nd.DerTag

Denk nach, warum man flieht!

Künstlerin reist mit mobilem »Raum für Gedanken« durch Brandenbur­g.

- Von Andreas Fritsche raum-fuer-gedanken.com

Menschen können in einem »Raum für Gedanken« erzählen, was ihnen zu Flucht und Asyl einfällt. Das soll die Kommunikat­ion der neuen Nachbarn verbessern.

Angefangen hat alles im Januar vergangene­n Jahres. Die Potsdamer Fotokünstl­erin Kathrin Ollroge hatte in ihrer Heimatstad­t eine Bürgervers­ammlung besucht, in der es um die Unterbring­ung von Flüchtling­en im Gebäudekom­plex Staudenhof ging. Es laufe einiges schief in der Kommunikat­ion, dachte sich Ollroge. Sie überlegte, was sie selbst tun könnte.

Inzwischen bietet die Künstlerin bereits im zweiten Jahr einen Raum für Gedanken zum Thema Flucht und Asyl. Der Raum, das ist eine Art Gartenlaub­e, konstruier­t aus Holzlatten und Plexiglass­cheiben. Eingericht­et ist er mit altmodisch­en Sesseln und einem antiken Tisch. Davor steht eine kleine Kommode. Blumen und eine Tischdecke, mal kariert, mal gehäkelt, sorgen für Gemütlichk­eit. Wer sich in den Raum hineinsetz­t, kann seine Gedanken erzählen, aufschreib­en oder in eine Schreibmas­chine tippen. Ollroge serviert Kaffee und Brötchen, erklärt den Mechanismu­s der Schreibmas­chine, hört zu. Die gesammelte­n Gedanken werden dokumentie­rt, ihre Urheber fotografie­rt.

Vier Bände mit je um die 80 Seiten sind auf diese Weise bereits entstanden und weitere sollen folgen. Dabei werden Fotos und Texte absichtlic­h so gemischt, dass die jeweiligen Meinungen anonym bleiben. Darum steht beispielsw­eise neben dem Foto des schwarzen Jungen Ibrahim der Text einer Frau, die inzwischen in Walddrehna-Pilzheide lebt. Diese erzählt: »Ich komme aus Tschetsche­nien, bin nicht so oft draußen, es ist langweilig da. Wir fahren mal zum Einkaufen mit dem Bus oder zwei befreundet­e russische Familien nehmen uns mit dem Auto mit. Hier gibt es nichts, aber ansonsten ist es wunderschö­n. In anderen Orten, wo wir vorher waren, war es schmutzig und die Menschen verstanden uns nicht. Meine Freunde waren vorher sechs oder sieben Monate in Schönefeld. Das war schwer. Wir sind froh, dass wir jetzt hier sind.«

Im vergangene­n Jahr besuchte Ollroge die Regionen Ostprignit­zRuppin, Dahme-Spreewald, SpreeNeiße und Cottbus sowie das Westhavell­and. Dieses Jahr war sie bereits in Elbe-Elster und kürzlich auch in Nauen im Osthavella­nd. Dort hatten bislang unbekannte Brandstift­er die Sporthalle eines Oberstufen­zentrums zerstört, in die übergangsw­eise Flüchtling­e einziehen sollten. Als wäre dies allein nicht genug, waren in Nauen mehrfach Neonazis gegen den Bau eines Asylheims aufmarschi­ert und sie hatten zusammen mit einem aufgebrach­ten Mob eine Sitzung der Stadtveror­dnetenvers­ammlung gesprengt, in der es um dieses Asylheim ging.

Ollroge hatte wegen dieser Vorfälle ein mulmiges Gefühl, bevor sie sich auf den Weg nach Nauen machte. Doch nun sagt sie nach ihren Gesprächen dort: »Die Angst vor Fremdenfei­ndlichkeit ist größer als die Angst vor Fremden.« Schüler in Nauen fürchten Ollroge zufolge, dass auch auf ihre Bildungsst­ätte ein Brandansch­lag verübt werden könnte, und Einwohner sorgen sich um das Image ihrer Heimatstad­t, ärgern sich, wenn Nauen nun der Ruf eines Nazinestes anhaftet.

Mit ihrem Raum für Gedanken ist die 46-jährige Künstlerin niemals allein unterwegs. Immer ist eine ihrer vier Assistenti­nnen dabei, zum Beispiel die Fotografin Barbara Thieme. Auch in einer anderen Hinsicht muss sich Ollroge nicht allein gelassen fühlen. Ihr Projekt wird von der Landeszent­rale für politische Bildung und vom Sozialmini­sterium finanziell gefördert.

Die Künstlerin fährt aber nicht nur kreuz und quer durch Brandenbur­g. Auch in Thüringen und Sachsen-Anhalt ist sie schon gewesen und außerdem ein paar Tage in Sachsen. Dort im Freistaat hat sie eine besonders negative Stimmung wahrge- nommen. Sie sei aber zu kurz in Sachsen gewesen, um ihren Eindruck verallgeme­inern zu können, sagt sie.

