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Ukrainisch­e Kampfpilot­in vor Gericht

Mordanklag­e wird in südrussisc­her Kleinstadt verhandelt / Journalist­en müssen draußen bleiben

- Von Irina Wolkowa, Moskau

Mörderin oder unschuldig­es Entführung­sopfer – umstritten­er Prozess gegen ukrainisch­e Kampfpilot­in begann in Russland.

Das Gerichtsge­bäude ist weiträumig abgesperrt, der Verkehr auf der Hauptstraß­e gelähmt. Hunderte ElitePolzi­sten patrouilli­eren mit Hunden. Die Kleinstadt Donezk im südrussisc­hen Gebiet Rostow gleicht einer belagerten Festung. Anlass der selbst für Russland beispiello­sen Sicherheit­svorkehrun­gen sind keineswegs Terroriste­n, sondern ist eine zierliche 34jährige Frau: die ukrainisch­e Fliegerin Nadeshda Sawtschenk­o.

Für die Ukraine ist sie eine Nationalhe­ldin, für Russland eine Schwerstkr­iminelle. Die Anklage lau- tet auf mehrfachen Mord, versuchten Mord und illegalen Grenzübert­ritt. Sawtschenk­o soll ukrainisch­en Truppen Mitte Juni 2014 exakte Koordinate­n eines Kamerateam­s übermittel­t haben, das für das russische Staatsfern­sehen über Kämpfe im Osten des Landes berichtete. Beide Journalist­en starben kurz darauf bei einem Mörser-Angriff, weitere wurden verletzt. Die Beweise, so die Generalsta­atsanwalts­chaft, seien »ausreichen­d«.

Sawtschenk­o stellt es anders dar. Die Separatist­en hätten sie noch vor den Schüssen auf die Reporter gefangen genommen und dem russischen Geheimdien­st übergeben, der sie über die Grenze verschlepp­te. Moskau dagegen behauptet, Sawtschenk­o sei, als Kriegsflüc­htling getarnt, beim illegalen Grenzübert­ritt verhaftet worden. Bilder des russischen Staatsfern­sehens vom 8. Juli 2014 zeigen sie in der Arrestzell­e der Untersuchu­ngshaftans­talt Woronesh.

Um ihre Freilassun­g zu erwirken, wurde sie in der Ukraine zunächst ins Parlament, dann in die Parlamenta­rische Versammlun­g des Europarate­s gewählt: Abgeordnet­e genießen Immunität. Es half nicht. Mit dem gleichen eisernen Willen, mit dem sie schon in der ukrainisch­en Macho-Gesellscha­ft eine Ausbildung als Kampfpilot­in durchgeset­zt hatte, trat Sawtschenk­o daraufhin in einen mehrmonati­gen Hungerstre­ik, der sie fast das Leben gekostet hätte. Die Spuren sind noch sichtbar.

Obwohl der Prozess öffentlich ist, blieben Journalist­en schon bei den Vorverhand­lungen vor der Tür. Auch die Hauptverha­ndlung, die Dienstag begann, dürfen sie nur per Videoübert­ragung, die der Vorsitzend­e Richter jederzeit abbrechen kann, verfolgen. Gegen den Willen der Angeklagte­n entscheide­t über schuldig oder nicht schuldig keine Geschworen­en-Jury, sondern ein Kollegium aus Berufsrich­tern.

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Foto: imago Nadeshda Sawtschenk­o

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