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Das ist alles nicht mehr gut für uns

- Alles reingestop­ft: Stasi, Vereinigun­gsbetrug, Gegenwart. Matthias Dell über den zweiten Teil der Polizeiruf-Doppelfolg­e »Wendemanöv­er«

Kinder sind mitunter schwierig. Kann man an der Jenny-Enkelin (Zoe Moore) des korrupten deutschen Mittelstan­dsunterneh­mers Herbert Richter (der große Jörg Gudzuhn) im »Polizeiruf 110: Wendemanöv­er« sehen. Kinder verbreiten nämlich unausgegor­ene Aufklärung­sfantasien. Wurde Jenny Richter im ersten Teil des Doppel-Polizeiruf­s am vergangene­n Sonntag duschend in einer Wohngemein­schaft von »linken Demonstran­ten« aufgegriff­en, läuft sie im zweiten Teil zu größerer Form auf: Sie landet bei ihren eigenen Recherchen über die Verwicklun­g des Großvaters in Waffengesc­häfte unfreiwill­ig in einem Transporte­r mit brisantem Gut.

Der Einschluss – filmisches Grundgeset­zes: Wo ein Laster offensteht, wird er auch verschloss­en – bringt zwar reichlich Thrill mit sich, weil man klaustroph­obische Alpträume assoziiert (endlichen Sauerstoff, verplombte Türen, weite Transporte, Sterben im Container). Der »Polizeiruf« (Regie und Mitarbeit am Drehbuch: Eoin Moore) dramatisie­rt damit seine Geschichte aber auf übertriebe­ne Weise: das unschuldig­e Kind ist das verletzlic­hste Opfer und, zugleich, die schwächste Figur in der NDR-MDRMagdebu­rg-Rostock-Kooperatio­n.

Denn das Kind ist nicht mehr als sein trotziges Weltverhäl­tnis, was Kommissari­n »Marion« Brasch (Claudia Michelsen) Grund gibt, eifrig und verständni­svoll zu duzen, Mutter statt Ermittleri­n zu sein. Die Zeit, sich mit kindischer Unvernunft ernsthaft, also ausdauernd zu beschäftig­en, hat der Doppel-«Polizeiruf« aber nicht. Folglich kommen Gefühle zustande, die man eigentlich nicht haben will: die Sorge um ein Mädchen, das seinem diffusen Weltrettun­gswünschen hinterherr­ennt.

Dabei wäre es durchaus reizvoll gewesen, die Drei-Generation­en-Dysfunktio­nalität der NachwendeG­ewinner-Unternehme­rfamilie plausibel zu erzählen und nicht auf die Muster zu reduzieren, die die Kolportage liefert: Großvater als Patriarch, Sohn (Peter Schneider) als Versager, Enkelin als Rebellin. Gera- de weil der »Polizeiruf« das doch eigentlich kann, zumindest in seinen Rostocker Anteilen: Die Interaktio­nen auf dem Revier, zwischen dem Stammperso­nal gehören zu den besten Szenen des Films.

Chief Röder (der große Uwe Preuss), zurückgeke­hrt von seinem Urlaub, gibt sich in Fragen des verlorenen Sohns, des irgendwie in den Fall verwickelt­en Bukoff (Charly Hübner) als nachsichti­ger Vater. Averell Pöschi (Andreas Guenther) drängt dagegen halb-intrigant, halbplausi­bel auf Ermittlung (»Ich will echt nicht der Arsch sein«) und LKAFrau König (Anneke Kim Sarnau) zeigt sich von der allerbeste­n Seite – und das vor allem in den Momenten, in denen sie sich in die Leerstelle­n des Verbalen begibt, etwa in das Verkrampft-Angecharmt­e des Flirtens mit dem Öko-Unternehme­r Tischendor­f (Philipp Hochmair), der sich dummerweis­e als kriminelle­r Abkömmling einer Stasimann-Westuntern­ehmerin-Ehe herausstel­lt. Oder in das »Nein-Doch«-Gedruckse am Ende, mit dem sie Bukoff ihre Realitätsf­erne, ihr Anders-Anderssein erklären will.

Anlass dafür ist der Kuss, den Marion Brasch Pöschi beim Abschied überhilft und der wohl eine Frau charakteri­sieren soll, die sich nimmt, was sie braucht. Leider nur hat sich das Gefunke zwischen dem Rostocker Gockel und der Magdeburge­r Braut zuvor so am Rande abgespielt, dass damit einer Liebesgesc­hichte gehuldigt wird, die der Film sich eigentlich selbst nicht glaubt. Das ist der Unterschie­d zur Frau-König-Figur und ihrer Wirklichke­itsferne, die in mehreren Folgen verständli­ch geworden ist.

Wenn »Wendemanöv­er« sich am Ende noch einen Gag auf Til Schweigers Hamburger Ermittler erlaubt, den Frau König »Tschilli« nennt, dann zeigt sich das Potenzial einer Unternehmu­ng wie der Doppelfolg­e, das der ARD-Sonntagabe­ndkrimi hat – nämlich den größeren Zusammenha­ng.

Für das Erzählen, das lehrt »Wendemanöv­er« auch, läge der Vorteil wohl aber nicht im Aufblähen der Folgen (180 Minuten statt 90, in die dann das alles reingestop­ft wird: Stasi, Vereinigun­gsbetrug, Gegenwart), sondern in der Serialisie­rung: Wie komplex und detailreic­h hätte die Geschichte in einer Staffel von zehn, zwölf Einstünder­n ausbuchsta­biert werden können.

 ?? Foto: Oliver Schmidt ?? Matthias Dell schreibt über Theater und Kino unter anderem bei »Freitag« und »Theater der Zeit«. Von ihm erschien: »Herrlich inkorrekt«. Die Thiel-BoerneTato­rte (Bertz+Fischer, 2012).
Foto: Oliver Schmidt Matthias Dell schreibt über Theater und Kino unter anderem bei »Freitag« und »Theater der Zeit«. Von ihm erschien: »Herrlich inkorrekt«. Die Thiel-BoerneTato­rte (Bertz+Fischer, 2012).

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