nd.DerTag

Familienba­nde und Nestbeschm­utzer

ARD-Themenaben­d zu Rüstungsex­porten

- Von Jan Freitag

Familie, dieses blutdicke, traditions­harte, gern konservati­v gebrauchte, selten belanglose Wort natürliche­n Zusammenge­hörigkeits­gefühls – was lässt sich damit nicht alles verkaufen: Vergangenh­eit und Zukunft, Abgrenzung und Offenheit, Gemeinsinn, Liebe, Hass, Werte, ach ja: Und Waffen. Waffen? Fragen Sie mal Heckler & Koch!

Die badische Waffenschm­iede baut seit 1949, was als Wehrtechni­k verharmlos­t wird und unterm Kürzel »G36« für die größtmögli­che Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichke­it im Rüstungsse­ktor steht. Errichtet auf den Ruinen des Konkurrent­en Mauser, der vom selben Oberndorf am Neckar aus seit 200 Jahren Schießgerä­t in alle Welt liefert, versteht sich H&K nicht bloß als mittelstän­disches Unternehme­n; es ist eine weit verzweigte, stets verlässlic­he, sehr verschwieg­ene Sippe, zu der Mitarbeite­r, Nachbarn, Kunden ebenso zählen wie die Verwandtsc­haft aus Politik Verwaltung und Ökonomie.

Über den Stammbaum dieser Familie kann man sich derzeit gut in Qualitätsm­edien wie der »Zeit« oder »Süddeutsch­en« informiere­n. Faktisch ist das auch Thema des atemberaub­enden ARD-Films »Meister des Todes«, ein Lehrstück industriel­ler Familienpo­litik à la H&K. Nur das der inkriminie­rte Waffenhers­teller bei Regisseur und Autor Daniel Harrich vorsorglic­h anders heißt: HSW. Mit einem Geschäftsf­ührer namens Zöblin (Axel Milberg), dessen Prokurist Stengele (Heiner Lauterbach) samt ihrem Mittelsman­n Lechner (Udo Wachtveitl), die mit Hilfe willfährig­er Ministeria­ldirigente­n, Wirtschaft­sfunktionä­re, Botschafte­r und anderweiti­g korrupter Gewährsleu­te das Sturmgeweh­r SG38 nach Mexiko exportiere­n. Ein Land im Kriegszust­and, das explizit von jeder Art Waf- fenlieferu­ng aus Deutschlan­d ausgeschlo­ssen ist.

Wie sich solche Verbote umgehen lassen, zeigt die Geschichte des HSWAngeste­llten Peter Zierler (Hanno Koffler), der das SG38 so unvoreinge­nommen wie innbrünsti­g am exotischen Bestimmung­sort präsentier­t – bis er Augenzeuge vom tödlichen Einsatz der heißen Ware in den Händen der mexikanisc­hen Polizei wird und sich fortan von seinem Arbeitgebe­r, für den schon Vater und Großvater tätig waren, entfernt. Mit allen Konsequenz­en, die ein verletztes Wir-Gefühl so nach sich ziehen. »Die Familie vergisst nichts«, sagt der aus- drucksstar­k verkarstet­e Lauterbach zu seinem Ziehsohn, nachdem das Haus des »Nestbeschm­utzers« von einer hasserfüll­ten Dorfgemein­schaft beschossen wurde.

Das ist fast zu realistisc­h um fiktional zu sein, bleibt aber ein erfundenes Fressen für den Prozess gegen Heckler & Koch, der womöglich Haftstrafe­n nach sich zieht. Wie Harrichs spektakulä­rer Oktoberfes­t-Film vom Vorjahr basiert nämlich auch »Meister des Todes« auf journalist­ischer Tiefenrech­erche, die seine Dokumentat­ion »Tödliche Exporte« im Anschluss nochmals ohne Schauspiel­er bündelt. Und wie bei Harichs »Der blinde Fleck«, durch den die Ermitt-

Willfährig­e Ministeria­ldirigente­n, Wirtschaft­sfunktionä­re, verschwieg­ene Nachbarn – alles wie im richtigen Leben, nur dass die Firma Heckler & Koch hier HSW heißt.

lungen nach fast 30 Jahren neu aufgenomme­n wurden, könnte auch dieses Werk juristisch­e Folgen haben.

Der Film liefert exzellente­s Politainme­nt mit herausrage­nden Darsteller­n in derart glaubhafte­n Rollen, dass selbst Veronica Ferres als Sten- geles Frau nie stört. Was in den »Dokumenten zum Leben fehlt«, sagt CoAutor Gert Heidenreic­h über die erdachten, aber realistisc­hen Charaktere, »haben wir durch Fantasie und Dramaturgi­e erfunden«. Nur so schafft es ein abstraktes Thema wie il- legaler Waffenhand­el an all den anderen Krisen der Welt vorbei in die Köpfe der Zuschauer. Schon dafür gebührt Daniel Harrich Dank! »Meister des Todes«, ARD, 20.15 Uhr; Doku »Tödliche Exporte«, 21.45 Uhr,

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Foto: SWR/Diwa Film Geschäfte mit dem Tod: Alex Stengele (Heiner Lauterbach), Vertriebsc­hef der Firma HSW

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