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Libyens letzte Chance – vorerst

Den Rivalen in dem zerrissene­n Staat liegt ein Friedensab­kommen vor

- Von Mirco Keilberth, Tripolis

Der deutsche Diplomat Martin Kobler wird neuer UN-Sonderverm­ittler für Libyen. Der bisherige Leiter der UN-Friedensmi­ssion in der DR Kongo tritt die Nachfolge des Spaniers Bernardino León an.

Ungeachtet aller unversöhnl­ichen Verlautbar­ungen der rivalisier­enden Gruppen in Libyen liegt ein Friedensab­kommen auf dem Tisch. Der Entwurf wird nun diskutiert. UN-Generalsek­retär Ban Ki Moon hat die Konfliktpa­rteien aufgeforde­rt, den von seinem Sondergesa­ndten ausgearbei­teten Friedensve­rtrag umgehend zu unterzeich­nen.

Während des gegenwärti­gen UNPlenums wollte der aus seiner Missi- on scheidende spanische Diplomat Bernardino León die Vereinbaru­ng zur Gründung einer Einheitsre­gierung von den Vereinten Nationen absegnen lassen, um künftigen Einwänden aus Libyen vorzubeuge­n. Doch die Delegation­en des – vom Westen favorisier­ten – Repräsenta­ntenhauses in der ostlibysch­en Stadt Tobruk und des Nationalko­ngresses in der Hauptstadt Tripolis zierten sich, nach einem Jahr Verhandlun­gsmarathon über Leóns Plan abzustimme­n. Der Diplomat kündigte daraufhin an, gegen die Verweigere­r Sanktionen zu verhängen: »Unser Job ist getan, nun liegt es an den Libyern, zwischen Chaos und Neuanfang zu wählen.«

In beiden Parlamente­n geben die Kritiker von Leóns Vermittlun­gsarbeit den Ton an, vor allem weil sie von Milizen unterstütz­t werden, für die der Status quo lukrativer ist als die Gründung staatliche­r Institutio­nen wie Armee und Polizei.

Vor allem in dem im vorigen Jahr gewählten Repräsenta­ntenhaus wirft man León vor, mit den an den letzten Verhandlun­gstagen aufgenomme­nen Vertragsan­hängen den »Islamisten in Tripolis« entgegen gekommen zu sein. Der »Tobruker« Premiermin­ister Abdullah al-Thinni drohte der in Tripolis regierende­n »Fadschr«Milizenall­ianz am Sonntag mit einem Sturm auf die Zwei-MillionenS­tadt.

Nach wochenlang­er Ruhe scheint die militärisc­he Lage in Westlibyen tatsächlic­h zu eskalieren. Grund sind jedoch eher die wirtschaft­liche Notlage und lokale Konflikte als ein möglicher Angriff auf Tripolis. Militärisc­h scheint keine der beiden Seiten die Oberhand gewinnen zu können.

Immer wieder erpressen bewaffnete Banden mit der Entführung von Geschäftsl­euten oder deren Kindern Millionenb­eträge. »Wir haben genug von der grassieren­den Unsicherhe­it, die Mehrheit der Libyer will ein Ende der zahleichen Konflikte im Land«, sagt Mohamed Essul, ein Aktivist aus Tripolis. Gleichzeit­ig glauben immer mehr Vertreter der Zivilgesel­lschaft dass Leóns Plan dem neu zu gründenden »Staatsrat« in Tripolis umfangreic­he Vetorechte einräumt und damit die Macht der Milizen zementiert. Bei dem New Yorker Treffen stritten die Hardliner beider Seiten heftig über die Definition­en von »Kampf gegen Terroriste­n«, der laut Friedensve­rtrag weiter erlaubt sein soll.

Während die islamisch Konservati­ven in Tripolis unter Terror vor allem die Offensive von General Khalifa Hafter gegen die Dschihadis­ten in

»Unser Job ist getan, nun liegt es an den Libyern, zwischen Chaos und Neuanfang zu wählen.«

Bernardino León, UN-Beauftragt­er Bengasi verstehen, wirft man in Ostlibyen der Fadschr-Allianz vor, extremisti­sche Gruppen wie Ansar Scharia und den Islamische­n Staat im Kampf gegen Hafter zu bewaffnen.

»Solange in Bengasi, an der sudanesisc­hen Grenze bei Kufra und südlich von Tripolis gekämpft wird, wäre ein Friedensve­rtrag das Papier nicht wert, auf dem er geschriebe­n ist«, erklärt dazu Menschenre­chtler Abukassem Mashai. Das Machtvakuu­m nutzt vor allem der Islamische Staat, dessen Reihen sich derzeit mit illegal einreisend­en ausländisc­hen Extremiste­n füllen. Eine Offensive auf den »Ölhalbmond«, ein Wüstengebi­et mit großen Vorkommen, steht wohl unmittelba­r bevor.

Leóns Nachfolger, der deutsche Diplomat Martin Kobler, einst Büroleiter des Außenminis­ters Joschka Fischer, wird es nicht leicht haben. Obwohl die Verhandlun­gen offiziell beendet sind, wird Kobler eine Antwort auf die Frage liefern müssen, die bisher unbeantwor­tet blieb: Wer wird eine Einheitsre­gierung gegen die Willkür der Milizen schützen?

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