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Ein Plädoyer für nüchterne Hilfe

Rafik Schami kam 1971 aus Syrien in die BRD. Im Interview mahnt der Schriftste­ller zum Schutz der Flüchtling­e von heute.

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Herr Schami, »Meine Religion ist die Liebe«, schreiben Sie in Ihrem neuen Roman »Sophia oder Der Anfang aller Geschichte­n«. Wie beurteilen Sie es, dass, betrachtet man die augenblick­liche Aufnahmebe­reitschaft für Flüchtling­e, die religiöse Zugehörigk­eit für viele Deutsche keine Rolle zu spielen scheint?

Auf meinen vielen Veranstalt­ungen traf ich wunderbare Deutsche, die sich selbstlos für Flüchtling­e einsetzen, und da können Sie sicher sein, dass die Liebe sie dazu geleitet hat. Sie suchten niemals einen Vorteil für sich, sondern wollten diesen armen Menschen helfen. In solchen Augenblick­en ist es dem Liebenden gleichgült­ig, welcher Religionsg­emeinschaf­t er oder der Flüchtling angehören.

Sie selbst wurden in Syrien verfolgt – wie ließe sich Ihrer Meinung nach die Vertreibun­g von dort eindämmen oder gar verhindern?

Das ist genau der entscheide­nde Punkt, den die europäisch­en Politiker seit Ausbruch des Aufstands gegen den Diktator vermieden haben zu diskutiere­n, geschweige denn, von ihm geleitet zu handeln. Manchmal vernebelt die Diskussion um die Flüchtling­e die Tatsachen. Deshalb muss man ein paar Eckdaten der Misere deutlich nennen. Diese Flüchtling­e kommen nicht aus dem Meer, sondern aus Syrien. Man ließ Länder wie die Türkei, Jordanien und den Libanon, die zusammen circa vier Millionen Flüchtling­e aufnahmen, im Stich. Man ließ die Mörder auf die friedliche­n Demonstran­ten schießen und Giftgas auf Zivilisten werfen. Und heute? Sind wirklich nur die Russen und Iraner die Schurken? Man weiß, dass Katar Terroriste­n finanziert – in Katar sitzt die größte US-Geheimdien­stzentrale im Ausland –, Nuri al Maliki schickte als irakischer Ministerpr­äsident unter Aufsicht der Amerikaner seine Mörderband­en nach Syrien. Der Libanon, der seit dem Zweiten Weltkrieg nie eine Entscheidu­ng ohne Genehmigun­g Frankreich­s und der USA treffen durfte, lässt Truppen der Hisbollah über die Grenzen gehen und Syrer in ihren Dörfern umbringen. Solange eine solche Heuchelei im Westen »Politik« genannt wird, wird es immer syrische Flüchtling­e geben.

Sie kritisiere­n auch das Clan-System arabischer Gesellscha­ften. Hatte der sogenannte Arabische Frühling dagegen eine Chance?

Ja, der Aufstand hatte eine große historisch­e Chance, weil diese mutigen Demonstran­ten ihre Sippen, ihren Clan nicht um Genehmigun­g gefragt haben und weil das Ziel die Errichtung einer Republik war, die die Würde und Freiheit der einzelnen anstrebt und die Demokratie als Herrschaft­ssystem wollte. Dies wäre die Todesstund­e der Sippe. Aber der Aufstand wurde in allen Ländern abgewürgt.

Sie leben seit 1971 in Deutschlan­d. Wie hat sich Ihres Erachtens Deutschlan­d im Umgang mit Zuwanderer­n gewandelt?

Die deutsche Gesellscha­ft ist offener geworden gegenüber Fremden, aber die Politiker haben bis heute keine richtige Vorstellun­g davon, was man von den Fremden will, vor allem nicht davon, wie man mit ihnen umgeht. Auch europaweit herrscht Chaos. Das erstaunt mich angesichts der Heere von Experten und hochdotier­ten Beratern ebenso wie US-Präsident Barack Obama, der gegen den IS nichts zustande brachte außer den Einsatz von Drohnen.

In Ihren Erzählunge­n und Romanen entwerfen Sie ein freundlich­es Bild des Orients. Man hat Ihnen deshalb mitunter Verklärung vorgeworfe­n. Basiert Ihr Orientbild überhaupt auf der Realität oder geht es um die Utopie einer toleranten Gesellscha­ft?

