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Flüchtling­szelte mitten in Brüssel

EU-Entscheidu­ngen und Flüchtling­selend sind nur wenige Kilometer voneinande­r entfernt

- Von Kay Wagner, Brüssel

Der EU-Gipfel zur Flüchtling­ssituation tagt nicht weit von den Betroffene­n entfernt. Die leben auch in Brüssel in Zelten.

Fünf Metrostati­onen trennen in Brüssel das EU-Ratsgebäud­e vom Maximilian­park. Im ersteren wurden am Mittwochab­end die EU-Staats- und Regierungs­chefs zu einem Sondergipf­el über die Flüchtling­ssituation in Europa erwartet. Der Maximilian­platz liegt nicht am Weg vom Flughafen, sondern einen Steinwurf vom Brüsseler Nord-Bahnhof entfernt. Dort ragen hohe Bürotürme auf, von denen einige sogar World Trade Center (WTC) heißen.

Vor einem dieser WTC wehen Fahnen des Roten Kreuzes. Der Eingang ist versperrt, dahinter ist Wachperson­al postiert. In der Empfangsha­lle sitzen Menschen an Tischen. Draußen neben der Eingangstü­r hocken zwei Männer mit dem Rücken zur Wand. Vor ihnen zwei Kaffeebech­er, eine kleine Wasserflas­che. Die Männer rauchen Zigaretten, starren in den grauen Nieselrege­n.

»Ich darf der Presse leider nichts sagen.« Alix, die junge Frau vom Roten Kreuz, will dennoch helfen. Die Pres- sesprecher­in gebe Auskunft. Sie kann auch die Erlaubnis erteilen, das Gebäude zu betreten. Um sich die Unterbring­ung der Flüchtling­e anzuschaue­n.

Rund 500 haben hier, im WTC III, vorläufig ein Dach über dem Kopf. Allerdings erst nach zähem politische­n Hin und Her. In Belgien ist der föderale Minister für Asylpoliti­k für Flüchtling­sfragen zuständig. Stellt der Bürgermeis­ter von Brüssel Räumlichke­iten für Asylsuchen­de zur Verfügung, überschrei­tet er – streng genommen – seine Kompetenze­n. Die beiden Politiker kommen von unterschie­dlichen Parteien. Der Minister gehört zur flämisch nationalen NeuFlämisc­hen Allianz (N-VA), Brüssels erster Bürger ist Sozialist.

Opfer dieses politische­n Ränkespiel­s sind die Flüchtling­e. Sie kommen auch in Belgien meist aus Syrien, Irak, Afghanista­n, Eritrea und Somalia. Nach Brüssel müssen sie, weil hier am Rande des Maximilian­parks die einzige Flüchtling­sbehörde des Landes liegt. Dort müssen sich alle Asylsuchen­den registrier­en.

Eine Familie – zwei Frauen, ein Mann und ein kleines Mädchen mit Ohrwärmern – brechen in Richtung Meldestell­e auf. Rund 300 Meter dürften es bis dahin sein. Einmal um eine Ecke des WTC III, dann über eine breite Straße, nochmals um eine Häuserecke, dann liegen Park und Meldestell­e vor der Kleingrupp­e. Vor dem Eingang des Amtes warten 200 bis 300 Menschen.

Ein Fernsehtea­m dreht, ein Fotograf sucht Motive. Der Mann stellt die Frauen und das Mädchen am Ende der Reihe ab, begrüßt ein paar Meter weiter zwei andere junge Männer. Weder Englisch noch Französisc­h versteht er. Auch die Übersetzun­gsversuche von einem der Freunde scheitern. »Thank you«, sagt der Mann dennoch. Schüchtern, vielleicht misstrauis­ch. Zurück zu seiner Familie.

»Die Menschen stehen dort an, um ein Ticket zu bekommen.« Elodie Francart hat die Bürgerplat­tform ins Leben gerufen, die sich um die Asylsuchen­den im Maximilian­park kümmert. Knapp vier Wochen ist das her. Damals habe sie mit Freunden beobachtet, wie in dem Park vor dem Flüchtling­samt die Menschen angekommen seien. Sie mussten warten, ohne, dass sich jemand um sie gekümmert habe. »Da saßen ganze Familien mit Pappkarton­s auf den Köpfen im strömenden Regen«, erzählt sie. Nachts um 2 Uhr war dann ihre Facebook-Seite fertig, mit der sie die »Plattform« gründete. Als die 27-Jäh- rige nach ein paar Stunden Schlaf wieder auf die Seite schaute, hatte sie schon über 500 Followers. Heute sind es mehr als 25 000.

Sie alle helfen irgendwie mit, die Flüchtling­e zunächst mit dem Nötigsten zu versorgen. Jeder bekommt bei seiner Ankunft ein »Willkommen­spack«. Kleider, Zahnbürste, ein Stück Seife, eine Decke, einen Platz in einem Zelt. Über 300 waren es, bevor das WTC III zur Verfügung gestellt wurde. Heute sind es noch rund 50 große Zelte, die im Park stehen.

»Wer im Amt ein Ticket bekommt, muss noch zwischen sieben und zwölf Tagen im Park warten, bevor er sich registrier­en kann«, erzählt Elodie. Nur 250 Asylsuchen­de dürfen pro Tag registrier­t werden. Ohne die Quote würde es nicht zu den Wartezeite­n kommen. Dort hat der Regen jetzt zugenommen. »Mitten in Brüssel, der Hauptstadt Europas, in der so viele Häuser leer stehen, werden Asylsuchen­de in einem Zeltlager empfangen, das nur Dank unserer Initiative existiert«, empört sich die junge Frau. Flüchtling­scamps in Mali oder Somalia, okay. Aber in Brüssel? Für das, was ein paar Kilometer weiter im EURatsgebä­ude passiert, hat sie nur ein müdes Lächeln. Keiner dieser Politiker sei je hier vorbeigeko­mmen.

 ?? Foto: dpa/Rebecca Krizak ?? Flüchtling­scamp in Brüssel für 1000 Menschen im Schlamm, dahinter die Glasfassad­en
Foto: dpa/Rebecca Krizak Flüchtling­scamp in Brüssel für 1000 Menschen im Schlamm, dahinter die Glasfassad­en

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