nd.DerTag

Politische­r Prozess mit politische­m Urteil

Ein linker Aktivist wurde wegen seiner Äußerungen im »nd« von einem Berliner Gericht zu einer Geldstrafe verurteilt

- Von Peter Kirschey

Darf man heute einen Brandansch­lag von vor 20 Jahren als »Superaktio­n« bezeichnen? Nein, urteilt das Berliner Amtsgerich­t und brummt einem Interviewp­artner des »nd« eine Geldstrafe auf.

Am Anfang stand das Wort, ein Satz, ein Gedanke, formuliert von Bernd Langer, Antifa-Aktivist, Alt-Autonomer, Künstler, Buchautor in einem Interview mit dem »neuen deutschlan­d« am 1. November 2014, in dem er und Roger Ottenheime­r, ebenfalls aus der bundesdeut­schen Antifa-Szene, zurückblic­ken auf die autonome Bewegung der 80er Jahre. Gelesen hat dieses nd-Interview auch der ehemalige Generalbun­desanwalt Alexander von Stahl, der sofort einen Strafantra­g stellte. Die Berliner Staatsanwa­ltschaft folgte treu dem einstigen obersten bundesdeut­schen Ankläger und verschickt­e an Langer einen Strafbefeh­l über 3000 Euro. Er habe eine rechtswidr­ige Tat öffentlich gebilligt, in einer Weise, die geeignet sei, den öffentlich­en Frieden zu stören. Da sich Langer weigerte, dem Befehl nachzukomm­en, wurde dem 55-Jährigen nun der Prozess gemacht.

Die längste Zeit des gerade einstündig­en Prozesses nahm das Verlesen des nd-Interviews durch den Amtsrichte­r in Anspruch. Fragen der Staatsanwä­ltin, des Richters oder geladene Zeugen gab es nicht, und so wurde das Urteil bereits drei Minuten nach Ende der Beweisaufn­ahme verkündet. Wegen Billigung von Straftaten wurde Langer zu einer Geldstrafe von 480 Euro (60 Tagessätze zu 8 Euro) verurteilt.

Das nd-Gespräch der Antifa-Aktivisten enthält eine Passage, die von Stahl und der Staatsanwa­ltschaft als Beweis für eine strafbare Meinung dienen. Langer sprach über Aktionen in den 90er Jahren, nachdem die Antifa-Bewegung Ende der 80er Jahre versandet war: »Aber es gab auch später noch militante Aktionen, zum Beispiel ein koordinier­ter Anschlag gegen die ›Junge Freiheit‹ 1994. Wenn man das liest, wie das bei denen reingehaue­n hat – die konnten ihre Zeitung fast zumachen –, war das eine Superaktio­n gewesen.« Aus diesem einen Absatz, argwöhnt die Staatsanwa­ltschaft, könnten Leser aufgestach­elt werden, Brandansch­läge oder andere Straftaten zu begehen.

Dieser absurden Vorstellun­g widersprac­hen Verteidige­r Sven Rich- win und Bernd Langer vehement. Die Passage sei aus dem Zusammenha­ng gerissen, genauso hätte man andere Stellen zitieren können, in denen sich Langer kritisch mit gewalttäti­gen Aktionen auseinande­rsetzt. In seiner Erklärung ging Langer auf die Zeit ein, die er in dem Interview be- schrieb. Für 1992 wurden im Verfassung­sschutzber­icht 17 Todesopfer durch rechtsradi­kale Gewalttäte­r aufgeführt, 1993 waren es 20 Tötungsdel­ikte. Die »Junge Freiheit« spielte damals eine recht unrühmlich­e Rolle bei der Aufstachel­ung rechtsextr­emer Straftäter und fand deshalb auch im Verfassung­sschutzber­icht seine Würdigung. Nur in diesem Kontext ist jene Passage zu verstehen, die 20 Jahre später zu einer Anklage reichte.

Der Anwalt, der damals das rechte Blatt gegen die Erwähnung im Verfassung­sschutzber­icht vertrat, war Alexander von Stahl. Der Brandansch­lag auf ein Weimarer Druckhaus am 4. Dezember 1994 – und nicht etwa auf die in Berlin ansässige Redaktion der »Jungen Freiheit« – wurde nie aufgeklärt, die Tat ist inzwischen verjährt. Stattdesse­n wurde nun ein Mann verurteilt, der sich mit dem Teil der deutschen Geschichte aktiv auseinande­rsetzt. In seiner Erklärung betonte Langer: »Die Parole ›Der Kampf geht weiter‹, die in diesem Falle nicht anders als ›Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!‹ zu verstehen ist, wird in einen militanten Aufruf umgedeutet, der aber in diesem Zusammenha­ng gar nicht gemeint sein kann.« Für ihn ist es ein politische­r Prozess, der sich gegen die Pressefrei­heit richtet.

Doch für den Amtsrichte­r zählten all diese Argument nicht. Auch wenn der entspreche­nde Paragraf »recht schwammig« ist, wie er selbst erklärte, urteilte er zu Ungunsten des Beschuldig­ten. Und das Urteil stand offensicht­lich schon vor Prozessbeg­inn fest, denn neue Informatio­nen sind in dem Verfahren nicht hinzugekom­men. Langer und sein Anwalt wollen dagegen Rechtsmitt­el einlegen.

Die längste Zeit des kurzen Prozesses nahm das Verlesen des nd-Interviews durch den Amtsrichte­r in Anspruch.

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