Moskauer Angriffe im Feuer der Kritik
Kanzlerin Merkel setzt auf Gespräche zur Lösung der syrischen Krise
Moskau. Trotz zum Teil heftiger Kritik weitet Russland seine Angriffe in Syrien aus: Seit Samstag hätten Kampfflugzeuge 20 Einsätze geflogen und zehn Einrichtungen des Islamischen Staates (IS) bombardiert, teilte Sonntag das russische Verteidigungsministerium mit. Es seien Einrichtungen der Terrororganisation zerstört und deren Kämpfer in Panik versetzt worden.
Nach westlichen Angaben soll es bis zu 39 zivile sowie Opfer unter Verbündeten westlicher Staaten gegeben haben. Moskau wies solche Darstellungen zurück. US-Präsident Barack Obama wirft dem Kreml vor, nicht zwischen dem IS und gemäßigten Gruppen zu unterscheiden. »Aus seiner Perspektive sind sie alle Terroristen. Und das führt ins Verderben«, sagte er am Freitag.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte am Sonntag in einem Rundfunkinterview: »Um zu einer politischen Lösung zu kommen, brauche ich sowohl die Vertreter der syrischen Opposition als auch die Vertreter der jetzt im Augenblick in Damaskus Herrschenden und andere dazu.« Sie hoffe, »dass ein solcher Prozess jetzt in Gang kommt«. Russland und die USA könnten dabei »eine wichtige Rolle spielen«, ebenso Saudi-Arabien und der Iran. »Aber auch Deutschland, Frankreich, Großbritannien – wir Europäer haben da auch unsere Verantwortung.«
Der syrische Präsident Baschar al-Assad betonte Sonntag im iranischen Fernsehen, der gemeinsame Kampf seiner Regierung mit Russland, dem Iran und dem Irak gegen den »Terrorismus« müsse »erfolgreich sein, sonst wird die ganze Region zerstört«. Frankreichs Staatspräsident François Hollande warnte ebenfalls vor einem Krieg »nicht nur auf syrischer Ebene, sondern auf Ebene der ganzen Region«.
Die islamistischen Terroristen würden in die Flucht geschlagen, heißt es aus Moskau. Westliche Kritiker verweisen auf zivile und Opfer unter den eigenen Verbündeten.
»In ihren Reihen begann Panik auszubrechen«, meldete der russische Generalstab am Wochenende Vollzug in der syrischen Operation. Unter Hinweis auf die eigene Aufklärung verwies General Andrej Kartapolow, Chef der operativen Führung, am Samstag auf Desertionen und Flucht. Rund 600 Kämpfer des Islamischen Staates (IS) hätten ihre Positionen geräumt und versuchten sich nach Europa abzusetzen.
Zu diesem Zeitpunkt zählten die Militärs 60 Angriffe auf über 50 »Objekte der Infrastruktur«. Schläge würden rund um die Uhr »in die ganze Tiefe des syrischen Territoriums« geführt, hieß es im Verteidigungsministerium in Moskau. Luftabwehr sei nicht dagegen eingesetzt worden. Als Ziele »präzisen Beschusses« nannten die Militärs Kommandostellen, Kommunikationspunkte, Trainings-, Waffen- und Treibstofflager.
Berichte über Todesopfer unter Zivilisten blieben unbestätigt. So hatte es unter Berufung auf »Aktivisten« geheißen, dass am Sonntag mindestens fünf Zivilisten ums Leben gekommen seien. Danach hätten Angriffe auf Dörfer nördlich der Stadt Homs, die von moderaten Rebellen kontrolliert werde, ein Menschenleben gefordert. Weitere vier Zivilisten seien bei einem Angriff im Osten der Provinz Hama, die in der Hand des IS sei, nahe eines Marktes gestorben.
Von dort berichtete auch die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte über Luftangriffe, konnte russische Kampfflugzeuge aber nur vermuten. Nach Angaben der Aktivisten vom Samstag sollen bei den russischen Luftschlägen bereits innerhalb der vorangegangenen vier Tage 39 Zivilisten getötet worden sein. Mehrere Angriffe hätten auf Stellungen im Westen der IS-Hochburg Raka im Nordosten des Landes abgezielt, hieß es von der Beobach- Dmitri Medwedjew Premierminister Russlands tungsstelle. Die Detonationen seien bis in die Stadt zu hören gewesen. Der IS kontrolliert die gesamte Provinz Raka, die dort gelegene gleichnamige Stadt wird als Hauptstadt der Extremisten angesehen.
Den Vorwurf, dass Russland die gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad kämpfende gemäßigte Opposition schwäche, erneuerte USPräsident Barack Obama. Die russische Politik treibe die Rebellen in den Untergrund oder erzeuge eine Situation, in der sie geschwächt werden. »Das stärkt den IS nur, und das ist für niemanden gut«, sagte er.
Der britische Premierminister David Cameron assistierte fast wortgleich: »Es ist völlig klar, dass Russland nicht zwischen dem Islamischen Staat und rechtmäßigen syrischen Oppositionsgruppen unterscheidet. Damit unterstützen sie den Schlächter Assad, helfen ihm und machen die Sache nur noch schlimmer.«
Russlands Premier Dmitri Medwedew wies Kritik an den Luftangriffen in Syrien zurück. Moskau wolle auch Islamisten von seinem Staatsgebiet fernhalten, sagte am Samstag im TV-Sender Rossija-24. »Wir schützen das Volk Russlands vor Terror – weil es besser ist, dies im Ausland statt auf eigenem Territorium zu tun.«
Russlands Handlungen in Syrien seien »absolut transparent«, gaben russische Medien Kremlsprecher Dmitri Peskow wider. »Das Verteidigungsministerium gibt erschöpfende Informationen.« Präsident Wladimir Putin selbst hatte zuvor auf Fälle verwiesen, in denen über zivile Opfer berichtet worden seien, bevor Luftangriffe erfolgten. Opposition und Zivilbevölkerung seien nicht in Mitleidenschaft gezogen worden, versicherte Syriens Botschafter in Russland, Riad Haddad.
»Wir schützen das Volk Russlands vor Terror – weil es besser ist, dies im Ausland statt auf eigenem Territorium zu tun.«