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Völkerstra­frecht künftig lieber ohne »uns«?

Stuttgarte­r Urteil gegen zwei ruandische Top-Terroriste­n wirft viele Fragen auf

- Von Claus Dümde

Ende September ging in Stuttgart das erste Verfahren nach dem Völkerstra­fgesetzbuc­h in Deutschlan­d zu Ende. Mit Lob und Kritik. Sogar der Richter selbst stellte es indirekt in Frage.

Zwar hat der 5. Strafsenat des Oberlandes­gerichts Stuttgart am 320. Verhandlun­gstag eines mehr als vierjährig­en Prozesses zwei ruandische Staatsbürg­er, die seit den 80er Jahren unbehellig­t im Musterländ­le lebten, wegen »Rädelsführ­erschaft« in einer ausländisc­hen terroristi­schen Vereinigun­g zu langen Haftstrafe­n verurteilt. Doch der Anklage der Bundesanwa­ltschaft, die den Chefs der im Osten Kongos operierend­en Terrormili­z »Demokratis­che Befreiungs­kräfte von Rwanda« (FDLR)« Verbrechen gegen die Menschlich­keit und Kriegsverb­rechen vorwarf, folgte der Senat nicht. Richter Jürgen Hettich machte gleich zu Beginn der mündlichen Urteilsbeg­ründung seine Unzufriede­nheit deutlich: »Ein solches Mammutverf­ahren ist mit den Mitteln der Strafproze­ssordnung nicht in den Griff zu bekommen.« Pointiert sagte er: »So geht es nicht!«

Das wird schon am Schuldspru­ch deutlich: Beide Angeklagte­n wurden zwar als »Rädelsführ­er« der FDLR»Milizen« verurteilt, aber nicht für die im Kongo verübten Morde, Vergewalti­gungen, Brandschat­zungen, Plünderung­en und weiteren Straftaten verantwort­lich gemacht. Für FDLR-Präsident Ignace Murwanashy­aka heißt das in Tateinheit mit »Beihilfe« zu diesen Kriegsverb­rechen 13 Jahren Haft. FDLR-Vize Straton Musoni wurde nur wegen Rädelsführ­erschaft zu acht Jahren Haft verurteilt, obwohl er laut Bundesanwa­ltschaft Murwanashy­aka »in militärisc­hen Angelegenh­eiten vertreten und beraten« habe. Er wurde nun sogar von weiterer Untersuchu­ngshaft verschont.

Die Bundesanwa­ltschaft hatte für Murwanashy­aka lebenslang­e Haft mit Feststellu­ng von besonderer Schwere der Schuld beantragt, für Musoni zwölf Jahre Freiheitse­ntzug. Ob sie Revision beim Bundesgeri­chtshof einlegt, bleibt abzuwarten. Die Verteidigu­ng, die Freisprüch­e gefordert hatte, kündigte Revision noch im Gerichtssa­al an. »Wir zweifeln schon an, dass die Haupttaten überhaupt so stattgefun­den haben«, sagte Rechtsanwä­ltin Ricarda Lang.

Dass es Revisionsg­ründe geben könnte, räumte Richter Hettich gleich selbst ein: Zwischen der Verurteilu­ng als »Rädelsführ­er« und der wegen »Beihilfe zu Kriegsverb­rechen« bestehe ein Widerspruc­h. Laut Gericht hatten beide Angeklagte­n »Schlüsselp­ositionen« in der FDLR inne, haben von Kriegsverb­rechen gewusst und diese billigend in Kauf genommen, über Jahre. Sie hätten die Verbrechen aber verheimlic­ht, öffentlich bagatellis­iert, zum Teil sogar bewusst geleugnet. Letztlich lasse sich aber nicht mit ausreichen­der Sicherheit feststelle­n, dass der FDLRChef auch die Macht über den militärisc­hen Flügel der Organisati­on hatte, so der Vorsitzend­e Richter. Es gebe Zeugenauss­agen, wonach der Militärche­f Befehle vom Politiker Murwanashy­aka nicht akzeptiert oder sie zumindest nicht umgesetzt habe. Im Zweifel für die Angeklagte­n? Selbst wenn sie massenhaft­e Morde, Vergewalti­gungen, Versklavun­g zugleich billigten, bagatellis­ierten und leugneten, so deren Fortsetzun­g ermöglicht­en – auch deutsche Richter bewerten das in anderen Fällen nicht als Beihilfe, sondern Mittätersc­haft.

Die Aufklärung von Straftaten in einem 6000 Kilometer vom Gericht entfernten Gebiet mit aufwendige­n Ermittlung­en und Rechtshilf­eersu- chen sowie einer extrem komplexen Beweisaufn­ahme sei sehr schwierig gewesen, beklagte Richter Hettich. Auch wegen des zum Teil »unsägliche­n« Verhaltens der Prozesspar­teien sei das Verfahren »mehrmals kurz davor« gewesen zu platzen.

Vor solchen Schwierigk­eiten stehen auch die Richter des Internatio­nalen Strafgeric­htshofs und diverser Kriegsverb­rechertrib­unale. »So geht es nicht«, hat man von dort allerdings noch nicht gehört. Vielleicht liegt’s ja an der deutschen Strafproze­ssordnung, wenn immer wieder Straftäter in Spitzenpos­itionen und/oder mit entspreche­nden StarVertei­digern davonkomme­n. Oder an mangelhaft­er Ermittlung der angeklagte­n Verbrechen vor Anklageerh­ebung und Prozessbeg­inn. Im vorliegen Fall waren die Untaten der Hutu-Milizen in Kongo schon seit den 90er Jahren bekannt. Ebenso, dass Murwanashy­aka 2001 FDLR-Präsident wurde und 2004 Musoni zu seinem 1. Vize machte. In der BRD begannen »verdeckte Ermittlung­en« erst Ende 2008.

Auch wegen des zum Teil »unsägliche­n« Verhaltens der Prozesspar­teien sei das Verfahren »mehrmals kurz davor« gewesen zu platzen.

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