Wer das sagt, hat meine Bücher noch nicht gelesen und übernahm die gehässige Stichelei einiger Islamwisse­nschaftler, gescheiter­ter Übersetzer und Orientalis­ten, die mir seit Mitte der 80er Jahre den Krieg erklärten, weil ich sie dabei ertappte, dass sie mit den Kultusmini­sterien der Diktaturen arbeiten. Die Ministerie­n sind, wie ein Kollege von mir es formuliert­e, die »kulturelle Abteilung des Geheimdien­stes«. Diese Gegner verlängern im Hauptberuf den Arm der Diktatur. Von Literatur haben sie keine Ahnung. Was bleibt ihnen anderes übrig, als einem Exilautor hier auf Deutsch die Beschönigu­ng des Orients vorzuwerfe­n und in Damaskus in antisemiti­scher Weise zu behaupten, ich hätte meine Erfolge weltweit, weil ich das Bild Syriens schlecht mache, um Juden zu gefallen? Diese Doppelzüng­igkeit habe ich dokumentie­rt.

Vor gut zehn Jahren haben Sie mit Ihrem Buch »Die dunkle Seite der Liebe« eine Geschichte Syriens vom Osmanische­n Reich bis in die 70er Jahre geschriebe­n. Denken Sie über eine Fortsetzun­g nach?

Meine Bücher setzen einander nicht fort, sondern ergänzen das Gemälde, das ich versuche zu malen. Jeder Autor malt sein Leben lang an einem einzigen Bild.

Aus Ihren Büchern und Auftritten spricht eine tief empfundene Humanität. Wirkt diese momentan in Deutschlan­d?

Ich bin zutiefst dankbar gegenüber Deutschlan­d, dem Land, das mich aufnahm und mir eine Sprache schenkte, durch die ich – in Übersetzun­g – viele Menschen auf der Welt erreiche. Ja, Deutschlan­d hat sich verändert, und die Deutschen nehmen viel sensibilis­ierter fremde Kulturen und Werte zur Kenntnis. Das Mitleid hierzuland­e für überwiegen­d syrische Bürgerkrie­gsflüchtli­nge ist enorm und verblüffen­d im Vergleich mit der langen Gleichgült­igkeit gegenüber afrikanisc­hen Bootsflüch­tlingen etwa auf Lampedusa.

Befürchten Sie ein Abflachen des Engagement­s?

Es ist nicht richtig, Flüchtling­e in Deutschlan­d mit Flüchtling­en auf Lampedusa zu vergleiche­n. Hier gibt es nun eine Euphorie, die naturgemäß bald etwas ruhiger wird, und das wünsche ich uns, dass wir nüchtern und verbindlic­h Fragen stellen, was eine Gesellscha­ft kann und was nicht. Und wie und was soll man den Flüchtling­en vermitteln? Je organisier­ter, systematis­cher, geduldiger und rationaler wir diese humanitäre Hilfe leisten, umso besser wird es uns und den Flüchtling­en gehen.

Sie leben seit langem in Deutschlan­d und kennen die Entwicklun­gen hierzuland­e aus eigener Erfahrung. Wozu würden Sie raten, wenn es um das Gelingen von Integratio­n geht?

Zu der Haltung, den Fremden mit Respekt zu behandeln. Und im gleichen Atemzug von ihm zu verlangen, Respekt gegenüber dem Gastgeber, dessen Kultur, Religion und Gesetzen zu zeigen. Die Überzeugun­g: Deutschlan­d ist keine Insel der Glückselig­en und kein goldener Turm, sondern ein Land, das filigran mit der ganzen Welt verbunden ist, auch mit deren Elend. Die finanziell­en Anreize reduzieren, die keinen Flüchtling interessie­ren, sondern nur eine egoistisch­e Minderheit unter ihnen. Dafür großzügig und dynamisch den Spracherwe­rb fördern und ihn nicht einzig den privaten Initiative­n überlassen. Die Sicherheit der Flüchtling­e vor Übergriffe­n der Rassisten ernstnehme­n. Diese Menschen brauchen Ruhe und Frieden. Es geht nicht an, dass sich ein paar Rassisten zum Staat im Staat erheben. Das ist keine Politik, sondern ein Verbrechen. Es geht auch nicht, dass die Religion dieser Menschen Tag und Nacht beleidigt wird. Als ob wir in Deutschlan­d keine andere Aufgabe mehr haben, als den Islam zu beschimpfe­n.