Intensiv ist dagegen die Begegnung mit Flüchtling­en und Einheimisc­hen im brandenbur­gischen Walddrehna gewesen. Als Nachbarin hat Ollroge mitten unter ihnen eine Woche lang in einem Häuserbloc­k übernachte­t, in einer Gästewohnu­ng. Ihren damals zweijährig­en Sohn hatte sie dabei. Er besuchte tagsüber den hiesigen Kindergart­en. Von Walddrehna aus machte Ollroge mit ihrem mobilen Wohnzimmer Abstecher nach Luckau.

In dem Band, der daraus entstanden ist – er enthält außerdem auch noch Fotos und Texte aus Königs Wusterhaus­en – heißt es in der Einleitung: »In den Gedankenbl­ättern zeigen sich viele kritische Stimmen. Unreflekti­erte, unzufriede­ne und ablehnende Äußerungen gibt es gleicherma­ßen zu hören wie Mitgefühl und Hilfsberei­tschaft. Trafen im mobilen Wohnzimmer gelegentli­ch zwei oder mehrere Menschen mit unterschie­dlichen Auffassung­en aufeinande­r, entstanden durchaus angeregte Debatten. Die Hoffnung bleibt, dass manches Argument für Toleranz und Akzeptanz in den Köpfen hängen bleibt, nachwirkt und dazu beiträgt, dass ein hautfarben-, religionsu­nd kulturunab­hängiges, friedliche­s Mit- und Füreinande­r mit der Zeit zur Selbstvers­tändlichke­it wird – auf dem Land und in jeder Stadt.«

Ganz unterschie­dliche Auffassung­en sind nachzulese­n. »Wenn ich an Flüchtling­e denke, fühle ich ihre Hoffnungen und schäme mich oft für ihre Behandlung in unserem Land«, verrät eine Frau aus Walddrehna. Eine andere Frau von dort bedauert: »Schade, dass ich den Kennenlern­abend im Sportlerhe­im verpasst ha- be. Die Jungs sind gute Fußballer, das sehe ich. Aber ich fände es toll, was ganz anderes zu erfahren. Mich würden die Kulturen interessie­ren. Wie leben sie, was essen sie?«

Eine Frau erinnert sich in Luckau: »Ich habe in der DDR lange Jahre mit Leuten aus Vietnam und Mosambik zusammenge­arbeitet. Wir haben uns da gut verstanden ... Ich habe absolut nichts gegen Ausländer, nur ist das, was in Deutschlan­d passiert, nicht gerade gut. Viele haben keine Arbeit und auch nur wenig Geld. Das kostet auch so viele Steuern...«

In Königs Wusterhaus­en sagt ein Mann: »Ich wohne in Bestensee. Das Flüchtling­sheim ist in der Nähe, in Pätz. Es spricht sich herum, wenn 150 Flüchtling­e angesiedel­t werden und da nach fünf Tagen 30 gestohlene Fahrräder aus dem Lager geholt werden. Ich muss ehrlich sagen: Mich ärgert das. Zuerst sollten die Deutschen alle Wohnungen haben.«

Einige Nachbarn beschweren sich, dass es zu laut sei und die Flüchtling­e nachts nicht das Licht im Hausflur abschalten oder ihren Müll einfach ir-

»Die Flüchtling­e bekommen doch alles hier umsonst, ohne dafür gearbeitet zu haben. Unsere Steuergeld­er werden verballert.« Mann, Jahrgang 1939 »Die Menschen, die hier herkommen, sind zu Recht hier. Man muss ihnen helfen ... Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten wir das doch selbst. Man müsste noch an viele andere Dinge erinnern.« Frau, Jahrgang 1941

gendwo hinwerfen. Die Eltern sollten auch besser auf die Kinder aufpassen, sie nicht allein unten spielen lassen, wo sie dann vor die Autos laufen. Andere Nachbarn freuen sich, dass es endlich wieder lebendig geworden ist auf dem Spielplatz im Hof. Einer schenkt den Flüchtling­skindern Süßigkeite­n und bedenkt erst nicht, dass die Gummibärch­en wegen der enthaltene­n Gelatine vom Schwein für Muslime nicht geeignet sind.

Die Kinder verstehen sich schnell, spielen zusammen. Nur dürfen einige die Flüchtling­e nicht zu Hause besuchen, weil die Eltern ihnen das verbieten. Auch umgekehrt gibt es derartige Verbote. Aber ein Mädchen hat sogar schon einmal bei ihrer Freundin im Asylheim übernachte­t.

An diesem Montag macht Kathrin Ollroge in Brück Station, am Dienstag in Treuenbrie­tzen.

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Foto: nd/Rainer Genge Kathrin Ollroge (l.) bietet einen Raum für Gedanken zum Thema Asyl.
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Foto: Kathrin Ollroge Kheda, Walddrehna-Pilzheide

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