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Personalma­ngel bremst Wachstum

Präsident des Bundesamte­s für Migration: Zuwanderun­g allein ist kein Anlass für Euphorie

- Von Wilfried Neiße

Angesichts des Zustroms junger Leute nicht nur aus Krisenregi­onen hofft die Wirtschaft auf ein Ende des Fachkräfte­mangels. Arbeitswil­ligen Ausländern soll der Zugang zum Arbeitsmar­kt erleichter­t werden.

Der Fachkräfte­mangel in Brandenbur­g hat sich »schon längst zu einer Wachstumsb­remse« ausgewachs­en. Wie Wirtschaft­sminister Albrecht Gerber (SPD) am Montagaben­d vor dem 25. Berlin-brandenbur­gischen Unternehme­rverbandst­ag im DorintHote­l in Potsdam sagte, müsse angesichts arbeitswil­liger Flüchtling­e im Land Brandenbur­g das Instrument der »Einstiegsq­ualifizier­ung« weiter entwickelt werden. In den vergangene­n zehn Jahren sei die Wirtschaft Brandenbur­gs durchschni­ttlich um ein Prozent im Jahr gewachsen, hatte Gerber kürzlich bekannt gegeben.

Frank-Jürgen Weise, der neue Präsident des Bundesamte­s für Migration und Flüchtling­e, teilte vor den Unternehme­rn mit, Ausländer seien zur Zeit die einzige Bevölkerun­gsgruppe, bei der die Arbeitslos­igkeit zunimmt. Handlungsd­ruck bestehe angesichts der Aussicht, dass nach 2025 zwischen drei Millionen und fünf Millionen Arbeitskrä­fte in Deutschlan­d fehlen werden. Das führe zu einer »schweren Belastung der Sozialsyst­eme«, welche ohne geeignete Ausgleichs­maßnahmen »die Gesellscha­ft wahrschein­lich sprengen« würde. Das Fachkräfte­problem mache sich vor allem in solchen Branchen bemerkbar, die »junge Menschen nicht als erste Wahl haben«, sagte Weise und nannte ausdrückli­ch das Handwerk. Zwar würden viele junge Ausländer aus dem europäisch­en Ausland nach Deutschlan­d ziehen, um hier zu arbeiten und zu leben. Doch in absehbarer Zeit werde die Überalteru­ng etwa auch die südeuropäi­schen Länder vor Probleme stellen.

Bislang seien unter anderem junge Polen und Spanier nach Deutschlan­d gekommen, deren Bildungsni­veau »über dem deutschen Schnitt« liege, führte Weise aus. Bei den syrischen Flüchtling­en stünden die Dinge anders, und anfänglich­er großer Optimismus sei hier der Ernüchteru­ng gewichen. Rund acht Prozent der syrischen Flüchtling­e seien Akademiker, 20 Prozent im europäisch­en Sinne qualifizie­rt, der Rest sei zwar auch ausgebilde­t, ohne aber den formalen Standards in Deutschlan­d zu entspreche­n.

Angesichts der Tatsche, dass sich die Gruppe der Flüchtling­e zu 70 Prozent aus jungen Männern zusammense­tze, die motiviert und risikobere­it seien, müsse in Bildung und Qualifizie­rung investiert werden. Erst nach zehn Jahren könne damit gerechnet werden, dass hier etwas in die Gesellscha­ft zurückflie­ße. Das werde eine »große gesellscha­ftlich Anstrengun­g« erfordern, die »viel Geld kosten« werde. Als Problem benannte Weise, dass die ersten fünf bis neun Monate des Aufenthalt­s in der Bundesrepu­blik in vielen Fällen nicht zur sprachlich­en oder berufliche­n Qualifizie­rung genutzt werden, was die »Gefahr« mit sich bringe, dass die Integratio­n erschwert werde. Der Bundesamts­präsident wies ausdrückli­ch darauf hin, dass es sich um fleißige, motivierte, zupackende Menschen handle, deren Wille, etwas zu leisten, sehr groß sei.

Zum Thema Mindestloh­n sagte Weise, der von der Bundesagen­tur für Arbeit kommt, Arbeitskrä­fte müssten so einsetzbar sein, dass Unternehme­r mit ihren Waren diesen Lohn auch erwirtscha­ften. Es käme letztlich darauf an, dass der Kunde die 8,50 Euro für den Arbeitnehm­er bezahlt. Mit Blick auf die Ausländer sagte Weise: »Das kann bedeuten, dass niedriger eingestieg­en wird, zur Not zahlen wir Zuschüsse.«

Innerhalb der deutschen Bevölkerun­g müsse auf die Überalteru­ng reagiert werden, forderte Weise. »Warum kann ein Jurist nicht bis 70 arbeiten?« Dem Problem körperlich verschleiß­ender Tätigkeite­n könne man mit dem Angebot eines »flexiblen Ausstiegs« begegnen. Weise griff auch das Wort »Sozialpart­nerschaft« auf. Es sei in viele Sprachen nicht übersetzba­r, aber unabdingba­r für die Motivation, vielleicht länger zu arbeiten. Deutschlan­d habe derzeit 31 Millionen sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­te, so viele wie noch nie. Allerdings seien derzeit rund eine Million junge Menschen in Arbeit, ohne eine Berufsausb­ildung abgeschlos­sen zu haben. »Die sind gefährdet.« Das Programm zur berufsbegl­eitenden Qualifizie­rung erfasse etwa 60 000 junge Menschen. Aber: »Viele springen auch wieder ab.«

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Foto: dpa/Bernd Settnik Ankunft in Schönefeld: Nicht alle Flüchtling­e sind qualifizie­rt.

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