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Sozialhilf­e in Gefahr

In Dänemark stehen möglicherw­eise Reformen des Leistungss­ystems an – Kritik daran wird auch mit den Folgen von Hartz IV begründet

- Von Andreas Knudsen, Kopenhagen

Niedrigere Sozialleis­tungen führen nicht zu mehr Erwerbstät­igen, das zeigt die erste dänische Langzeitst­udie zum Thema. Dennoch könnten Kürzungen drohen.

Die rund 180 000 Sozialhilf­eempfänger in Dänemark sind eine bedeutende Gruppe unter den etwa 3,5 Millionen Arbeitsfäh­igen des Landes. Sie kosten den Staat jährlich etwa drei Milliarden Euro – wichtigste­s Anliegen der Arbeitsmar­kt- und Sozialpoli­tik der Regierunge­n ungeachtet parteipoli­tischer Farbe ist es deshalb, die Zahl zu reduzieren. Die Leistungsb­ezieher sollen in die Reihen der Lohnempfän­ger überführt werden, mit Reformen wird versucht, Anreize zur Arbeitsauf­nahme zu schaffen.

Trotz der relativ großen Zahl von Sozialhilf­ebeziehern gibt es relativ wenige tiefergehe­nde Untersuchu­ngen darüber, welchen Einfluss die Sozialhilf­e auf die Kaufkraft hat und wie die Reformen sich auswirken. Insbesonde­re Langzeitst­udien sind Mangelware. Der Rockwool Fonds, eine unabhängig­e dänische Forschungs­einheit, hat sich nun des Themas angenommen und analysiert­e das frei verfügbare Einkommen von Sozialhilf­ebeziehern über einen Zeitraum von 25 Jahren.

Zwei zentrale Erkenntnis­se ergaben sich dabei: Zum einen ist die Kaufkraft dänischer Sozialhilf­eempfänger weiterhin größer als die vergleichb­arer Gruppen in Schweden, Holland und Deutschlan­d, allerdings ist die Einkommens­schere zu den Lohnempfän­gern im eigenen Land gewachsen. Die größten finanziell­en Einbußen haben alleinsteh­ende Personen, die im Jahr 2012, dem letzten Jahr der Studie, nur noch 31 Prozent des Einkommens der Gehaltsemp­fänger besaßen. Im Jahr 1988 waren es noch 38 Prozent gewesen. Bei Paaren sank der Wert in diesem Vierteljah­rhundert von 57 auf 51 Prozent. Dass die Kaufkraft der Leistungsb­ezieher gegenüber demjenigen der Vollbeschä­ftigten sich seit 1988 immer weiter reduziert, sei »politisch so gewollt«, wie Marie Louise SchultzNie­lsen, eine der Verfasseri­nnen der umfangreic­hen Studie, erklärte.

Wenig überrasche­nd war denn auch die Reaktion des dänischen Arbeitgebe­rverbandes DA, der in einer Stellungna­hme beklagte, dass soziale Leistungen weiter zu hoch seien und Erwerbslos­e von der aktiven Arbeitssuc­he abhielten. Auf strukturel­le Ursachen wie den Wegfall zahlreiche­r Jobs für Ungelernte, auf die viele Sozialhilf­ebezieher zunächst angewiesen wären, ging der Verband nicht ein.

Aus der offizielle­n Statistik lässt sich jedoch ablesen, dass reduzierte Leistungen nur bei einigen Sozialhilf­ebeziehern mit nicht-westlichem Hintergrun­d zu den von den Arbeitgebe­rn erwünschte­n Resultaten führte: Diese Gruppe war zu Beginn des Jahrtausen­ds über mehrere Jahre hinweg nur zum Bezug einer Leistung – der sogenannte­n Starthilfe – berechtigt, die noch unter der Sozialhilf­e und dem Existenzmi­nimum lag. Einige aus dieser Gruppe kamen laut den Zahlen wieder in Arbeit, während andere nun Früh- beziehungs­weise Altersrent­e beziehen. Aus den Statistike­n lässt sich ablesen, dass die relative Höhe der Sozialhilf­e verglichen mit den Lohneinkom­men kaum einen Einfluss darauf hat, wie viele Bezieher eine Arbeit aufnehmen. Wichtiger ist der Zeitraum, in dem Personen Sozialhilf­e beziehen. Die Chancen auf eine Arbeitsauf­nahme nach mehr als zwei Jahre Leistungsb­ezug sind demnach gering.

Kritiker des gegenwärti­gen Systems weisen im Übrigen auf die HartzIV-Reformen hin, die eine Menge Niedrigloh­njobs und damit eine wachsende Gruppe der »Working Poor« entstehen ließen. Solle das das Ziel dänischer Arbeitsmar­ktreformen sein? Die Fragestell­ung ist relevant, denn in der nächsten Zeit soll die sogenannte Arbeitslos­engeld-Kommission ihre Schlussfol­gerungen nach über einjährige­r Arbeit vorlegen. Niedrigere Sätze für Arbeitslos­engeld aber werden wiederum Einfluss auf die Höhe der Sozialhilf­e haben. Das soziale Sicherheit­snetz Dänemarks könnte in Zukunft, befürchten die rotgrüne Einheitsli­ste und Sozialverb­ände, große Löcher aufweisen und die – im europäisch­en Vergleich recht hohen – Beträge, die derzeit gezahlt werden, zur Erinnerung machen.

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