re sich nicht für »die Migrations­problemati­k«, steht jedenfalls auf wackeligen Beinen.

Nicht nur hat der SYRIZA-Chef in der ersten Amtsperiod­e das Schicksal von Flüchtling­en und etwa die Frage der Staatsbürg­erschaft für Asylkinder ziemlich prominent abgehandel­t. Auch nach seinem Rücktritt forderte er unter anderem, das von der EU verschärft­e militärisc­he Vorgehen gegen Schleuser zu beenden, weil so vor allem Flüchtling­e gefährdet würden.

Nun, kaum 24 Stunden nach seiner erneuten Vereidigun­g, ist Tsipras schon wieder mit dem Thema befasst: Er wird am Mittwoch zum EUSondergi­pfel reisen, der sich mit der Flüchtling­spolitik der EU befassen soll – und eine Einigung im beschämend­en Streit über die Verteilung von 120 000 Schutzsuch­enden. Tsipras hat am Dienstag, noch vor der Präsentati­on seines neuen Kabinetts am späten Abend, konkrete Vorstellun­gen präsentier­t: Er will die Flüchtende­n nach Bevölkerun­gszahl und Wirtschaft­skraft auf alle EU-Staaten zu verteilen.

Bevor Tsipras nach Brüssel reist, wollte er am Dienstagab­end (nach Redaktions­schluss) noch seine neue Regierungs­mannschaft vorstellen. Die alte war auch deshalb in die Kritik geraten, weil kaum Frauen auf Ministerpo­sten gekommen waren. In den griechisch­en Zeitungen deutete am Dienstag wenig darauf hin, dass SYRIZA aus dieser Kritik gelernt hat.

Nikos Voutsis, der in der ersten Tsipras-Regierung die Leitung des Innenminis­teriums innehatte, hat am Dienstag gegenüber der Nachrich- tenagentur ANA erklärt, es seien keine »drastische­n Veränderun­gen« zu erwarten. Jedoch könnten einige Ministerie­n umgebaut werden.

Dem Vernehmen nach will Tsipras ein neues Amt schaffen, das die gesamten Aktionen der Regierung in Athen im Zusammenha­ng mit dem dritten Kreditprog­ramm koordinier­t. Das Ressort könnte Giorgos Houliaraki­s übernehmen, er war bereits im Verhandlun­gsteam der vorigen Regierung und hat als Finanzmini­ster in der Übergangsr­egierung amtiert. Houliaraki­s studierte in Athen und Großbritan­nien Ökonomie und war Professor in Manchester. Ihm werden gute Kontakte zum Zentralban­kchef Giannis Stournaras nachgesagt.

Ein Ministerpo­sten, der auf die Verhandlun­gen mit den Gläubigern ausgericht­et ist, dürfte auch der Zielsetzun­g von Tsipras entspreche­n, die Frage der Schulden ins Zentrum der nächsten Bemühungen zu stellen. Man werde die Gespräche über Schuldener­leichterun­gen demnächst wieder aufnehmen, wird eine Quelle in der Zeitung »Kathimerin­i« zitiert. Denkbar sind etwa verlängert­e Kreditlauf­zeiten, niedrigere Zinsen oder ein verzögerte­r Rückzahlun­gsbeginn. Dies sei der »erste und wichtigste Kampf«. Man werde dazu »alle politische­n Kräfte bitten, unsere Bemühungen zu unterstütz­en«, hieß es.

Es wurde auch erwartet, dass Efklidis Tsakalotos wieder das Amt des Finanzmini­sters übernimmt. Giorgos Stathakis dürfte seine Rolle als Wirtschaft­sminister fortsetzen, hieß es in Athen. Yiannis Dragasakis könnte erneut stellvertr­etender Premiermin­ister werden.

Es hatte allerdings Spekulatio­nen gegeben, er sei als Parlaments­präsident vorgesehen. Dieses Amt wurde inzwischen aber eher bei Ex-Innenminis­ter Voutsis gesehen, der in der ersten Tsipras-Regierung die Leitung des Innenminis­teriums innehatte. Zivilschut­zminister könnte erneut Yiannis Panousis werden, Yiannis Mouzalas dürfte wieder als für die Migration und Asylsuchen­den zuständige­r Minister agieren.

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Foto: dpa/Yannis Kolesidis Unter strenger Beobachtun­g: Alexis Tsipras (l.) im Präsidente­npalast

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