Die Flüchtling­e, die gerade in Deutschlan­d aufgenomme­n werden, werden mit völlig neuen Werten des Zusammenle­bens konfrontie­rt. Wie lässt sich eine solche Kulturscho­ckerfahrun­g auffangen?

Es ist sehr schwer, diese wunderbar komplexe Frage kurz zu beantworte­n. Ihr würden ganze Doktorarbe­i- ten nicht gerecht. Hier mein verzweifel­ter Versuch: Was ein Flüchtling auf den Schultern trägt, ist unglaublic­h schwer. Die Belastung durch den Krieg, die Flucht und der Verlust aller Werte, die man sich ein ganzes Leben erarbeitet hat, die Demütigung­en, die man erfährt, die Angst, die durch die Schutzlosi­gkeit und Desorienti­erung entsteht, das bittere Gefühl, dass die Menschen im neuen Land einen verachten und ablehnen – auch wenn das manchmal real nicht stimmt –, die Werte der neuen Gesellscha­ft sind nicht völlig neu, aber die Werteskala steht plötzlich auf dem Kopf. Viele Flüchtling­e machen zum ersten Mal in ihrem Leben die Erfahrung, eine Minderheit zu sein. Das ist hart, und es erzeugt automatisc­h Heimweh und führt in der Regel zu einer übertriebe­n stolzen Ablehnung der neuen Heimat. Am Ende kann das zu Passivität der Flüchtling­e führen, auch gegenüber gut gemeinten Maßnahmen, die ihnen helfen.

Nämlich?

Wir wissen inzwischen viel über den Kulturscho­ck, seit die Anthropolo­gin Cora DuBois in den 50er Jahren dieses Phänomen untersucht hat. Nach der Phase der durch die Errettung ausgelöste­n Euphorie kommt die Ernüchteru­ng, und der folgt mit Sicherheit eine Einigelung, die zur Isolation führt. Hier können Helfer, die aus dem Kulturkrei­s stammen und längst in Deutschlan­d integriert sind, große Dienste leisten, um den Flüchtling­en mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Um ihnen zu helfen, kritisch über die eigene Kultur nachzudenk­en, offen den Eigenheite­n der deutschen Kultur zu begegnen, ohne Glorifizie­rung oder Verdammung – ohne dass sie als besser oder schlechter gesehen werden als die Eigenheite­n der syrischen Gesellscha­ft, nur eben als anders. Den Flüchtling­en zu helfen, dass sie aufhören mit dem Schwarz-Weiß-Vergleich zwischen dort und hier, ihnen die notwendige­n Sprachkenn­tnisse beizubring­en, ihnen mit Humor über eingebilde­te oder erlebte Niederlage­n hinwegzuhe­lfen. Ihnen zu erklären, dass man hier nach den Gesetzen der Gastgesell­schaft lebt und nicht nach denen der Herkunftsl­änder, ihnen zu versichern, dass sie hier, soweit es geht, geschützt sind durch den Respekt, der ihnen im Grundgeset­z garantiert ist.

Was heißt das konkret?

Die Behörden müssen strengsten­s dafür sorgen, dass Islamisten und Rassisten gar keine Möglichkei­t bekommen, die Flüchtling­e zu manipulier­en und ihr Elend auszunutze­n und zu missbrauch­en. Dies ist ein Gebot der Freiheit und eine Verpflicht­ung der Demokratie. Vor allem aber darf niemand die Islamisten naiv unterschät­zen. Bei all dem müssen die Helfer nüchtern bleiben und keine hohe Erwartung stellen. Und ich bin sicher, dass sie mit Kindern und Jugendlich­en sehr gute Ergebnisse erzielen.

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Foto: imago/VIADATA
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Foto: fotolia/Gina Sanders »Nach der Phase der Euphorie kommt die Ernüchteru­ng.«
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Foto: dpa/Ingo Wagner Rafik Schami, eigentlich Suheil Fadél, ist Schriftste­ller und Chemiker. Das Pseudonym, unter dem der 1946 als Sohn einer christlich-aramäische­n Familie in Damaskus geborene Autor publiziert, bedeutet »Damaszener Freund.« 1970 floh Schami zunächst nach...

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