Wahrheit und Rache
Rafik Schamis neuer Roman
Seit 45 Jahren ist Rafik Schami in Deutschland heimisch. Betrachtet man seinen neuen Roman »Sophia«, fällt auf, dass er seine charmante und unterhaltsame Plauderlust beibehalten hat. Was seine Worte betrifft, legt er Wert auf deren Schönheit, wie ein Kalligraph arabischer Schule. Egal, ob man »Sophia« nun als Liebesroman mit vielen Verästelungen liest oder als Geheimdienstthriller mit tiefen Einblicken in die syrischen Assad-Diktaturen – man wird intelligent unterhalten.
Angesichts der Flüchtlingsdramatik und des IS-Terrors in Syrien drängt sich gegenwärtig allerdings eine Thematik in den Vordergrund. Rafik Schami hat sie in einem Nebengedanken gestreift: Die muslimische Zeitrechnung beginne mit der Hidschra, der Flucht Mohammeds von Mekka nach Medina. Flucht vor Verfolgung, Exil und Rückkehr bilden die Klammer, die den Roman zusammenhält.
Salman, der einzige Sohn von Sophia, hat als rebellierender Student den Weg des bewaffneten Widerstands gegen die Diktatur in Syrien gewählt. Bei einem Überfall auf eine Polizeistation verletzt er einen Wächter und wird fortan gesucht. Er muss untertauchen. Amalia, eine emanzipierte Verwandte seiner Mutter, klärt ihn auf: »Das Wort Revolution bedeutet seit Nikolaus Kopernikus die gleichbleibende Bewegung eines Planeten in einem geschlossenen Kreis. Es kann niemals einen Neuanfang bezeichnen.« Salman flieht vor der Todesstrafe zunächst für zehn Jahre nach Heidelberg. Dort lernt er seine spätere Frau Stella kennen, der er nach Rom folgt, wo er einen Handel mit orientalischen Lebensmitteln und italienischen Delikatessen betreibt. Aber seine Sehnsucht nach Damaskus wächst.
Der Autor verschränkt die Handlung mit Rückblicken in die Vergangenheit und mit Seitenblicken auf Karim und dessen Jugendgeliebte Sophia. Karim wird in jungen Jahren von seinem Vater zu einem Ehrenmord an seiner Schwester gedrängt, die einen Christen geheiratet hat. Als Karim sich weigert, vollstreckt ein gedungener Killer den Mord an dem Ehepaar. Karim aber wird der Mord in die Schuhe geschoben, er muss untertauchen. Seine inzwischen verheiratete frühere Freundin Sophia sorgt für Aufklärung und rettet ihn. Erst Jahrzehnte später wird er sich dafür revanchieren können. Als Sophias Sohn Salman – auf eine Amnestie vertrauend – seiner Sehnsucht folgt und nach Damaskus zurückkehrt, macht ein inzwischen in den Geheimdienst aufgestiegener ehemaliger Bekannter eine alte Rechnung auf. Salmans Leben ist in Gefahr. Seine Mutter Sophia kehrt an den »Anfang aller Geschichten« zurück und bittet Karim um Hilfe.
Die emanzipatorische Kraft eines aufgeklärten Freigeistes durchweht diesen ebenso aktuellen wie zeitlosen Roman. Und Weisheiten geben lebensphilosophische Orientierung: »Wahrheit und Rache sind Erzfeinde.«