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Schwestern streiten über Hoheitsrec­hte

Ungewisse Zukunft für ein Bremer Unikat: Die letzte eigenständ­ige kommunale Polizei Deutschlan­ds steht in Frage

- Von Alice Bachmann, Bremen

Im Bundesland Bremen, das aus zwei Städten besteht, ist manches anders als andernorts. So hat das kleinere Bremerhave­n eine eigene, historisch entstanden­e Polizei-Hoheit. Bis jetzt jedenfalls.

Als nach der Bürgerscha­ftswahl im Mai in Bremen SPD und Grüne erneut eine Koalition bildeten, wurde wieder einmal angeregt, im Bundesland Bremen nur eine Polizei zu erhalten und die Bremerhave­ner in die Landespoli­zei Bremen einzuglied­ern. Das Ziel: Einsparung­en durch Abbau von Doppelstru­kturen. Der Köder für die Kommune Bremerhave­n: Deren Haushalt sollte durch das Land von den Pensionsza­hlungen für die Polizei entlastet werden.

Wieder einmal führte der Koalitions­beschluss zu großer Empörung Bremerhave­n. Eine Initiative für den Erhalt der Polizei Bremerhave­n sowie für die Eigenständ­igkeit der Schulen sammelte über 9600 Unterschri­ften für ein Bürgerbege­hren. Zuvor hatte Bremerhave­ns Oberbürger­meister Melf Grantz (SPD) bereits erklärt, die Idee der Zusammenle­gung der Polizeien sei vom Tisch.

Doch die Entscheidu­ng darüber wird nicht in Bremerhave­n gefällt, sondern im Parlament des Landes Bremen, der Bürgerscha­ft. In Richtung Bremer Rathaus setzte Grantz denn auch nach: Bremerhave­n dulde schon die Polizei-Hoheit Bremens über die Hafengebie­te, im Gegenzug solle Bremen die Eigenständ­igkeit der Bremerhave­ner Polizei nicht antasten.

Die freie Hansestadt Bremen ist nicht nur das kleinste Bundesland, sondern auch das einzige, das aus nur zwei Städten besteht. Diese Schwesters­tädte liegen 60 Kilometer von einander entfernt, jede bildet eine eigene Kommune. Laut letzter Volkszählu­ng leben in Bremerhave­n rund 100 000 Menschen und in der Stadt Bremen etwa 550 000. Die Landesregi­erung sitzt in Bremen; Bremerhave­n hat ein eigenes kommunales Parlament. Und Bremerhave­n, das an der Wesermündu­ng liegt, blickt auf die einzige deutsche EU-Außengrenz­e – die Grenze in der Nordsee.

Solch eine Gemengelag­e führt zu komplizier­ten Strukturen mit gewissen Eigenarten. Eine davon ist die, dass Bremerhave­n über die letzte eigenständ­ige kommunale Polizei Deutschlan­ds verfügt. Die Stadt Bremen hat keine eigene kommunale Polizei, sondern eine Landespoli­zei, die für das ganze Land – außer für das Stadtgebie­t Bremerhave­ns zuständig ist. Teile des Hafens in Bremerhave­n wiederum stehen unter Bremer Polizei-Hoheit.

Vor diesem Hintergrun­d plädiert Nelson Janssen, Neuling in der Bremer Landtags-Fraktion der LINKEN und zuständig für Bremerhave­n, für ein sachliches Abwägen der Argumente. Im Gespräch mit dem »nd« meint er, die Befürworte­r sollten mehr und bessere Argumente bringen als nur den Hinweis auf Einsparpot­enzial. Wobei er in diesem Punkt konkrete Vorschläge mit Substanz vermisst. Auf der anderen Seite sollten die Gegner mehr aufbieten als nur die Sorge um die Unabhängig­keit Bremerhave­ns. Auch sollte die geäußerte Vermutung, es gehe nur um die Unterstütz­ung der Bremer Polizei, sachlich begründet werden.

Die spezielle Polizeistr­uktur geht auf die Entstehung Bremerhave­ns zurück. Bremer Kaufleute errichtete­n vor etwa 190 Jahren an der We- sermündung einen neuen Hafen, nannten das Gebiet schlicht »Bremerhave­n« und stellten einen Amtmann sowie berittene Polizei ein. Zu einer Stadt wurde das Areal erst Jahrzehnte später durch Eingemeind­ung umliegende­r Ortschafte­n. Vor rund 150 Jahren bekam Bremerhave­n dann eine Verfassung und damit die Polizei-Hoheit über das Stadtgebie­t – mit Ausnahme des Hafens.

Diese Hoheitsrec­hte verlor Bremerhave­n während der Nazi-Diktatur, bekam sie im Jahr 1945 von den Alliierten wieder zuerkannt. Ein Gesetz des Bremer Senats bestätigte 1947 die kommunale Selbstverw­altung Bremerhave­ns – einschließ­lich der Polizei-Hoheit.

Vor rund 150 Jahren bekam Bremerhave­n die Polizei-Hoheit über das Stadtgebie­t – mit Ausnahme des Hafens.

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Foto: dpa/Ingo Wagner Optisch nicht jedermanns Sache: das Bremer Parlament, die Bürgerscha­ft. Wird dort demnächst über die Polizei Bremerhave­ns entschiede­n?

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